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Viele Höhen und Tiefen

Oskar Lafontaine wird 80: Ein Leben wie im Rausch

Oskar Lafontaine wird am heutigen Samstag 80 Jahre alt. Sein ganzes politisches Leben war ein einziges Auf und Ab. Ein Rückblick.

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Oskar Lafontaine feiert 80. Geburtstag.
Oskar Lafontaine feiert 80. Geburtstag. IMAGO/BeckerBredel

Es kommt alles wieder hoch. Die spektakulären Triumphe, die bitteren, nicht minder spektakulären Niederlagen. Das ganze politische Leben, das ein einziges Auf und Ab war, und ja: ein grosses, eigentlich filmreifes Spektakel.

Das alles wird nun gewürdigt mit einer Rückschau auf das Wirken eines Mannes, den viele Zeitgenossen als einen der letzten politischen Dinosaurier in Deutschland sehen: Oskar Lafontaine. Diesen Samstag (16. September) wird er 80 Jahre alt.

Seine Lebensbahnen weisen steile Anstiege und ein wüstes Gefälle auf. Der Saarländer, geboren in Saarlouis, wurde mit 27 Landtagsabgeordneter für die SPD, mit 31 Bürgermeister und mit 33 Oberbürgermeister von Saarbrücken, mit 34 SPD–Vorsitzender des Saarlands und mit 41 Ministerpräsident.

Ein linker Hoffnungsträger

In den 80er–Jahren gilt der studierte Physiker als einer der linken Hoffnungsträger der SPD, als «Enkel» der Partei–Ikone Willy Brandt (1913–1992), ein brillanter Redner und Rhetoriker mit einem messerscharfen Verstand und einer Polemik, die bei Feind und Freund gleichermassen gefürchtet ist. Mit viel Herzblut vertritt er linke Positionen, die bei vielen Parteigenossen ebenso umstritten sind wie beim politischen Gegner.

«Lafontaine bannt sein Publikum, lässt es lachen, stöhnen, applaudieren. Wer ihn reden gehört hat, der weiss: Er kann sich in Nullkommanichts von null auf hundert reden», schreibt die «Süddeutsche Zeitung» (SZ). Er beschwöre «die soziale Gerechtigkeit, er attackiert den Finanzkapitalismus, beschwört die Sehnsucht nach Frieden, er redet Sinn und Unsinn.»

Diese furchtlose Kantigkeit, mit der sich der Geniesser und Bonvivant wie mit einem Markenzeichen umgibt, verschafft ihm das Image eines Charismatikers, den man entweder liebt oder fürchtet oder beides zugleich. Alt–Bundespräsident Roman Herzog (1934–2017) stellte im Jahr 2008 fest, dass der Oskar aus dem Saarland der einzige deutsche Politiker sei, «den ich als Charismatiker bezeichnen würde». Vor ihm hätten lediglich Willy Brandt und Franz Josef Strauss (1915–1988) dieses mitreissende politische Charisma gehabt.

Extreme Brüche

Wie bei diesen beiden Säulenheiligen ihrer Parteien weist Lafontaines Karriere auch extreme Brüche auf. Nach dem Fall der Mauer erkennt er eine «nationale Besoffenheit». Er tritt für eine Konföderation beider deutscher Staaten im Rahmen eines gesamteuropäischen Einigungsprozesses ein und warnt vor der Wiedervereinigung, der er einen wirtschaftlichen Kollaps im Osten sowie millionenfache Arbeitslosigkeit prophezeit, was letztendlich zum Bruch mit seinem Vorbild Willy Brandt führt. Mit diesem Konzept, das von Teilen der SPD–Prominenz nicht mitgetragen wird, präsentiert ihn die Partei trotzdem bei der Bundestagswahl 1990 als Kanzlerkandidat.

Bei einem Wahlkampftermin in Köln gelingt es der psychisch kranken Arzthelferin Adelheid S. auf das Podium zu gelangen. Mit einem 30 cm langen Küchenmesser sticht sie Lafontaine in den Hals und verletzt ihn lebensgefährlich. Während seiner medizinischen Behandlung und Genesung rückt die SPD–Bundestagsfraktion von der politischen Position ihres Kandidaten ab. Die Folge: Lafontaine verliert die Wahl im Dezember 1990 gegen den amtierenden Kanzler Helmut Kohl (CDU, 1930–2017) und zieht sich erst mal aus der Bundespolitik zurück. 20 Jahre später sagt er: «Ich habe die Einheitseuphorie unterschätzt, das rationale Argument schlichtweg überschätzt. Die Wahrheit ist nicht immer populär.»

Vor der Bundestagswahl 1994 kehrt er zurück und bildet mit dem SPD–Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping (75) sowie dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (79) eine Führungs–Troika, die jedoch von gegenseitiger Rivalität geprägt ist: Jeder will der Erste sein, vor allem Oskar Lafontaine.

Die Gelegenheit bietet sich beim SPD–Parteitag 1995. Der unbeholfen wirkende Scharping hatte bei der Bundestagswahl 1994 zwar um 2,9% auf 36,6% zugelegt, aber trotzdem verloren und tritt ohne einen zu erwartenden Gegenkandidaten zur Wiederwahl als Parteivorsitzender an. Daraus wird nichts, denn Lafontaine hält eine fulminante Rede und erobert die Delegierten im Sturm, die ihn zum neuen SPD–Chef küren.

