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Ein Jugendlicher erzählt

Wenn der Online-Spass zur Sucht wird

Die Welt ist vernetzt, die Jugend von heute online. 97 Prozent von ihnen haben ein Handy und nutzen es mehrere Stunden täglich. Bei Tobias, 22, haben Computer und Smartphone Überhand genommen, er ist abhängig von der digitalen Droge und lässt sich therapieren. Aber wann ist viel zu viel? Und wie können Eltern verhindern oder eingreifen?

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Smartphone Jugendliche online

Teenager sind mehrere Stunden täglich online, da bleibt wenig Zeit für anderes.

iStockphoto

Am Anfang warens zwei Stunden. Aber nur an den Wochenenden, wie mit den Eltern vereinbart. Später, während der Kanti, wurdens gegen fünf Stunden täglich. Nach der Matur acht Stunden, nicht selten bis in die Nacht hinein. «Ich fühle mich da einfach hingezogen», beschreibt Tobias* sein Problem im Gespräch mit SI online. «Da» sind nicht etwa Zigaretten. Oder Alkohol oder Drogen. Mit «da» meint er seinen Computer und sein Smartphone. Tobias ist 22-jährig, zurzeit arbeitslos - und onlinesüchtig. Games habens ihm angetan, Internetforen, TV-Serien und Youtube. Sie lassen ihn «ausklinken», ein wichtiger Begriff für den Zürcher. Für ihn bedeutet er: Abtauchen in eine andere, virtuelle Welt, «ohne Verantwortung, ohne den Anspruch, erwachsen und fleissig werden zu müssen».

Uns mittels elektronischer Gadgets ausklinken - das tun wir heute alle oft und gerne. Es gibt hierzulande kaum mehr jemanden ohne Computer, Laptop und Smartphone. Allen voran die Jugendlichen. Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Swisscom zeigts eindrücklich: 97 Prozent der 12- bis 19-Jährigen besassen 2014 ein eigenes Handy. Nachrichten und Fotos verschicken, soziale Netzwerke wie Facebook unterhalten, Videos schauen oder gamen sind aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die durchschnittliche Online-Zeit bei 14- bis 49-Jährigen beträgt pro Tag 162 Minuten, wie aus einer deutschen Untersuchung hervorgeht. US-Teenager verbringen laut Common Sense Media sogar neun Stunden täglich mit Computer und Smartphone.

Ein Teufelskreis entsteht
Als onlinesüchtig gelten sie deshalb aber noch nicht. «Der Zeitfaktor ist kein Suchtkriterium», sagt Franz Eidenbenz, Psychologe und Leiter Behandlung des Zentrums für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte in Zürich, gegenüber SI online. Wesentlicher sei die Unkontrollierbarkeit. «Wenn das online sein wichtiger ist als alles andere.» Oder andersrum: «Wenn Hobbys und Freunde aus dem Real Life immer weniger wichtig werden und sich alles in die virtuelle Welt überträgt», wie Isabel Willemse sagt, Medienpsychologin und Therapeutin mit Schwerpunkt Onlinesucht. 1 bis 5 Prozent, je nach Studie, sind heute onlinesüchtig - eine Suchtform, die sich nicht einfach ablegen lässt und mit Alkohol- oder Drogenabhängigkeit vergleichbar ist. «Probleme in der Schule oder im Lehrbetrieb, aber auch daheim in der Familie können die Folge sein - manchmal aber auch die Ursache.»

Tobias ist Paradebeispiel. Soll ich jetzt lernen oder surfen? Die Entscheidung fiel bald nur noch auf Letzteres. Bis seine Schulnoten so schlecht waren, dass er ein Jahr wiederholen musste. Und am Ende ganz von der Kantonsschule flog. «Meine Eltern waren verzweifelt.» Im Privatgymnasium holte er schliesslich die Matura auf den letzten Drücker nach. «Auch da war ich nicht fleissig. Aber irgendwann war mir klar: Jetzt machst du diese Matur oder gar nie mehr.» Sein Biologie-Studium brach er anschliessend ab, den Numerus Clausus in Medizin bestand er nicht. Jetzt will er sich ein Praktikum in einem Spital suchen und es nächstes Jahr nochmals mit dem Vorhaben, Arzt zu werden, probieren. Vielleicht. Kriminalistik wäre aber auch spannend.

Eine Entscheidung zu treffen fällt ihm spürbar schwer. «Es gibt so viele Studienmöglichkeiten, das sind alles Ideen. Keine Ahnung, wie ernst ich die nehmen soll. Mal schauen.»

Handyfreie Zeit
Mit 97 Prozent jugendlichen Handynutzern ist das Maximum so gut wie erreicht. «Das nächste wird wohl sein, dass immer mehr Alltagsdinge internetfähig werden», mutmasst Medienforscherin und Therapeutin Isabel Willemse. Dass die Grenze zwischen Online und Offline für Jugendliche noch schwieriger zu ziehen ist. Aber: Es sei durchaus möglich, dass ein Gegentrend folgen werde. Dass offline sein für ein paar Tage plötzlich trendy ist.

Eine Tendenz lässt sich schon heute feststellen. In Deutschland gibts «Offline-Camps», in denen sich die Teilnehmer freiwillig für einige Tage von ihrem Smartphone trennen und sich stattdessen gemeinsam Outdoor-Aktivitäten widmen. Ein Berliner Start-up hat gerade die App «Offtime» entwickelt, die - je nach persönlichen Einstellungen - die Verbindung zum Internet trennt, Apps blockiert oder eingehende Anrufe nicht mehr anzeigt. Und in der Schweiz findet am 19. November 2015 die erste «Digital Detox-Konferenz» statt. Die Teilnehmer werden am Eingang ihre Handys abgeben müssen, um zu testen, «wie sich ein kurzfristiger Detox anfühlt», schreiben die Veranstalter.

Die permanente Berieselung und Erreichbarkeit per Whatsapp, Facebook und anderen Online-Netzwerken bald total out? Bei Teenagern heute noch nicht vorstellbar. Bis dahin sind die Eltern gefragt, sie sind die Vorbilder, ist sich Willemse sicher. «Kinder bemerken jeden kurzen Blick aufs Smartphone oder Tablet.» Das «richtige» Alter für das erste Handy gebe es jedoch nicht. Umso mehr müssen zu Hause klare Regeln herrschen, handyfreie Nachmittag oder Abende zum Beispiel. Ein Vertrag kann da hilfreich sein, inzwischen existieren Vorlagen im Internet. Wenn sämtliche Regeln und Massnahmen nicht mehr greifen, muss aber professionelle Hilfe her.

Bei Tobias wars vor vier Jahren so weit, als er vom Gymi fiel. Seither besucht der 22-Jährige den Psychologen Franz Eidenbenz in unregelmässigen Abständen, auch gemeinsam mit der Familie. «Das ist ganz wichtig», sagt sein Therapeut. «Eine Verhaltenssucht betrifft auch die Angehörigen.» Wo steht Tobias heute? Die Frage soll sein Patient selbst beantworten. Der tut sich schwer. «Ich weiss inzwischen, dass Gamen keinen Sinn macht. Es ist Zeitverschwendung», sagt er. Räumt aber ein: TV-Serien seien jedoch immer noch ein grosses Thema. Und: «Beruflich stehe ich noch immer im Regen.»

*Name der Redaktion bekannt.

am 18. November 2015 - 14:21 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:44 Uhr