Die Vorbereitungen für die Krönung am Samstag (6. Mai) in London laufen auf Hochtouren. Erste Bilder zeigten nächtliche Proben inklusive Kutschfahrt. Auch König Charles III. (74) und seine Familie absolvierten bereits eine Generalprobe in der Westminster Abbey. Wie intensiv für den grossen Tag geübt wird, erklärt Königshaus-Expertin Julia Melchiot («Charles III. - Britanniens neuer König») im Interview mit spot on news. Dabei verrät sie auch, warum Prinz George (9), der Enkel des Königs und Sohn von Thronfolger Prinz William (40) und Prinzessin Kate (41), seine Aufgabe als Page vor den Augen der Weltöffentlichkeit «sehr routiniert» bewältigen wird.
Die Vorbereitungen für die Krönung laufen auf Hochtouren. Bilder zeigen Charles und seine Familie bei der Generalprobe. Wie intensiv wird für den grossen Tag geübt?
Julia Melchior: Das muss intensiv geprobt werden, denn es ist ein Zeremoniell mit vielen tiefreligiösen und mittelalterlichen Elementen, das zuletzt vor 70 Jahren stattgefunden hat. Daran kann sich auch Charles nicht mehr wirklich erinnern, obwohl er als Vierjähriger dabei gewesen ist. Alle Beteiligten müssen jeden Schritt sehr gut einüben, denn die ganze Welt schaut an diesem Tag zu. Vor allem vom König und der Königin fordert es extreme Konzentration und Präzision in der Ausführung. Und weil zusätzlich so viele andere Personen eingebunden sind, ist es eine sehr anspruchsvolle Choreografie. Neben der Generalprobe mit dem Königspaar hat es auch diverse andere Proben gegeben, bei denen Stellvertreter die Rollen der beiden übernommen haben.
Wie ist der Ablauf, welche Akte folgen aufeinander?
Melchior: Am Anfang steht die Anerkennung des Königs durch die Gemeinde. Auf den Eid folgt die Salbung, der feierlichste Moment der Zeremonie. Dann kommt die Investitur, also die Ausstattung mit den königlichen Insignien, gefolgt von Krönung und schliesslich Huldigung. Das sind seit 1000 Jahren die konstituierenden Elemente der Krönung. Es wird spannend sein zu sehen, wie der König die Ausführung dieser Riten an unsere Zeit anpassen wird.
Warum gibt es für den Monarchen zwei Kronen?
Melchior: Das erklärt sich aus der Geschichte. Es gibt die irre schwere St. Edwards Krone, mit der traditionell alle britischen Monarchen gekrönt werden. Aber sie wird nur für die Krönung eingesetzt. Früher durfte sie die Westminster Abbey nicht verlassen - inzwischen ist sie allerdings im Tower of London zu begutachten. Weil man früher aber auch noch zu bestimmten anderen zeremoniellen Anlässen ausserhalb der Westminster Abbey eine Krone trug - heute nur noch bei der Parlamentseröffnung -, liessen sich die Herrscher eine zweite Krone anfertigen. Zuletzt war es die Imperial State Crown, die etwas leichter und bequemer ist. Dennoch wissen wir von der Queen, dass sie ihre Rede bei der Parlamentseröffnung zum Verlesen immer auf Augenhöhe halten musste. Sie konnte ihren Kopf nicht senken, sonst hätte die Krone herunterfallen oder ihr das Genick brechen können, wie sie einmal mit einem Augenzwinkern sagte. Diese moderne Krone ist inzwischen an die Kopfform von König Charles angepasst worden.
Werden alle europäischen Könige und Königinnen gekrönt?
Melchior: Von den europäischen Monarchien wird nur der britische König noch gekrönt, wobei ihm die Krone im wahrsten Sinne des Wortes auf das Haupt gesetzt wird. Es gibt ausser der Krönung und der Parlamentseröffnung keinen anderen Anlass, zu dem eine Krone getragen wird. Wir sehen zwar bei Banketten Königinnen und Prinzessinnen mit Diademen, aber das ist Schmuck. Kein anderer europäischer Monarch sonst trägt noch eine Krone.