Der nächste Absturz

Damit sind die Weichen für den nächsten Triumph gestellt – und den nächsten Absturz. Mit dem neuen SPD–Star Gerhard Schröder will er Deutschland erobern: Schröder als Kanzler, er selbst als Parteichef. Tatsächlich kann die SPD mit diesem Gespann 1998 bei den Wahlen 40,9% holen und mit den Grünen eine Koalition bilden. Schröder wird Kanzler, Lafontaine Finanzminister.

Beide verkörpern nach aussen das ideale Power–Team wie untrennbare Freunde. Dieser Eindruck täuscht gewaltig. In Wahrheit findet ein Kampf zwischen zweien statt, die – wie die «taz» schreibt – «sich in vielem ähneln: Beide sind Aufsteiger, machtbewusst, ehrgeizig, misstrauisch, kränkbar.»

In der Praxis sieht das so aus: Schröder setzt fest, wie hoch die Ökosteuer wird – Lafontaine erfährt davon aus der Zeitung. Lafontaine will die internationalen Finanzmärkte regulieren und bekommt dafür keine Rückendeckung von Schröder. Dieser Zwist eskaliert: Lafontaine sieht sich als Erfüllungsgehilfe einer Politik, die er für falsch hält. Öffentlich lobt Schröder ihn noch, «aber intern werden die Brücken gesprengt», so die «taz».

Bruch mit Schröder

Lafontaine gibt auf, setzt sich in seinen Dienstwagen und lässt sich von Bonn nach Saarbrücken fahren, nicht ohne ein Kündigungsschreiben zurückzulassen. Gleichzeitig tritt er vom Parteivorsitz und seinem Bundestagsmandat zurück.

Der «Spiegel» schildert die damalige Situation so: «Lafontaine sei also davon ausgegangen, dass Schröder, wenn er auf Platz eins sitze, ihn, Oskar, gewähren lasse. Oskar, der Puppenspieler, mit der Kanzlerhandpuppe Gerd: So hätte es sein müssen. Dass es so nicht gekommen ist, verzeiht er weder Schröder noch sich selbst.»

Es ist auffällig, wie vermeintlich leicht sich Lafontaine von ihm nahestehenden Menschen zu trennen vermag. Kritiker weisen in diesem Zusammenhang auf seine drei Scheidungen. Oskar Lafontaine war in erster Ehe mit Ingrid Bachert (1967–1982) verheiratet. Die zweite Ehe mit der Künstlerin Margret Müller (ein Sohn, geb. 1982) wurde 1988 geschieden. Mit der Liedermacherin Bettina Wegner («Sind so kleine Hände») hatte er 1988 eine neunmonatige Beziehung. Und mit der Politikerin Christa Müller war er von 1993 bis 2013 verheiratet (ein Sohn, geb. 1997).

Neue Liebe

Anfang 2010 erklärt Lafontaine in einem «Stern»–Interview", dass er an Prostata–Krebs erkrankt sei und sich deswegen aus der Bundespolitik ganz zurückziehe. «Allen gegenteiligen Gerüchten zum Trotz beharrt Lafontaine darauf, dass die Krebserkrankung der entscheidende Grund für seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Linkspartei–Chef gewesen sei», schreibt der «Stern». Lafontaine hatte nach dem Verlassen der SPD die westdeutsche Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) mit der ostdeutschen PDS zur Linkspartei vereint.

Die Behauptung des «Spiegel», Lafontaine sei von seiner damaligen Frau Christa Müller gezwungen worden, nach Hause zu kommen, weil er eine Affäre mit Parteifreundin Sahra Wagenknecht (54) gehabt habe, bezeichnet er als «Beispiel für niveaulosen Journalismus – mit angeblichen Affären und Berliner Hintertreppentratsch».

Doch wie das Leben so spielt – ein Jahr später ist klar: Oskar und Sahra sind ein Paar. Nach seiner dritten Scheidung heiraten die beiden Ende 2014. Ein politisches Power–Couple hat sich gefunden. Von seiner Frau, die vom gleichen politischen Unruhegeist beseelt ist, heisst es, sie würde eine neue Partei gründen. Dazu sagt der politische Rentner Lafontaine: «Selbstverständlich unterstütze ich eine Partei, die für soziale Gerechtigkeit und Frieden eintritt.»

Anzeichen stehen auf Annäherung

Mittlerweile gibt es Anzeichen von Altersmilde. Lafontaine mache «nicht den Eindruck», so die «SZ», «als ob er mit sich, mit seinem Schicksal und mit dem, was er nicht erreicht hat, hadere.» Er sei nicht Kanzler geworden, «obwohl er wie nur wenige andere das Zeug dazu gehabt hätte». Er sei dankbar geworden, dem Leben gegenüber.

Selbst die Feindschaft zu Gerd Schröder ist nicht mehr die alte. Die Anzeichen stehen auf Annäherung, inzwischen sogar auf Versöhnung: Der Gerd hat mit seiner vierten Frau So–yeon (55) den Oskar und dessen vierte Frau Sahra im Saarland besucht. Man habe sogar zusammen gekocht.

Und zum 80. Geburtstag gratulierte ihm der Ex–Kanzler im «Stern»: «80 Jahre alt zu werden, ist gewiss ein Grund, alte Reibereien Geschichte werden zu lassen.»

Am Ende wird Oskar Lafontaine sogar das, was er noch nie war: ein Versöhner.

Von SpotOn am 16. September 2023 - 08:33 Uhr