Die Indie–Rock–Band Leoniden aus Kiel veröffentlicht am 23. August ihr neues Album «Sophisticated Sad Songs». Sänger Jakob Amr und Gitarrist Lennart Eicke sprechen im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über traurige Lieder, Liebeskummer und deutsche Songtexte. Zudem verraten die beiden, welche Folgen ihre energetischen Performances schon hatten, warum sie gerne Diebesgut bei Auftritten sammeln und ob sie eine internationale Karriere anstreben.
Euer Album heisst «Sophisticated Sad Songs»: Was bedeutet «sophisticated» in diesem Fall?
Jakob Amr: Die deutsche Übersetzung von «sophisticated» ist ein bisschen schwierig, anspruchsvoll trifft es schon gut. Es geht darum, einmal klarzustellen, dass wir eigentlich, seit es uns gibt, «sophisticated sad Songs» schreiben. Das Bild, was man hätte, wenn man nur diesen Titel hört, ist definitiv ein Nebel am Boden und ein grosser Flügel und dann kommt jemand im Anzug und klagt mit tiefer Stimme voller Vibrato sein Leid. Aber was wir tun, ist rein faktisch genau das: Wir schreiben schon immer sehr lange und akribisch an Sachen und widmen uns inhaltlich traurigen Themen. Diesem Partyband–Stigma, was wir haben, wollen wir das jetzt einmal entgegensetzen. Ja, es ist eine Party, aber vielleicht eine eher traurigere Party.
Lennart Eicke: Ich glaube, unter «sad Songs» wüsste jeder, was gemeint ist. Wenn man sich jetzt, wie Jakob gerade beschrieben hat, an dieses Klavier setzt und traurig Tom–Odell–mässig rauslässt, was alles so Trauriges in einem drin ist, dann ist irgendwie klar, was gemeint ist. Wir interpretieren auch all diese Gefühle, nur eben anders als ein Tom.
Gefühle lassen sich womöglich in seiner Muttersprache besser ausdrücken, war auf Deutsch singen mal ein Thema für euch?
Lennart: Es ist lustig, dass wir gerne zu deutschen Pop–Acts gezählt werden. Musikalisch ist das wirklich weit weg von dem, was wir machen. Wir sind musikalisch sozialisiert durch Radiohead oder Nirvana. Jeder Band wird in Deutschland nahegelegt, etwas deutschsprachig zu machen, aber in einer Welt, die viel globalisierter ist, als sie es vor 20 oder 30 Jahren war, finde ich das absurd. Jeder spricht hier Englisch und guckt Netflix auf Englisch, aber alle machen auf einmal Musik auf Deutsch. Die Welt ist doch eigentlich so grenzenlos. Warum begrenzt man sich dann?
Jakob: Mittlerweile ist es zu einem Running Gag geworden, dass wir sagen: «Das nächste Album machen wir auf Deutsch.» Deutsch ist auch eine total super Sprache, aber es ist oft schon sehr lyrisch und verkopft.
Im Song «A Million Heartbreak Songs» geht es darum, dass auch wenn der Millionste «Heartbreak Song» endet, ein weiterer folgen wird. Was ist denn euer Rezept gegen Liebeskummer?
Jakob: Ich glaube, genau wie die erste Zeile im Song sagt: Sowohl meine Freunde als auch Familie haben mir dazu geraten, mich einfach abzulenken, bis es sich wieder okay anfühlt. Es ist der beschissenste Tipp, den man kriegen kann, weil so richtig okay fühlt es sich eigentlich nie an. Manchmal ist es gut, sich darin zu suhlen und es anzuerkennen, dass es einem schlecht geht. Manchmal ist es aber auch gut, wenn jemand einen rausholt und man was macht und akzeptiert, dass man auch schöne Tage wieder haben kann und die verdient hat. Liebeskummer ist wie eine Grippe. Es gibt Leute, die versuchen es homöopathisch, und es gibt die Leute, die hauen sich krasse Medikamente rein, aber im Endeffekt ist es die Zeit, die es richtet.
Bassistin Marike ist seit 2021 in der Band. Wie hat sich die Gruppe dadurch verändert?
Lennart: Es hat uns auf eine Art total belebt. Erstmal ist Marike eine begnadete Musikerin. Sie ist eigentlich nur als Aushilfe eingesprungen und in dieser Zeit hat es relativ schnell Klick gemacht. Man hat gemerkt, dass sie eine Dynamik mit reinbringen kann, die wir ein wenig verloren haben. Wir waren in so einem Trott gefangen, da hatte auch die Pandemie viel mit zu tun, die uns komplett ausgebremst hat, als eine Band, die davon lebt und dafür angetreten ist, Konzerte zu spielen. Es war eine sehr frustrierende Zeit, in der es irgendwann anstrengend wurde, sich immer wieder motivieren zu müssen, als alles abgesagt und ständig verschoben wurde. Dann ist es in einer Band wie in einer Beziehung. Sie kann immer nur so gut funktionieren, wie die Menschen dahinter funktionieren. Dann kam auf einmal Marike und hat wieder den Drive mitgebracht. Sie kannte unsere Regeln nicht und hat uns daran erinnert, dass wir gar keine Standards und Routinen brauchen und wir frei davon die Platte schreiben konnten.
