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Expertin Nadia Pernollet erklärt

Was tun, wenn ein Burnout das Familienkonstrukt erschüttert?

Wenn ein Elternteil ein Burnout entwickelt, muss sich die Familie temporär komplett neu organisieren. Wie schafft man das und wie erklärt man Kindern, dass Mama oder Papa wochenlang ausfallen? Wir haben mit der Expertin Nadia Pernollet darüber geredet.

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<p>Erkrankt ein Elternteil an einem Burnout, ist das für die ganze Familie belastend.</p>

Erkrankt ein Elternteil an einem Burnout, ist das für die ganze Familie belastend.

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Nadia Pernollet, was sind die Anzeichen, wenn ein Elternteil droht, an einem Burnout zu erkranken?
Nadia Pernollet: Die ersten Symptome zeigen sich oft schleichend. So können Schlafprobleme, Kopf-, Rücken- oder Magenschmerzen, ein allgemeines Gefühl der Erschöpfung und eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte auf der körperlichen Ebene Anzeichen sein. Auf der emotionalen Ebene werden Betroffene oft als ungeduldiger, gereizter und dünnhäutiger erlebt als sonst. Hinzu kommt das Gefühl, alles sei anstrengend und überfordernd, man fühlt sich oft traurig, wertlos oder innerlich leer. Im Verhalten können sozialer Rückzug, Perfektionismus und Kontrollzwang sowie ungesunde Bewältigungsstrategien auftreten (mehr Kaffee, mehr Süsses, mehr Alkohol etc.). Hinzu kommt oft, dass man gar nicht mehr abschalten kann, sich selbst Vorwürfe macht und denkt, man müsse weiterfunktionieren, egal, wie man sich gerade fühlt.

Wie reagiere ich, wenn ich das Gefühl habe, mein Partner schlittert in ein Burnout?
Ein frühzeitiges sanftes Ansprechen ist wichtig. Dabei soll man aus der Ich-Perspektive vorurteilsfrei schildern, was man beobachtet. «Ich sehe, dass deine Arbeitsbelastung momentan sehr hoch ist. Ich bin da, wenn du darüber reden möchtest.» Man soll dem Gegenüber zuhören, den Partner erst nehmen und nicht mit gut gemeinten Ratschlägen bombardieren. Fragen, ob man etwas tun kann und Entlastung anbieten ist wertvoll. Man darf sein Gegenüber ermutigen, sich Beratung oder professionelle Hilfe zu suchen und anbieten, den Partner zu einem ersten Gespräch oder zum Hausarzt/zur Hausärztin zu begleiten. Man soll aber auch unbedingt auf seine eigenen Grenzen achten, mit Freund*innen oder anderen nahestehenden Personen reden oder sich bei einer Fachstelle für Angehörige beraten lassen. 

Erkranken Väter und Mütter öfter unter einem Burnout als Kinderlose?
Es gibt mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass Eltern tatsächlich häufiger von Burnout betroffen sind als Kinderlose. Insbesondere alleinerziehende Mütter und Väter ohne stützendes soziales Netzwerk sind besonders gefährdet. 

<p>Nadia Pernollet ist Fachverantwortliche Psychosoziales bei Pro Mente Sana.</p>

Nadia Pernollet ist Fachverantwortliche Psychosoziales bei Pro Mente Sana.


Was tun, wenn ein Elternteil erkrankt?
Wichtig ist, im Austausch zu bleiben und gemeinsam zu schauen, wo es Unterstützung braucht und wie diese allenfalls aussehen könnte. Selbst kleine Entlastungen wie einmal mehr Essen bestellen und nicht selbst kochen oder eine Kinderbetreuung organisieren kann hilfreich sein. Externe Ressourcen aktivieren: das können Freunde, Familie, Nachbarn, der Kinderhort oder auch eine Haushaltshilfe sein. Hilfreich ist auch, wenn man die Erwartungen an sich selbst herunterschraubt und Prioritäten setzt. Es muss nicht alles perfekt sein. Sich selbst regelmässig Pausen können, auch wenn das Kinderzimmer aussieht, als wäre eine Bombe explodiert, die Wäsche sich stapelt und der Kühlschrank leer ist.

