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Punk is dead

Mode-Ikone Vivienne Westwood: Hauptsache Chaos - und ein Buch

Als Arbeiterkind in der Kunstszene hat Vivienne Westwood anfangs selbst nicht an sich geglaubt - bis sie die Welt mit ihren Ideen erschütterte und zur grössten Mode-Ikone Grossbritanniens wurde.

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Vivienne Westwood mit «Chaos»-Stirnband bei einem Protest.
Vivienne Westwood mit «Chaos»-Stirnband bei einem Protest. imago/i Images

Am Ende des Jahres 2022 ist die Welt ein grosses Stück uninteressanter geworden: Vivienne Westwood (1941-2022) ist tot. Sie war der Punk der britischen Mode, Stylistin der Sex Pistols, engagierte Aktivistin und Provokateurin auf Lebenszeit.

No Future?

Dabei wirkte der Anfang ihres Lebens fast konventionell: Ihren Traum des Kunst- und Modestudiums verfolgte die junge Westwood nur ein Semester lang. Sie sah als Arbeiterkind keine Zukunft für sich in der elitären Kunstwelt und fügte sich ihrem angeblichen Schicksal. Sie heiratete, wurde Grundschullehrerin und bekam mit 22 ihren ersten Sohn.

Kurz nach der Trennung von ihrem ersten Mann aber lernte sie Malcom McLaren (1946-2010) kennen, den späteren Manager der Sex Pistols. Auch aus dieser Beziehung entstand ein Sohn, da war Westwood 26.

Die Mode hatte sie nie losgelassen. Autodidaktisch brachte sie sich alles selbst bei. Sie trennte die Nähte ihrer Kleidung auf und untersuchte die Schnittmuster. Ihre Kreativität tat den Rest: Zusammen mit McLaren bemalte sie T-Shirts mit Phallussymbolen, verzierte sie mit Leder, Nieten und Nägeln. Sie skandierte grafisch Slogans wie «Chaos» oder «Destroy» - gerne auch in Bezug auf ein Hakenkreuz. Später verband sie das Ganze mit Fetischmode und benannte ihren Laden auf der King's Road in London schlicht in «SEX» um. Alles darin und daran war Provokation, vom Namen über die Klamotten bis zu den Verkäuferinnen, die vielen Kunden und Kundinnen solche Angst einjagten, dass sie sich nicht trauten, den Shop überhaupt zu betreten.

Da war die Punkbewegung schon auf ihrem originären Höhepunkt angekommen, für Westwood war es nur der Anfang einer Karriere, die sich an Kreativität immer wieder überschlagen sollte. Während der «SEX»-Shop und die Punk - sehr zum Leidwesen der Britin - zu Touristenattraktionen und Accessoires belangloser Modeketten wurden - eroberte Westwood mit ihren ausladenden, knalligen, oft historisch inspirierten und mit Karomustern übersäten Entwürfen den Laufsteg, die Zeitungen, die Models, die Fashion- und Kunstwelt.

Unten ohne im Palast

Kein Preis der Branche, den die Modeschöpferin nicht mindestens einmal gewonnen hat. Und trotzdem kein Moment, in dem sich die Britin jemals angepasst hätte. Selbst 1992, als sie im Kensington Palast zum Offizier des Britischen Empire ernannt wurde, provozierte sie, indem sie keine Unterwäsche trug. Das ist kein Gerücht - sie zeigte es grinsend den Fotografen. Weder diese Aktion noch die ikonischen Shirts ihrer Anfangszeit, auf denen sie der Queen eine Sicherheitsnadel durch die Lippe stach, hielten Königin Elizabeth II (1926-2022) davon ab, Westwood 2006 auch noch zur Dame of the British Empire zu ernennen.

Auch ihr Privatleben war spannend. Während Westwood Anfang der Neunziger in Wien lehrte, lernte sie unter ihren Studenten ihren dritten Mann kennen, den 25 Jahre jüngeren Österreicher Andreas Kronthaler (56). Mit ihm bildete sie bis zu ihrem Lebensende ein Kreativduo. Er war es auch, der Westwood überredete, nach 30 Jahren endlich aus ihrer Sozialwohnung in ein eigenes Haus zu ziehen. Und sich einen Geschirrspüler anzuschaffen - der allerdings vor allem ihm die Arbeit erleichterte, die Hausarbeit war laut Westwood «sein Terrain».

«Kauft weniger!»

Westwood war auch eine politische Aktivistin, die nicht akzeptierte, dass die Welt bleibt, wie sie ist. Sie spendete Millionen für die Rettung des Regenwaldes, protestierte gegen Fracking, für Tierrechte, gegen die Auslieferung von Assange (51) an die USA, für den Schutz indigener Völker, gegen Atomwaffen, und, und, und.

Ihr Umweltbewusstsein und die Kapitalismuskritik wirkten sich auch auf ihr eigenes Geschäft aus. «Niemand braucht das alles», so Westwood 2013 zur «Zeit». Sie weigerte sich weitere Geschäfte aufzumachen, stellte Berater ein, die ihr halfen, umweltschonender Materialen zu beschaffen, sie wollte «einfach weniger Produkte anbieten.» Ihr Aufruf an die Konsumenten: «Kauft weniger, wählt sorgfältiger aus, nutzt es länger.» Ihren «SEX»-Laden gibt es immer noch - er heisst mittlerweile «World's End».

Jedes Interview nutzte sie, um ihren politischen Ansichten Gehör zu verschaffen und raubte den Journalisten und Journalistinnen damit nicht selten den letzten Nerv. Was nur fair scheint, schliesslich tat die Welt mit ihr dasselbe. Konzeptkünstler wie Ai Weiwei (65) konnte sie nicht ernst nehmen, wie sie der «Zeit» auch versicherte. Mit einem Bild von Andy Warhol (1928-1987) wisse sie nichts anzufangen, als es wegzuwerfen. Und während die modebegeisterte Carrie Bradshaw Westwood verehrt und in «Sex and the City» ein Brautkleid ihres Labels trägt, sagte die britische Modedesignerin über Blockbuster-Filme: «Lieber warte ich an der Haltestelle auf einen Bus, der niemals kommen wird, als mir so einen Film anzusehen.»

Bücher statt Taschen

Westwood liebte Museen und Sachbücher. Sie konnte nicht verstehen, warum man sich lieber sedieren lassen wollte, als selbst auf Sendung zu sein. Für sie auch das grösste Problem der Jugend: «Man kann nicht nachdenken, wenn man fernsieht.» Nur konsequent, dass die Modeschöpferin als bestes Accessoire immer wieder «ein Buch» empfahl.

Von spot on news AG am 30. Dezember 2022 - 15:36 Uhr