Wie erlebt ihr die Aussenwahrnehmung: Ist eine Frau in einer Männerband noch etwas Besonderes?
Jakob: Leider schon. Das Gute ist, dass Marike bei uns nicht die stille Bassistin ist, die hinten rechts steht. Sie ist komplett eine Frontperson, so wie wir es bis auf Felix alle sind. Sie geht mittlerweile mindestens genauso oft in die Hocke wie Lennart (lacht). Es sagen zwar alle Männer–Bands, die irgendwann eine Frau in der Band haben, aber es stimmt: Wir haben nicht nach einer Frau gesucht, um dem Politikum gerecht zu werden. Mit Marike hat es einfach menschlich gepasst. Sie könnte die begnadetste Bassistin der Welt sein, wenn wir mit ihr nicht klarkommen würden, dann hätte es nicht hingehauen.
Lennart: Für uns als Band war es nie ein Thema. In der ganzen Produktion, in der Crew, die da zusammen mit uns losfährt, sind schon lange Frauen dabei. Von daher hat sich das hinter den Kulissen für uns gar nicht nach einer Revolution angefühlt.
Bei Instagram zeigt ihr die Reaktionen der Leute, die euch offenbar noch nie gesehen haben und von eurer energetischen Performance mit fliegenden Gitarren überrascht sind. Was ging auf der Bühne schon alles kaputt – und an euch?
Jakob: Alles, einfach alles (lacht). Aber man lernt daraus: Lennart hat jetzt Gitarrengurte, die fast unkaputtbar sind und seine Gitarren sind rund und leicht und nicht mehr eckig und schwer. Es gab auch eine Phase, da hat Lennart immer in Djamins Rücken gebissen. Da hat er Chili auf seinen Rücken gemacht, das total gebrannt hat und er zum Hautarzt musste. Da hat wirklich keiner gewonnen (lacht).
Lennart: Ich wurde auch schon hinter der Bühne genäht, letztens ist mir der halbe Finger abgefallen, es hat total geblutet. Aber dafür sind wir da, dass man es wirklich drauf ankommen lässt und nicht irgendwie vorsichtig ist. Es ist unser Freiraum, wo wir ausrasten dürfen. Dafür gehen wir auf die Bühne.
Ihr habt schon wieder allerlei Festivals hinter euch. Was waren die besten Erlebnisse?
Lennart: Der Sommer ist davon geprägt, dass wir ein grosses Kontrastprogramm haben. Wir spielen die grössten Festival–Slots, die wir jemals gespielt haben. Es war unglaublich, dass wir beim Hurricane vor 55.000 Leuten spielen durften. Gleichzeitig spielen wir auf dem Weg zu den Festivals noch Wegkonzerte in kleinen Clubs, vor 100 Leuten, in denen wir vor fünf, sechs Jahren mal gespielt haben und heute eigentlich nicht mehr machen würden. Von diesen hochprofessionellen Festivals bis hin zu diesen DIY–Shows, wo wir das Nötigste auf eine Zwei–mal–zwei–Meter–Bühne bringen, macht einfach alles Spass. Das ist das, was diese Band ausmacht, dass wir uns solche Abenteuer suchen. Andere Leute gehen vielleicht in den Freizeitpark, wir spielen für den Thrill ein Konzert in einem viel zu kleinen Laden mit 100 Prozent Luftfeuchtigkeit (lacht).
Die Langfinger–Band Leoniden hat auch wieder zugeschlagen, ihr nehmt euch gerne ein «Souvenir» von Festivals mit, das ihr dann in eurem Shop verkauft. Wie kam es ursprünglich dazu?
Jakob: Wir müssen ein bisschen unsere kriminelle Energie loswerden (lacht). Das erste Mal haben wir in Bielefeld in einem kleinen Laden ein kleines Schildchen mitgenommen. Wir hatten explizit keine Lust, daraus eine Robin–Hood–Aktion zu machen. Wir wollten einfach nur was wegnehmen.