Was bedeutet ein Burnout für das gesunde Elternteil?
Ein Burnout in einer Partnerschaft ist eine grosse Herausforderung für die Beziehung. Je nachdem, wie stark betroffen der Partner/die Partnerin ist, kann das bedeuten, dass man auf verschiedenen Ebenen vorübergehend mehr Verantwortung übernehmen muss, vielleicht sogar finanziell.  Auch die Paarbeziehung verändert sich. Es kann sein, dass man die gereizte Stimmung abbekommt, die Kommunikation erschwert ist und auch körperliche Nähe zu kurz kommt.
 Sicher ist sehr viel Geduld und Abgrenzung gefragt. Es ist wichtig, dass auch der nicht betroffene Partner auf seine Grenzen achtet und sich, wenn nötig, Unterstützung von aussen holt.

Wenn der Partner erkrankt, fällt er möglicherweise für lange Zeit aus. Das andere Elternteil muss plötzlich alles allein tragen. Worauf gilt es da zu achten?
Wie bereits erwähnt ist es wichtig, sich Entlastung zu suchen und die Balance für sich selbst zu finden, damit man nicht auch noch Gefahr läuft, auszubrennen. Für Unterstützung und Entlastung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann sich in einem ersten Schritt beraten lassen, welche Optionen überhaupt vorhanden wären. Mehr Informationen findet man dazu auf unsere Homepage von Pro Mente Sana. Allenfalls muss man auch berufliche Anpassungen überprüfen und abklären, zum Beispiel ob eine vorübergehende Pensumreduktion oder mehr Home office möglich wären. Ebenfalls wichtig ist die altersgerechte Kommunikation mit Kindern. Nicht selten holen sich auch Angehörige professionelle Hilfe und lassen sich während dieser herausfordernden Zeit psychotherapeutisch begleiten.

Wie kann ich meinem Partner auf dem Weg zur Genesung unterstützen, ohne dass ich selber ausbrenne?
Selbstfürsorge und eine offene Kommunikation sind das A und O. Gespräche sollen Platz für das Befinden beider Seiten haben. Es ist auch wichtig, gemeinsam kleine Schritte zu planen. Als Partner:in muss man immer auch aufpassen, dass man nicht in eine «therapeutische» Rolle fällt, dafür gibt es Fachpersonen. Wo immer möglich, sollte der Alltag in der Familie eine gewisse Normalität und Routine behalten, man darf auch mal lustig sein und Spass haben. Das Aufrechterhalten kleiner Alltagsrituale kann gerade auch Kindern helfen, besser mit der Situation umzugehen.

Wie kommuniziert man Kindern unter zehn Jahren, was genau los ist, wenn Mami oder Papi aufgrund eines Burnouts ausfallen?
Wie man mit Kindern altersgerecht über psychische Belastungssituationen eines Elternteils kommuniziert, wissen die Expert:innen vom Institut Kinderseele Schweiz IKS am besten.  Wichtig ist, dass man mit den Kindern darüber spricht, sie ernst nimmt mit ihren Fragen und ihnen erklärt, dass Mami oder Papi sie trotz allem sehr liebhaben und es nicht ihre Schuld ist, dass es ihr/ihm gerade nicht gut geht.

Wie erklärt man Teenagern ein Burnout?
Auch hier ist eine offene, altersgerechte Erklärung sowie die Bereitschaft, zuzuhören und Fragen zu beantworten, wichtig. Als Metapher für ein Burnout eignet sich bei Teenager sicher der Akku, der durch Überlastung und Überarbeitung leer ist, sehr gut. Ebenfalls ist es wichtig, Jugendlichen zu vermitteln, dass es nicht ihre Schuld ist und dass sie trotzdem ihr Leben weiterleben und ihren Aktivitäten nachgehen dürfen. Es ist zwar schön, wenn sie kleine Dinge zur Entlastung übernehmen wollen und können, doch sollen sie sich nicht verantwortlich fühlen und sich keinesfalls selbst übernehmen. Teenager sollen wissen, dass man immer ein offenes Ohr hat, wenn sie reden wollen, doch sollte man sie nicht dazu zwingen. Man darf ihnen ruhig mitteilen, dass es total ok ist, wenn sie lieber mit ihren Vertrauenspersonen reden wollen.

