Gerade wird das Wahrzeichen des «Badrutt’s Palace» in Schokolade gegossen. Jedes der 65'000 Türmchen muss makellos sein. So will es Pastry-Chef Stefan Gerber. Er ist in den Katakomben des Luxushotels für die süssen Träume verantwortlich. Die Mengen für die Wintersaison? Beachtlich. Der Pfälzer stellt mit seinem zehnköpfigen Team rund 100 Kilogramm Zimtsterne & Co. her. Backt 1500 runde Mini-Christstollen. Fabriziert aus zwei Tonnen Schokolade rund 100'000 Pralinen mit 15 verschiedenen Füllungen. Die beliebten Hausklassiker werden vom Fahrer sogar im Skibus serviert.
Wie Puderzucker liegt der erste Schnee über der Traumfabrik. Mit dem Schnee kommen die Gäste. Und mit den Gästen die Hektik. Saisonwahrzeichen ist die imposante 15-Meter-Tanne in der Einfahrt. 200 Meter lang sind die Girlanden. Das Material rollte mit dem Sattelschlepper über den Julier an. Im Dezember wird der schönste Christbaum im Engadin mit Blasmusik und Glühwein eingeweiht. Das Dorf-Happening vereint alle.
Die drei Rolls-Royce hingegen stehen nur einer winzigen Klientel zur Verfügung. Raus aus dem Privatjet, rein in die magische Zauberwelt: Fast ist man von der Dekoration geblendet, so intensiv leuchtet die rot-goldene Pracht. Meterhohe Blumenbouquets schmücken die «Grand Hall». Kenner nennen die Lobby – eine Mischung aus Rittersaal und Kathedrale – nur den Catwalk. Zwischen Weihnachten und Silvester wird der Raum zum Wohnzimmer der Stars. Stunden könnte man in den gepolsterten Stühlen verbringen, um den illustren Gästen in Massschuhen, eleganten Roben, limitierten Handtaschen und sündhaft teurem Schmuck beim Flanieren zuzusehen.
Managing Direktor Richard Leuenberger stammt aus dem Emmental. Er ist weit in der Welt herumgekommen, leitete die besten Fünf-Sterne-Häuser. Seine bodenständige Art beeindruckt. Auffällig: Wie gelassen das Personal unterwegs ist. Alle tragen ein Lächeln im Gesicht. 660 Mitarbeitende kümmern sich um 330 Gäste. «Unser Geheimnis? Ganz einfach: Leidenschaft, Ehrlichkeit, Respekt, Vertrauen, Wertschätzung. Und der Wunsch, bei allem, was wir tun, Spitzenleistungen zu erbringen.» Kaum ein Anliegen ist zu ausgefallen. Vom Balkon Rosen regnen lassen? Kein Problem. Ein Elefant in der Lobby? Nichts leichter als das. Alles schon vorgekommen. Könnten die Mauern sprechen, hätten sie einige spannende Geschichten zu erzählen.
Vieles spielt im «Badrutt’s Palace» eine Rolle. Geld tut es nicht. Die Suite, die den Namen des Gründervaters trägt, kostet in der Hochsaison 23 000 Franken – pro Nacht. Die 220 Quadratmeter gibts nur zwölf Nächte am Stück. Auch die Penthouse-Suite (40 000 Franken) ist gut gebucht. Im Standard-Room schläft es sich schon himmlisch ab 3000 Franken. Viele Stammgäste feiern Weihnachten im Zimmer – mit dem eigenen Christbaum, samt Krippenspiel von der Grossmutter. Alles wird das Jahr über fein säuberlich im Keller gelagert. Beim Check-in ist der Baum geschmückt. Nur eine Auflage gibts: Die Kerzen müssen elektrisch sein.
Wie kann man Menschen, die alles haben, überhaupt noch beeindrucken? Zum Beispiel mit dem genialen Seafood-Pop-up des dänischen Überfliegers Eric Vildgaard und seiner Frau Tina. Oder mit Servietten, auf denen der Name der Gäste gestickt ist. Manche haut diese simple Geste schlichtweg um. Für alle Restaurants gilt: Damen werden zuerst bedient. Die Tische im «Restaurant» und im «Embassy» sind an den Festtagen besonders begehrt, weiss Executive Chef Jeremy Degras. Es ist die Feuertaufe für den jungen Franzosen. Er kennt den Laden bestens, war sieben Jahre lang Souschef. Nun probt er mit seiner 45-köpfigen Brigade den Ernstfall. Alle sind auf seinen Kurs eingeschworen. «Man muss die Leute elegant führen, in einer so grossen Küche mit so vielen Nationalitäten ist man sonst verloren.» Seit vier Stunden blubbert der Hummerfond. Noch länger dauert der Fleischfond: Die Knochenberge werden fünf Tage lang ausgekocht und reduziert.
Geschichten, die Märchen möglich machen, haben immer zwei Seiten. Die einen Leute lassen es sich gut gehen und geben dafür viel Geld aus. Die anderen arbeiten hart, um sich welches zu verdienen. Für Direktor Richard Leuenberger ist das kein Widerspruch. Er schreitet durch die Lobby, geniesst die Ruhe vor dem Sturm. Begleitet wird er von seinem Labrador Patrón. Er hat ein sonniges Wesen und die treuen Augen des Weihnachtsmanns. Hunde waren im «Badrutt’s Palace» schon immer willkommen. Ihnen wird nicht nur ein Hundebettchen (für 65 Franken) ins Zimmer gestellt. Sie können – wie ihre Herrchen und Frauchen – sogar aus mehreren Gourmetmenüs wählen.
Die Silvesternacht ist der Höhepunkt des Jahres. Externe tauchen für 1850 Franken ein in eine verrückt-verruchte Welt namens «Tales from the Far East». Hotelgäste sind mit 1450 Franke dabei (ohne Getränke). Die Reise geht nach Schanghai, Hongkong, Hanoi. Jeder Winkel verwandelt sich in ein Filmset der 20er-Jahre. «Ich habe schon in vielen Metropolen gearbeitet, aber so etwas wie hier habe ich noch nie erlebt», schwärmt Leuenberger. «Allein die Dekoration lassen wir uns 600 000 Franken kosten.»
Bunte Pagoden, Lampions, Opiumhöhlen, bizarre Kreaturen: Eine 60 Mann starke Truppe aus Mailand richtet für den Event das Bühnenbild her, kümmert sich um die zig Orchester, Tänzerinnen und Artisten. Jeremie Degras’ «New Year’s Eve Menu» steht auch schon fest. Es wird mit schnellem Schritt serviert. Denn: Punkt Mitternacht knallen die Champagnerkorken.
Die Flaschen sind kalt gestellt, Krug und Ruinart sind die beliebtes-ten Hausmarken. Die Party dauert bis in die Morgenstunden. Wer früh und unverkatert zum Frühstück erscheint, traut seinen Augen kaum. Wie von Zauberhand erstrahlt das «Badrutt’s Palace» wieder in altem Glanz. Das neue Jahr kann entspannt beginnen.