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Wie man Kinder mithilfe von Nüssen Demokratie erklärt

Seit sie nach einer Fehlgeburt selber Unrecht erfahren hat, setzt sich die Autorin Natascha Sagorski politisch ein. In ihrem neuen Buch zeigt sie, wie man sich niederschwellig engagiert – und sie erklärt, was Eichhörnchen mit Demokratie zu tun haben.

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<p>Schon in der Kita soll man Kindern beibringen, für etwas einzustehen und abzustimmen, sagt Natascha Sagorski.</p>

Schon in der Kita soll man Kindern beibringen, für etwas einzustehen und abzustimmen, sagt Natascha Sagorski.

keystone-sda.ch

«Bei uns daheim ist jeder Wahlsonntag eine Party!», sagt Natascha Sagorski (40). Von klein auf hat sie ihren beiden Kindern vermittelt: Wählen ist etwas Cooles; es ist ein Privileg, dass wir mitbestimmen dürfen. Also werden an Wahlsonntagen bei Sagorskis zu Hause in Unterföhring im Landkreis München Luftballons aufgehängt und Freunde eingeladen, und man spaziert gemeinsam zum Wahllokal.

Das ist in Deutschland eher praktikabel als hierzulande. Bei den Nachbarn wählt knapp die Hälfte per Briefwahl (bei uns sind es über 90 Prozent), und sie haben nicht so viele Wahlen und Abstimmungen.

Wie erklärt man Kindern die AfD?

In ihrem aktuellen Buch «Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen können» zeigt sie auf, wie man mit Kindern über Politik spricht. Ab welchem Alter macht das Sinn? «Meine Kinder sind drei und fünf Jahre alt und das geht dann schon.» Was Demokratie ist, erklärt sie ihnen zum Beispiel mit einer Geschichte aus dem Tierreich. Lässt Eichhörnchen über Nüsse streiten – und abstimmen, ob es einen gemeinsamen Sammeltag geben soll oder ob jedes Tier Nüsse sammeln darf, wann es will. «Anhand des Eichhörnchen-Beispiels lernen Kinder, was es bedeutet, sich einzusetzen, seine Anliegen vorzutragen und dann abzustimmen.»

Child's Hands Holding Hazelnuts.

Haselnüsse können tatsächlich helfen, Kindern ein politisches System zu erklären. 

Getty Images

Zurück zu einem Wahlsonntag. Bei den Landtagswahlen im November erklärte Sagorski ihrem dann Vierjährigen auch, was die AfD für eine Partei ist. Als die AfD die stärkste Kraft wurde, war das ein Schock für sie. Die Familie hat viele Freunde mit einer Migrationsgeschichte, und die Kinder gehen in eine durchmischte Kita. «Warum seid ihr traurig, wenn der blaue Balken hochgeht?», fragte der Bub, als man die Wahlen verfolgte. Sagorski: «Wenn die Blauen an der Macht sind, ist es gut möglich, dass unsere Freunde nicht mehr hier sein dürfen oder weniger Rechte haben, das macht uns traurig.» Wichtig sei es, den Kindern aber Ängste zu nehmen und mit Sätzen wie «Aber alle anderen Balken zusammen sind höher, und wir können uns dafür einsetzen, dass das auch so bleibt» das Gefühl zu geben, dass wir gemeinsam etwas erreichen können.

Demokratische Entschlüsse in der Kita

Sagorski wünscht sich auch, dass man bereits in der Kita demokratische Entschlüsse übt. Etwa, dass die Kinder über das Mittagsmenü abstimmen dürfen. Ein Beispiel aus der Kita ihrer Kinder: Im Morgenkreis dürfen die Kinder selber entscheiden, ob sie etwa mit einer Erzieherin Fussball spielen oder mit einem anderen Erzieher basteln. Es gibt Fotos der Aktivitäten, und die Kinder dürfen einen Punkt da hinkleben, wo sie mitmachen wollen. «So lernen sie früh, Entscheidungen zu treffen», sagt Sagorski.

Zu Hause plädiert sie für einen Familienrat. Da wird gemeinsam über das Essen oder den Familienausflug gesprochen. Damit die Kinder nicht immer Pasta essen oder zum Indoor-Spielplatz gehen wollen, legen die Eltern Auswahlmöglichkeiten fest. Schliesslich sei das eine Demokratie und keine Anarchie. 

«Ja, Familienpolitik ist unsexy, aber zu Unrecht!»

Natascha Sagorski

Gleichzeitig wünscht sie sich auch, dass Eltern sich mehr politisch engagieren. Sie merke eine Demokratieverdrossenheit und sagt: «Ja, Familienpolitik ist unsexy, aber zu Unrecht!» Den Familien fehle die Lobby. Blöderweise stecken die, die es betrifft und die mit vielen Situationen unzufrieden sind, mitten in der strengsten Phase ihres Lebens. Deswegen gibt sie in ihrem Buch niederschwellige Tipps, wie man sich engagieren kann. Es müsse nicht jeder gleich Aktivist werden, es gehe auch anders.

Mit einer Petition zum Beispiel. Man müsse sie auch nicht selber starten; eine zu unterschreiben, sei schon ein Schritt in die richtige Richtung. Sie erklärt, wie man Demos organisiert und wie man Kinder mitnehmen kann. Beim Thema Social Media wird die zweifache Mutter deutlich: «Wir haben genug Bananenbrot-Rezepte auf Instagram!» Man solle lieber politische Missstände thematisieren, die man im Alltag erlebt. Eure Kita schliesst früher wegen Personalmangel? Raus damit! Ihr findet als Familie keine bezahlbare Vierzimmerwohnung? Posten! So ein Thema publik zu machen und sich dafür einzusetzen, mache auch Spass, sagt die 40-Jährige, nicht nur backen und Kinderkleider shoppen.

Durch Ihre Fehlgeburt wurde sie politisch

Sagorski selbst hat vor drei Jahren eine Petition gestartet. Sie erlitt 2019 eine Fehlgeburt. In der zehnten Schwangerschaftswoche hatte sie unter Vollnarkose eine Ausschabung. Danach sagte die Ärztin zu ihr: «Sie brauchen keine Krankschreibung, sie können morgen wieder arbeiten.» Konnte Natascha Sagorski nicht. Ihr ging es körperlich nicht gut, ihr ging es psychisch nicht gut. Sie arbeitete in der PR, wie sollte sie am nächsten Tag einen grossen Kunden treffen? Sie fand heraus, dass das vielen Frauen so geht. Dass Krankschreibungen nach Fehlgeburten selten sind. «Ich dachte immer, Deutschland sei ein familienfreundliches Land, aber da spürte ich zum ersten Mal, was alles schiefläuft.»

Drei Jahre kämpfte sie. Im Januar 2025 wurde das Gesetz des gestaffelten Mutterschutzes eingeführt, im Juni tritt es in Kraft. Der Anspruch verlängert sich mit der Dauer der Schwangerschaft. Ein Beispiel: Verliert man ein Kind in der 17. Woche, hat man Anrecht auf sechs Wochen, ab der 20. Woche hat man Anrecht auf den vollen Mutterschutz, acht Wochen. Sagorski, mittlerweile in der SPD, ist Vorbild für andere. In der Schweiz wurde auch eine Petition gestartet für den gestaffelten Mutterschutz. «Mir sagten alle, dass ich keine Chance habe», sagt Sagorski, «aber am Ende hat sich das Kämpfen ausbezahlt.»

Von Alexandra Fitz vor 11 Stunden