Und warum bekommt König Charles III. bei der Krönung zwei Zepter überreicht?
Melchior: Das eine Zepter ist für die königliche Macht, die mit Sorgfalt auszuführen ist und deshalb trägt der Monarch es auch mit einem Handschuh. Das andere ist das Zepter der Barmherzigkeit, das er ohne Handschuh trägt, um den direkten Kontakt zu symbolisieren - eine sehr berührende Symbolik, wie sie auch hinter allem anderen steckt, was wir bei der Zeremonie erleben werden.
Die Zeremonie wird vermutlich recht lange dauern. Was passiert denn, wenn man in der Kirche Hunger bekommt oder Durst oder auf die Toilette muss?
Melchior: Zumal die Teilnehmenden und Gäste ja schon deutlich vor Beginn der Zeremonie vor Ort sein müssen. Bei der Krönung von Queen Elizabeth II. dauerte die Zeremonie sogar noch eine Stunde länger. Die Cousine des Königs, deren Mutter bei der Krönung der Queen dabei war, berichtete mir, dass die Peers, also der Hochadel, unter den Kronen ihre Sandwiches versteckt hatten, weil sie sie nirgendwo sonst unterbringen konnten. Das wird bei Charles' Krönung sicher nicht so sein. Keiner der Anwesenden möchte sich kauend auf den Bildschirmen dieser Welt erwischen lassen. Da gilt es einfach durchzuhalten.
Allen voran Charles und Camilla. Wie schaffen die beiden mit 74 und 75 Jahren diese anstrengende Zeit?
Melchior: In den Tagen vor der Krönung wird den beiden viel abverlangt. Proben, Empfänge. Aber es wird bei der Terminplanung schon mehr Rücksicht auf das Alter des Königs und der Königin genommen, als es beispielsweise bei einem Königspaar William und Kate der Fall wäre. So gab es auch an Tag zwei des Staatsbesuches von Charles und Camilla in Deutschland ab dem Nachmittag keinen Programmpunkt mehr. Normalerweise gibt es nach dem Staatsbankett am ersten Tag eines Staatsbesuchs immer die Gegeneinladung am Abend des zweiten Tags. Die wurde bei diesem Staatsbesuch auf den Nachmittag von Tag drei gelegt. Charles und Camilla ist natürlich nicht dieselbe Taktung zumutbar wie einem jungen Königspaar.
Wie hoch wird das künftige Arbeitspensum von Charles und Camilla während der Regentschaft sein? Und wie bekommen sie ihre Auszeiten?
Melchior: Sie sind sehr fleissig, aber haben auch ihre Ruhephasen. Als Londoner Residenz werden sie in Clarence House bleiben. Und an den Wochenenden werden sie sich oft auf einen ihrer Landsitze zurückziehen. Dort werden sie spazieren gehen, er wird Gartenarbeit machen oder in seinem gemütlichen Arbeitszimmer lesen, schreiben und Musik hören. Zwischendurch legt er sich Wagner auf und die Fenster sind in den Garten hinaus geöffnet. Sowas braucht er, um abzuschalten.
An der Krönung nehmen auch viele kleine Kinder teil. Für sie wird es ebenfalls sehr anstrengend werden. Was dürfen wir von George, Charlotte, Louis und Co. erwarten?
Melchior: George ist als Page eingeplant. Das macht er zusammen mit anderen Kindern, die er kennt und die ungefähr im gleichen Alter sind. Ich denke, die Kinder werden das als Gemeinschaftserlebnis wahrnehmen. Sie haben die Teilnahme an grossen Zeremonien ja schon ein paar Mal erlebt. Beispielsweise waren sie Blumenkinder bei den Hochzeiten von Harry und Meghan und befreundeten Paaren ihrer Eltern. Insofern glaube ich, dass George das sehr routiniert machen wird.
Die «ZDF Royal»-Sondersendung «König Charles III. - Krönung in London» fasst die Ereignisse des Tages am Samstagabend ab 19:25 Uhr zusammen. Julia Melchior kommentiert mit Christina von Ungern-Sternberg die Krönungszeremonie.