Lennart: Die Idee ist so ein bisschen daraus entstanden, dass wir vor einigen Jahren immer viel unterwegs waren und es eigentlich üblich war, dass wir immer ganz viel vom Catering eingepackt haben, bevor wir losfuhren, weil wir nicht wussten, wie lange wir noch im Auto sitzen. Wir waren es nicht gewohnt, dass überall die Kühlschränke so bedingungslos vollgepackt wurden. Und dann ist irgendwann die Idee entstanden, dass wir in unserem Shop nicht nur T–Shirts und Tonträger, sondern auch Diebesgut verkaufen, weil wir ja auch immer knapp bei Kasse waren (lacht).
Ihr habt euch neben den Festivals auch noch für die kleinen Shows entschieden und reist viel für eure Live–Auftritte. Mentale Gesundheit wird immer wichtiger, ist das bei euch auch Thema?
Jakob: Ich glaube schon, dass wir ein bisschen strukturierter mit Pausen umgehen. Ich weiss nicht, ob das durch die Zwangspause Corona angefangen hat, aber ich habe schon das Gefühl, dass wir da ein bisschen vernünftiger geworden sind. Wenn ich mich aber mit anderen Künstlerinnen und Künstlerinnen unterhalte, stelle ich fest, dass wir immer noch komplett verrückt sind. Wir sind schon krasse High Performer und man muss sich davon auch nicht eine Scheibe abschneiden. Wenn jemand bei uns eine Pause braucht, haben wir vollsten Respekt und ermöglichen die natürlich, aber das kommt echt selten vor.
Lennart: Es ist auf jeden Fall so, dass wenn wir eine Pause brauchen, zum Beispiel um eine Platte zu schreiben, dass wir sie mittlerweile auch nehmen können. Wir sind nicht mehr ganz so angetrieben von auf Tour gehen müssen, weil sonst das ganze finanzielle Konstrukt in sich zusammenfällt. Wir können uns wesentlich gesünder Zeit nehmen. Andersherum heisst mentale Gesundheit für uns, dass es gut ist, auf Tour zu sein. Es ist natürlich immer anstrengend und es ist am Ende auch Stress, aber es ist das, was wir machen wollen und immer der Platz auf der Welt, wo wir uns wohlfühlen, irgendwo im Tourbus und auf irgendeiner Bühne. Das kann einem viel Stärke geben. Und wir haben unsere Strukturen wahnsinnig verbessern können. Wir fahren nicht mehr im eigenen Sprinter durchs Land.
Auf Herbst geht es wieder auf Tour, unter anderem auch nach UK. Wie unterscheidet sich das von Auftritten hierzulande?
Lennart: Die Konzerte sind natürlich hundertmal kleiner als hier. Im Publikum ist meistens eine lustige Mischung aus Menschen, die uns da auf Support–Shows kennengelernt haben und eine Handvoll Erasmus–Studierende, die uns schon in Hamburg oder München gesehen haben und sich total freuen, die Leoniden für 15 Euro zu hören (lacht). Da muss man wahrscheinlich richtig weit weg nach Malaysia, dass es die nicht gibt.
Apropos: Ist es dann für euch in Zukunft auch ein Wunsch, dass ihr mehr international spielt?
Jakob: Wie wir dieses Jahr bewiesen haben, liegen die Abenteuer, die Bock bringen, auch vor der Haustür. Man muss jetzt keine Neuseeland–Tour spielen, man kann auch einfach noch mal nach Bonn fahren. Aber ich liebe es, im Musikkontext die Welt zu entdecken. Ich bin sonst eher ein Reisemuffel, wenn man uns jetzt also eine Japan–Tour für die nächste Woche geben würde, würden wir sofort unsere Sachen packen. Ich hätte Bock auf das alles, aber ich schreibe es nicht so auf meine Bucket List, das wäre irgendwie vermessen. Dann würde ich auch mein Privileg nicht wertschätzen, was ich jetzt schon für ein Leben führen darf.
Lennart: Das Jahr hat nur 365 Tage und wir sind ausgelastet. Uns ist es wichtig, dass wir nicht nur in München und Hamburg und Leipzig und Berlin spielen, sondern auch in Fulda, in Trier oder in Tübingen. Wenn es sich irgendwie ergibt, würden wir sofort Ja sagen, aber wir haben auch gerade nicht den Kopf frei, über eine Argentinien–Tour nachzudenken.
Jakob: Die Realität davon ist ja auch, dass Bands, die ins Ausland fahren und glücklich zurückkommen und einem das Gefühl geben, sie hätten es geschafft, meistens 100.000 Euro dafür ausgegeben haben, dass sie das überhaupt machen konnten. So gut, würde ich jetzt sagen, steht es bei uns finanziell nicht (lacht). Das ist eben die Realität von Bands, die in einem DIY–Kontext arbeiten und im Grunde eigentlich alles selbst machen.