Menschen, die auf Rache an ihrem Noch–Ehepartner aus sind, begegnen Scheidungsanwältin Estell Baumann «leider noch immer häufig». Im Interview mit spot on news erklärt die Autorin von «Scheidung ohne Scherben» (GU, 9.5.), wie man mit diesen Gefühlen umgeht. Baumann ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach und gibt in ihrem Buch nicht nur juristische Ratschläge, sondern auch Tipps zur emotionalen Verarbeitung von Trennung und Scheidung. Hier erklärt sie, welchen Fehler viele Scheidungswillige machen, um was Ex–Paare neben Geld am meisten streiten und ob sie noch zur Ehe raten würde.
Frau Baumann, Sie haben gerade Ihr Buch «Scheidung ohne Scherben» veröffentlicht. Wie oft erleben Sie in Ihrer Praxis friedliche Scheidungen?
Estell Baumann: Erfreulicherweise häufiger als viele denken. Etwa die Hälfte der Scheidungen, die ich begleite, verlaufen in einem respektvollen, kooperativen Rahmen. Das heisst nicht, dass es keine Streitthemen oder Emotionen gibt – aber die Paare entscheiden sich bewusst dafür, einen konstruktiven Weg zu gehen, vor allem wenn Kinder beteiligt sind.
Rund um das Thema Scheidung ranken sich, wie Sie auch schreiben, viele Mythen. Was ist der grösste Irrglaube, dem Sie in Ihrer Praxis am häufigsten begegnen?
Baumann: Ein weitverbreiteter Irrglaube ist, dass man mit einem «guten Anwalt» automatisch den Ex–Partner «besiegen» kann. In Wahrheit verlieren alle, wenn ein Rosenkrieg entfacht wird. Emotional, finanziell und oft auch familiär. Der perspektivisch wesentlich sinnvollere Weg ist Zusammenarbeit, nicht Konfrontation. Dies in der frischen Trennung zu erkennen, fordert jeden Ehepartner und man muss schon relativ reflektiert sein, um diese Option zu sehen.
Lassen sich Ehepaare heutzutage aus anderen Gründen scheiden als in den Generationen zuvor?
Baumann: Ja, das hat sich gewandelt. Früher standen oft existenzielle Gründe oder gesellschaftlicher Druck im Vordergrund, heute geht es mehr um persönliche Erfüllung, emotionale Nähe und Kommunikation. Wenn diese Aspekte dauerhaft fehlen, wird häufiger die Trennung gewählt.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie den Eindruck haben, dass manche Ehen zu früh und zu leichtfertig aufgegeben werden. Woran liegt es, dass Trennung vor Beziehungsarbeit gestellt wird?
Baumann: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Schnelligkeit und Austauschbarkeit Normalität geworden sind. Schneller, höher, weiter – das gilt auch in der Vorstellung der Traumbeziehung. Viele Menschen haben nie gelernt, wie man Krisen gemeinsam übersteht. Gleichzeitig fehlt oft der Raum für echtes Miteinander und damit auch die Chance, gemeinsam zu wachsen.
Sie führen in Ihrem Buch durch die verschiedenen Phasen der Trennung und Scheidung. Wie viele Mandanten und Mandantinnen haben sich im Laufe dieses Prozesses noch einmal umentschieden und ihre Ehe gerettet?
Baumann: Das ist selten, aber es kommt vor. Ich erinnere mich an ein Paar, das während der Mediation wieder zueinandergefunden hat, weil sie sich zum ersten Mal seit Langem wirklich zugehört haben. Aber meist ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn die Eheleute anfangen, sich mit Scheidungsthemen zu befassen.
Vielen Menschen wird erst bei der Scheidung klar, welchen Vertrag sie bei der Eheschliessung unterschrieben haben. Wäre eine Beratung hier schon vor der Hochzeit sinnvoll?
Baumann: Absolut. Eheverträge sollten nichts Bedrohliches sein, sondern ein Ausdruck von Verantwortung und Weitblick. Eine Beratung vor der Eheschliessung kann viele spätere Konflikte vermeiden und führt oft auch zu einem besseren gegenseitigen Verständnis.
