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Politik

Frau Merz rechnet ab

Die Frau des Finanzministers, Roswitha Merz, über ihr Leben unter Beobachtung, ihre Wünsche für die Zukunft – und warum ihr Mann sie nicht um Rat fragte, als er sich den Rücktritt überlegte.

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Verspielt: Hans-Rudolf Merz ist Kassenwart der Nation. Roswitha, 69, vermatscht zu Hause in Herisau AR alte Geldnoten, löst die Farbe und schafft so neue Bilder.
Fabienne Bühler

Er hat sie nie gefragt. Hans-Rudolf Merz, 67, verzichtete auf den Rat seiner Frau, als er mit der Frage rang, ob er zurücktreten soll. Er fragte sie auch 2003 nicht nach ihrer Meinung, als er sich zur Bundesratskandidatur entschied. Und schon 1997 wussten Aussenstehende lange vor Roswitha Merz, 69, dass der Ausserrhoder als Ständerat antritt. «Wie bitte? Dich kann man überhaupt nicht allein lassen!», protestierte seine Frau, als sie von einer Reise zurückkehrte und erfuhr, dass ihr Mann Politiker wird.

Allerdings: Wäre sie gefragt worden – sie hätte die Frage zurückgereicht: «In dir drin muss es für dich stimmen.» So eine Entscheidung könne einem niemand abnehmen. Kommt hinzu, dass die Frau Bundesrat behauptet, sie könne «leider überhaupt nicht politisch denken».

Sie sind ein ungleiches Paar: Der kleine, quirlige Ausserrhoder und die gebürtige Düsseldorferin mit den heiteren Gesichtszügen. Sie ist einen Kopf grösser, füllt den Raum mit ausladenden Bewegungen. Ruhig, aber unermüdlich erzählt sie tausend Anekdoten und spielt die Situationen auch gleich nach.

Wie findet so ein Paar zusammen? «Oh, er war ein hübscher Mann! Die Augen, die dieser Mensch hat!» Aber Liebe auf den ersten Blick wars nicht: Er brachte sie mit einem unbedachten Wort sofort gegen sich auf. Er war der Sohn ihres neuen Chefs. Die Düsseldorferin sass am ersten Abend in Herisau AR mausbeinallein in einer Nische im Restaurant Löwen. «Da tauchte ein Schatten vor mir auf. ‹Fräulein Schiller? Mein Vater hat mir sein Auto gegeben. Ich muss Sie nach St. Gallen ausfahren.› Ich hätte ihm eine Ohrfeige geben können, wegen diesem ‹Muss›.»

Eine Villa etwas über dem Ort, angeschrieben in grossen Lettern mit nur einem Namen: «Dr. Hans-Rudolf Merz». Die Schweizer Illustrierte hat die Bundesratsgattin gebeten, abzurechnen, eine Bilanz der Jahre an der Seite des Finanzministers zu ziehen. Sie empfängt uns in Herisau. Im Untergeschoss befindet sich das Büro von Roswitha Merz und auch ihr Schlafzimmer. Die oberen Stockwerke tragen den Stempel des Gatten, sind unverkennbar sein Lebensraum. Da dominieren seine Alpaufzüge, Landschaftsbilder. Unten hingegen steht moderne Kunst. Roswitha Merz ist im Vorstand des St. Galler Kunstvereins. Und: Sie ist selbst Künstlerin.

Im Hause Merz werden geschredderte Banknoten gekocht, püriert – schon zwei Mixer überlebten die Aufgabe nicht. Roswitha Merz gewinnt so die Farbstoffe und Silberfäden, den Rohstoff für ihre Bilder. Und während für den Finanzminister Schwarzgeld zum Albtraum wurde, spielt Roswitha Merz mit dem Thema: Banknoten-Schnipsel und schwarze Farbe auf Leinwand «Schwarzgeld» heisst ein Bild von ihr, das der Kunstkenner und Anwalt Peter Nobel seiner renommierten Sammlung hinzugefügt hat.

Roswitha Merz zieht Bilanz: «Es war an der Zeit, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt», dass sie und ihr Mann ihr altes Leben wieder aufnehmen, das nicht getrieben war von der politischen Agenda, das ohne Dauerbeobachtung der Medien stattfand. «Jetzt geht endlich das Leben A weiter.»