Wie schafft man es, trotz Burnout ein Paar/eine Familie zu bleiben?
Mit viel Geduld, einer offenen Kommunikationskultur und viel Akzeptanz für die Bedürfnisse seines Gegenübers. Wenn nötig, kann man sich auch als Paar durch die belastende Zeit beraten und begleiten lassen.

Wie integriert man eine/n Erkrankte/n nach der Therapie, dem Klinikaufenthalt, wieder ins Familienleben und zurück in den Beruf?
Langsam und Schritt für Schritt. Das gilt sowohl für die Rückkehr in den Familienalltag als auch in den Beruf. Offene Gespräche sind auch hier wichtig: was ist zumutbar, was noch nicht? Was gibt der betroffenen Person das Gefühl, nützlich zu sein, ohne sie zu überfordern? Ich würde auch empfehlen, ein gemeinsames Gespräch bei der therapeutischen Fachperson der betroffenen Person durchzuführen. Hier kann dann zum Beispiel eine Art «Krisenplan» erstellt werden. Viele Betroffene tendieren dazu, sich rasch wieder zu überfordern. Deshalb ist es wichtig, zu besprechen, welche Warnsignale es gibt und wie man darauf reagiert.  Genesung ist kein linearer Prozess; deshalb gilt es auch hier, flexibel zu bleiben, Rückschläge als Teil des Prozesses zu sehen und kleine Schritte zu machen.

Wie behandelt man ein Burnout und wie lange dauert die Genesung?
Die Dauer der Behandlung ist sehr individuell und hängt unter anderem damit zusammen, wie früh man darauf reagiert hat und wie stark das Burnout ausgeprägt ist. Das kann mehrere Wochen, Monate, aber manchmal auch Jahre dauern. Es kann sein, dass man längere Zeit beruflich ausfällt und ein Klinikeintritt das Beste ist.  Eine Behandlung beinhaltet in der Regel zunächst einmal das Ziel, für Entlastung zu sorgen und eine gewisse Stabilität wiederherzustellen. Das bedeutet runterfahren, auf Pause drücken und Stress reduzieren. Erst mit der Zeit kann dann therapeutisch gearbeitet werden. Hier schaut man genau hin, wie es zum Burnout gekommen ist, welche Denk- und Verhaltensmuster es in Zukunft anzupassen gilt, wie man mit Stress umgehen und Entspannung und Selbstfürsorge in den Alltag einbauen kann.  Der anspruchsvolle Teil erfolgt dann beim Umsetzen des Gelernten, da wir Menschen Gewohnheitstiere sind und es schnell passiert ist, dass wir wieder in unsere alten Muster fallen. Deshalb lohnt es sich, auch bei der Wiederaufnahme der Arbeit therapeutisch begleitet zu werden und es langsam anzugehen.

Wo finden betroffene Familien Hilfe und Unterstützung?
Oft fällt es uns schwer, um Hilfe zu bitten, doch gerade in einer so herausfordernden Zeit ist es wichtig und richtig, Familie und Freunde, Nachbarn oder andere nahestehende Personen zu kontaktieren und sich so zu organisieren, dass man eben selbst nicht ausbrennt. Neben dem persönlichen Umfeld gibt es auch institutionelle Möglichkeiten der Entlastung. Hierfür lohnt es sich, sich erst einmal über die verschiedenen Angebote beraten zu lassen, zum Beispiel bei Pro Mente Sana. Es gibt aber auch den Entlastungsdienst, Angebote des Schweizerischen Roten Kreuzes, Beratungsstellen für Angehörige uvm. 

Auch kann man den Kontakt mit dem Schulhort aufnehmen, sich mit anderen Eltern zusammenschliessen oder vorübergehend nach einer Haushaltshilfe suchen. Auch Pro Familia und Pro Juventute bieten hier Beratung an. 

Beim Elternnotruf und der Dargebotenen Hand findet man rund um die Uhr ein offenes Ohr, wenn man das Gefühl hat, es wächst einem alles über den Kopf. 

 

Von Maja Zivadinovic (Service-Team) vor 12 Stunden