Wenn man sich zur Scheidung entschliesst: Wie findet man den Anwalt, der zu einem passt?
Baumann: Es sollte nicht nur die fachliche Qualifikation stimmen, sondern auch die menschliche Ebene. Ich rate dazu, auf ein erstes Gespräch zu achten: Wird wirklich zugehört? Wird auf Augenhöhe gesprochen? Und wird ein Weg gesucht, der zu den individuellen Bedürfnissen passt und nicht nur die Standardlösung ist?
Was sind aus Ihrer Erfahrung die grössten Fehler, die Menschen beim Thema Trennung oder Scheidung machen?
Baumann: Zu schnell zu handeln, sei es aus Wut, Schmerz oder verletztem Stolz. Viele unterschätzen, wie viel klüger es ist, erst einmal Klarheit zu gewinnen, sich rechtlich wie emotional gut aufzustellen und dann besonnen zu entscheiden. Ein weiterer Fehler ist, Kinder in den Konflikt hineinzuziehen.
Sie sind nicht nur als Anwältin, sondern auch als Mediatorin und Coach tätig. Im Buch sprechen Sie auch CLP an. Wann ist es für Scheidungswillige ratsam, sich neben einem anwaltlichen Beistand weitere Begleitung zu suchen?
Baumann: Immer dann, wenn man merkt, dass die Trennung nicht nur juristische, sondern auch tiefe emotionale oder kommunikative Themen berührt (was fast immer der Fall ist). CLP (Collaborative Law and Practice) vereint Recht und Mindset und ist besonders geeignet für Paare, die gemeinsam eine tragfähige Lösung eigenverantwortlich erarbeiten wollen.
In Ihrem Buch geht es nicht nur um juristische Fakten, sondern auch um Selbstreflexion und emotionale Verarbeitung. Wie oft begegnen Ihnen Menschen, die in erster Linie Rache nehmen wollen an ihrem Ex–Partner?
Baumann: Leider noch immer häufig. Der Wunsch nach Rache entspringt meist tiefer Verletzung. Es ist wichtig, diesen Gefühlen Raum zu geben, aber sie sollten nicht das Steuer übernehmen. Denn am Ende schadet man sich damit oft selbst am meisten.
Ein Thema, um das es viel Streit gibt, ist Geld. Viele Menschen fürchten finanzielle Unsicherheit nach einer Trennung. Was raten Sie in solchen Fällen?
Baumann: Sich frühzeitig beraten zu lassen juristisch und finanziell. Wer seine Rechte und Pflichten kennt, kann besser planen. Ausserdem ist Offenheit zwischen den Ex–Partnern hier essenziell. Und: Lieber eine faire Einigung als ein jahrelanger Streit, der sämtliche Ressourcen aufzehrt (Nerven, Geld und Zeit).
Um welche Hausratsgegenstände wird in der Regel am heftigsten gestritten?
Baumann: Erstaunlich oft um Dinge mit ideellem Wert. Fotos, Erinnerungsstücke, Geschenke. Symbolträchtige Gegenstände werden schnell zu Stellvertretern für ungelöste Konflikte. Manchmal lohnt es sich, sich zu fragen: Geht es mir wirklich um die Vase oder um das, was sie bedeutet?
Gibt es einen Scheidungsfall aus Ihrer Praxis, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Baumann: Ja, ein Paar, das sich nach 45 Jahren Ehe trennte. Mit Respekt, Würde und Liebe. Sie haben gemeinsam entschieden, getrennte Wege zu gehen, aber mit einem gemeinsamen Blick auf die Familie. Das hat mich tief berührt und gezeigt: Eine Scheidung kann auch ein Akt von Reife sein.
Würden Sie Paaren noch zur Ehe raten? Und wenn ja, was sind die Vorteile?
Baumann: Ja, wenn sie sich der Tragweite bewusst sind. Eine Ehe kann ein starkes Fundament für Verbindlichkeit, Vertrauen und gemeinsame Entwicklung sein. Aber sie ist kein Selbstläufer. Wer bereit ist, auch durch schwierige Phasen zu gehen, kann in der Ehe tiefe Erfüllung finden.