Das Ausgestelltsein war das eine. Im Fall Merz kommt noch die Häme hinzu, mit welcher der Appenzeller Bundesrat zur Witzfigur gestempelt wurde. «Ich weiss es besser! Die sollen schreiben, was sie wollen, das hat mich nicht gestört», sagt sie trotzig. Erst ganz zuletzt fügt sie hinzu: «Manchmal hat es mich schon wütend gemacht. Aber was solls?» Doch wenn sie auf der Strasse angesprochen wurde: «Sind Sie nicht die Frau Merz?», dann sei sie versucht gewesen, zu erwidern: «Ja. Stört Sies?»

Tragisch die Zeit nach dem Infarkt: Da kämpft der Gatte im Berner Inselspital um sein Leben, und die Leute zerreissen sich das Maul darüber, ob die Frau, die den Bundesrat fand, seine Geliebte sei. «Das Geschwätz hab ich auch gehört.» Und? «Jesses, geht euch das etwas an?» Gerede gebe es immer, sie sei hart im Nehmen. Wichtig ist ihr, dass ihr Mann gesund wurde: «Als er wieder bei Bewusstsein war und die ganze Familie erkannte – da atmeten wir auf!»

Inzwischen ist ihr Mann wieder fit. «Der geht doch tatsächlich hier zur Stube raus und läuft in einem ‹Schnurpf› auf den Säntis!» Ganz der einstige Marathon- und Waffenläufer. Ihre Welt sei das ja überhaupt nicht.

Nur einmal war sie als Zuschauerin bei so einem Waffenlauf. «Aber nicht mit einem Zitronenschnitz am Strassenrand. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die ihren Mann wie ein Vögelchen füttern.» Sie stand beim Zieleinlauf und war perplex: «Noch nie habe ich so viele hässliche Männer gesehen!» Als Künstlerin und gelernte Modedesignerin denkt Roswitha Merz in Bildern und machte sich einen Reim aus ihrer Beobachtung. «Ich hab meinem Mann gesagt: ‹Du, die laufen doch alle vor sich selbst davon!›»

Was macht ein so ruheloser Mensch nach dem Rücktritt? Roswitha Merz ist nicht eingeweiht in die Pläne ihres Gatten. «Nur die Eisenbahn für den Enkel aufbauen? Das seh ich nicht.» Klar, ihr Gatte sei für den vierjährigen Laurenz der beste Opa der Welt. «Aber wenn man sieht, wie der Mann umherrennt, was der sich alles merkt mit seinem Computer-Hirn – ich halte ihn für fähig, noch einmal etwas ganz anderes anzufangen.»

Gemeinsame Pläne habe das Ehepaar keine. Oder doch: Vor Jahren hatten sie mal versucht, die Schweizer Grenze abzuwandern. Sie kamen bis Lausanne. Roswitha Merz würde diesen Faden gern wieder aufnehmen.

Was bleibt von dieser Zeit? «Früher sind mein Mann und ich viel gereist. Nun kam die Welt zu uns.» Der russische Präsident Dmitri Medwedew etwa «ist so ein lieber Mensch!». Mit seiner Frau Swetlana Medwedewa habe sie sich auf Anhieb bestens verstanden.

Als Gattin des Bundespräsidenten hatte Roswitha Merz unversehens repräsentative Verpflichtungen. Zum Beispiel ein Essen für 108 Botschaftergattinnen. «Ich wehrte mich: ‹Das mach ich nicht. Das kann ich nicht. Das will ich nicht.› ‹Doch, du musst›, sagte mein Mann. ‹Ich muss überhaupt nichts!› Wir haben fast Krieg bekommen.»

Zum Schluss musste sie tatsächlich und hielt eine Rede. Die diplomatischen Begrüssungsformeln liess Roswitha Merz weg. Stattdessen verglich sie die Frauen im Raum mit einem Blumenbouquet. Als die improvisierte Ansprache zu Ende war, kam eine SMS. «Ich erschrak schrecklich! Hab ich wieder etwas falsch gemacht?» Nein. «Es hat die Runde gemacht: Du hast deine Sache gut gemacht», lobte ihr Mann.

«Kürzlich lag ich im Garten an der Sonne und dachte: Eigentlich war es eine schöne Zeit. Aber warum? Dann wurde mir klar: Weil ich mir treu geblieben bin.»

Von Sascha Buchbinder am 17. August 2010 - 15:20 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 19:51 Uhr