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Auf einen Espresso

Über Mundart, die Muttersprache und Sprachmelodien

Frank A. Meyer und Marc Walder - Fragen und Meinungen zu den Themen der Woche.

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Frank A. Meyer, 67, (l.) arbeitet als Journalist im Hause Ringier. Marc Walder, 45, ist CEO Ringier Schweiz und Deutschland.
Thomas Buchwalder

Sagen Sie mal, Frank A. Meyer, im Kanton Genf müssen die Schüler neuerdings Schweizerdeutsch lernen. Obligatorisch. Was halten Sie davon?
Es verschlägt mir die Sprache.

Versuchen Sie trotzdem, etwas dazu zu sagen!
Erstens gibt es kein Schweizerdeutsch. Zweitens kann man es nicht lernen. Drittens ist die Muttersprache der Deutschschweizer überhaupt kein dringliches Lernziel für Schüler in Genf, Lausanne, Sion oder Delémont.

Wie kommen Sie darauf, dass es kein Schweizerdeutsch gibt?
Mich als Berner kränkt der Begriff Schweizerdeutsch. Es gibt Berndeutsch, es gibt Zürichdeutsch, es gibt Bündnerdeutsch – aber doch kein Schweizerdeutsch! Die Bündner haben ihre besondere Umgangssprache, wie auch die Thurgauer oder die Walliser, die ich bisweilen nur mit Mühe verstehe.

Worauf wollen Sie hinaus?
Auf die entscheidende Frage, was genau die Genfer Schüler denn da lernen sollen. Die Idiome der Deutschschweiz sind ganz unterschiedlich ausgeprägt: Stadtzürcher zum Beispiel wirken auf mich als Berndeutschen vulgär, was natürlich ungerecht ist. Ich sage es mal so: Ein Zürcher Journalist kann kein liebenswürdiges Interview machen; ein Bündner hingegen nur ein liebenswürdiges, denn alles Harte geht seiner sanften Tonalität ab; der Basler wiederum klingt immer von oben herab, leicht überheblich. Wussten Sie übrigens, dass Berndeutsch die Sprache der Tiere ist?

Die Sprache der Tiere?
Die berndeutsche Sprachmelodie wirkt vertrauenserweckend, anheimelnd, beruhigend. Reden Sie einmal einige Minuten Berndeutsch mit einer Ente. Sie werden sehen, sie kommt Ihnen entgegengeschwommen, samt Jungen, sie hört Ihnen zu. Ich habe das auch mit Pferden erfolgreich ausprobiert, ja sogar mit deutschen Amseln.

Auf mich wirkt das jetzt eher esoterisch als beruhigend. Aber zurück zum Kanton Genf. Sie sagten, man könne Schweizerdeutsch nicht lernen. Wieso eigentlich nicht?
Weil man es nicht lernt, sondern damit aufwächst. Allenfalls wächst man als Romand – wenn man lange genug in Bern lebt, in Zürich oder in St. Gallen – in eine Deutschschweizer Umgangssprache hinein.

Drittens behaupten Sie, Schweizerdeutsch sei für die Westschweizer Schüler nicht wichtig – weshalb?
Deutsch ist wichtig.

Sie meinen Hochdeutsch?
Hochdeutsch ist die Sprache unserer Kultur. Wir gehören zum grössten europäischen Sprachraum, auch zum wirtschaftlich bedeutendsten. Das perfekte Beherrschen seiner Sprache ist für Kinder und Jugendliche von grösster Bedeutung, wenn sie sich in der deutschen Kultur erfolgreich bewegen wollen.

Sie irritieren mich. Wollen Sie das Schweizerdeutsch abschaffen?
Lieber Marc Walder, wie können Sie diese Frage stellen, wo ich doch gerade meine innige Liebe zum Berndeutsch bekannt habe? Wenn die Romands unsere deutschschweizerischen Kleinstsprachen mögen und achten, dann ist das wunderbar. Lernen aber sollen sie Hochdeutsch, wie auch die Deutschschweizer Kinder möglichst früh Hochdeutsch lernen sollten …

… Sie spielen auf die SVP-Initiative «Mundart im Kindergarten!» an.
Der Wunsch, die Schweiz möge ihre Ausdrucksfähigkeit aufs Schweizerdeutsche reduzieren, spiegelt das Weltbild dieser Partei: Ihre Welt ist die Schweiz, und die Schweiz ist für sie die Welt. Solch ein beschränktes Weltempfinden ist den jungen Deutschschweizern, die es gewohnt sind, ohne Pass kreuz und quer durch Europa zu reisen, die im Swiss-Shuttle auch schnell mal für ein Wochenende nach Berlin fliegen, nicht zuzumuten. Die Muttersprache der Tessiner Schüler ist die Kultursprache Italienisch. Die Muttersprache der Romands ist die Kultursprache Französisch. Diese Selbstverständlichkeit gibt es für die Deutschschweizer Schüler nicht. Sie müssen ihre Kultursprache erst erlernen – das Hochdeutsch.

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Von SI am 19. November 2012 - 13:04 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 23:16 Uhr