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Notabene Chris von Rohr

Bröckelnde Demokratie

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr, 64, schreibt in seiner neuesten Kolumne über die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI). 

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Chris von Rohr Notabene-Autor
Daniel Rihs

Zur Erinnerung: Eine Mehrheit der Stimmbürger und der Kantone hat sich für eine klare Senkung und eigene Kontrolle der freien Zuwanderung in die Schweiz ausgesprochen. Wie übrigens zig andere zivilisierte Länder, etwa Norwegen, Australien, Kanada, Neuseeland und neuerdings auch England. Und so steht es heute in der Bundesverfassung. Eine Regelung, die durchaus Sinn macht, da der vorausdenkende Mensch nicht alles dem grenzenlosen Wachstum unterordnet. Die gesunde Balance zwischen liberalisierten Märkten und der Aufrechterhaltung nationaler Autonomie ist ein guter Plan.

Unter der Ägide des Juristen und ewigen Solothurner Stadtpräsidenten Kurt Fluri beschloss eine staatspolitische Kommission, wie sie die MEI umsetzen will - nämlich gar nicht. Die nebligen Scheinkonzessionen fühlen sich an, als hätten wir gar nie abgestimmt. Parteipolitische Ränkespielchen und ein mutloses, eigenmächtiges Parlament setzen nicht im Entferntesten das um, wofür sich der Stimmbürger ausgesprochen hat. Ein Schlag ins Gesicht. Sollte die EU ihr Riesenproblem mit der Personenfreizügigkeit nicht bald selbst neu regeln, muss wohl der Schweizer Stimmbürger erneut an die Urne.

Alles ist verhandelbar

Ich hab null Mühe damit, wenn andere Menschen andere Positionen vertreten - so sind das Leben und die Politik. Es gibt ja bekanntlich immer mehrere Sichtweisen und Wahrheiten - im Nachhinein lernen wir dann, was falsch oder richtig war. Aber ich habe ein Riesenproblem, wenn man mir auf die doofe Tour kommt und ein ganzes System aushebeln will. Volksentscheide kann man diskutieren oder auch leicht modifizieren, aber sie sind zu respektieren und umzusetzen.

Selbst Top-Diplomaten und verdiente Ökonomen sagen heute, dass die bröckelnde EU die Bilateralen nie künden würde, weil sie selbst in Milliardenhöhe von diesen Verträgen profitiert. Seit dem Brexit plus dem ungelösten Griechenlandchaos, gepaart mit der Euro-Fehlkonstruktion und anderen Krisenherden, mündet in Brüssel langsam Überheblichkeit in Ernüchterung. Warum also diese unsägliche Angst unserer Volksvertreter und nicht mehr Selbstvertrauen, während einzelne EU-Länder bereits ihre eigenen Verträge brechen und unseren Verfassungsartikel umsetzen, und zwar in verschärfter Form? Ich habe im Leben gelernt: ALLES ist verhandelbar, wenn man sinnvolle Argumente, Schnitt und Rückgrat hat. Die Signale aber, die man als Verhandler aussendet, dürfen keinesfalls so ängstlich und unterwürfig sein wie die Maus vor der Schlange. Das ist tödlich.

Wir müssen mehr historisches Bewusstsein entwickeln

Wir haben in der Schweiz seit langer Zeit eine einmalige und erfolgreiche Formel der direkten Demokratie, wo von unten nach oben bestimmt wird. Wo der Stimmbürger korrigierend eingreifen kann, wenn abgehobenen Berufspolitikern wieder mal die Gäule durchgehen, und das ist leider immer öfter der Fall. Ein Rezept, um das uns die ganze Welt beneidet. Das soll nun, weil einigen Andersdenkenden die Abstimmungsresultate nicht passen, (sie nennen es dann abwertend «Diktatur des Volkes und der Populisten»), unterwandert werden. Das ist gefährlich. Nach genauem Betrachten unserer Abstimmungsgeschichte wird schnell klar: Der Stimmbürger, der im rauen, harten Alltag steht, hatte sicher nicht immer, aber meist die feinere Antenne als die Berufspolitiker und richtete mit Abstand weniger Schaden an als jene, die glaubten zu wissen, was gut für Land und Leute sei.

Es sollte uns zu denken geben, dass professionelle, von uns Wählern aufgestellte Menschen dieses Staates schlicht verweigern, die Probleme zu sehen oder besser zu deuten. Sie spüren immer noch nicht, dass von England über Amerika bis hin zu Europa die Menschen diese Form der uferlosen Zuwanderung und Hyper-Globalisierung schlicht nicht mehr akzeptieren. Was muss noch passieren? Eine Kanzlerin gestürzt werden? Ganze Staaten pleitegehen? Noch mehr Hass? Realitäten können nicht einfach ausgeblendet werden, weil sie den Politikern nicht passen.

Wir müssen mehr historisches Bewusstsein entwickeln, uns wehren und erkennen, dass demokratische Errungenschaften nicht für alle Ewigkeit gegeben sind. Es wäre fatal, wenn unsere wertvollen und freien Abstimmungen zu dem verkommen, was sie in Rest-Europa und noch drastischer in Lateinamerika schon längst sind: Farcen - nur noch kurze Missfallenskundgebungen und unverbindliche Anregungen an die politische Elite, die sie artig in den Verfassungstext schreibt und dann einfach kalt lächelnd ignoriert und weiterwurstelt. So geht das nicht!

Von Chris von Rohr am 27. September 2016 - 10:22 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:50 Uhr