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Reporter-Nachwuchs

Die neue Dok-Generation

Persönlich, ehrlich und ungefiltert: Im SRF-Reportageformat «rec.» zeigen junge Journalistinnen und Journalisten, wie sie die Welt sehen. Wir kehren den Spiess um und sprechen mit Livio Chistell, Anna Kreidler und Donat Hofer über ihre Zweifel und Träume, über Eitelkeit und Kritik.

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Livio Christell, Anna Kreidler, Donath Hofer

Momentaufnahme am Bellevue in Zürich: Livio Chistell, Anna Kreidler und Donat Hofer (r.) filmen dort, wo das Leben spielt.

Geri Born

Der traditionelle Dokumentarfilm ist so etwas wie der Chef der Sachlichkeit. Er zeigt die Welt, wie sie ist – mit geschmeidigen Szenenübergängen, tadellosem Ton und einer tiefen Off-Stimme. An der Produktion ist ein ganzes Team beteiligt. Es gibt Regisseurinnen, Kameraleute und Editoren, die für den Schnitt besorgt sind. Ihre Gesichter kennt niemand, nur ihre Namen tauchen im Abspann auf. Ganz anders beim Online-Reportageformat «rec.», kurz für «record», welches das SRF vor zwei Jahren gestartet hat. In den rund 25-minütigen Beiträgen zeigen neun Reporterinnen und Reporter, wie sie die Welt erleben, und werden dadurch selbst zu Filmfiguren. Mit ihrer Kamera gehen sie – meistens alleine – dorthin, wo das Leben brennt: zu Randständigen, Freiheitstrychlern, Klimaaktivisten oder HIV-Betroffenen. Sie versuchen sich im Eisbaden oder erkunden ihre eigene Vulva. Dabei machen sie ihre Gedanken und Gefühle transparent, sagen Dinge wie: «Das hat mich sehr berührt» oder «Ich weiss gerade nicht, was sagen».

Das Konzept der Einpersonen-Show hat zur Folge, dass auch mal ein Mikrofon ins Bild ragt oder eine Kamera wackelt. Dafür sind die Beiträge immer ehrlich und sorgen im besten Fall für Diskussionen. Denn auf jede Reportage folgt ein «Question & Answer»-Video, in dem die Machenden auf Kritik und Fragen des Publikums eingehen. Zu sehen sind die mittlerweile rund 50 Folgen bei Youtube und Play SRF (total über vier Millionen Klicks im ersten Jahr). Dort, wo sich die 25-bis 35-Jährigen aufhalten. Die Generation also, die gerne hinterfragt und mit alten Strukturen bricht, ganz wie «rec.» das tut.

Anna Kreidler, 28

"Die neue DOK Generation" Anna Kreidler Reporterin bei rec. SRF DOK

Anna Kreidler mag die Ruhe auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich. 

Geri Born

Anna Kreidler ist keine Frau der schnellen Antworten

Sie hört genau zu, überlegt, bevor sie spricht. Und so geht sie auch beim Filmen vor: «Zuerst schiesse ich mich auf ein Thema ein, dann mache ich noch einmal einen Schritt zurück, überlege, was ich ausgeblendet habe.» Kreidler spricht offen über ihre Vorurteile, etwa im Beitrag über Muskelsucht, bei dem sie realisierte, dass «pumpende» Männer nicht nur herumprotzen. «Das ist der Vorteil der subjektiven Erzählweise: Ich muss mich ständig hinterfragen.» Die Auseinandersetzung mit sich selbst sei für sie kein Stress, sondern ein Ansporn – und mit ein Grund, warum sie mit ihrem Gesicht hinstehe. «Obwohl mich das anfangs Überwindung kostete.» Wenn sie an ihren ersten «rec.»-Film zurückdenkt, verwirft sie die Hände: «Ich sehe nur die Fehler.» Gnädiger ist sie mit ihrem Äusseren: «Ich sage mir immer: Anna, wenn du subjektive Filme machst, dann sieht man halt auch Pickel.» So sehr sie das hippe Zürich schätzt – eines Tages will sie zurück aufs Land.

Aufgewachsen: in Brugg AG Ausbildung: Bachelor in Multimedia Production, aktuell am Master für Multimedia Production & Publishing Familie: in einer Partnerschaft Persönliches Stilmerkmal: Plateauschuhe und Anglizismen Meistgeklickter Film: «Dating in der Pandemie» Mich selbst im TV zu sehen ist: eher unangenehm Was die Zuschauer nicht wissen: Wir schätzen es, wenn sie ihre Erfahrungen mit unseren Themen teilen Mein grösster Traum: Hühner in einem eigenen Garten.

Donat Hofer, 36

Donath Hofer Autor Dok Filme rec SRF YouTube Die neue DOK-Generation

Donat Hofer kurvt durch den Berner «Breitsch», wo er aufgewachsen ist. 

Geri Born

Donat Hofer ist der Typ Menschenfänger

Er kann mit allen. Und kann er mal mit einem nicht sofort, dann richtet gewiss sein Charme noch was aus. Als sich der gebürtige Berner nach dem Wirtschaftsstudium als Bankenprüfer bewarb, wurde er «wegen des guten zwischenmenschlichen Umgangs» genommen, obschon beiden Seiten klar war: Der Hofer ist kein Banker. Ein Psychologiestudium und diverse Medienjobs später landete er bei «rec.». «Ich bin durchschnittsdumm», sagt Hofer, «darum passt dieses Format so gut zu mir: Es ist sehr nahe bei den Menschen.» Am liebsten hält er sich an den Rändern der Gesellschaft auf – wie bei den Waldmenschen in Bern. Mit Zelt und Kamera machte er sich auf – ohne grosse Vorrecherche: «Ich möchte möglichst unwissend an einem Drehort erscheinen.» Der Mut zur Improvisation feit ihn jedoch nicht gegen Zweifel. «Ich befürchte immer wieder, der Komplexität eines Themas nicht gerecht zu werden.» Das Einzige, was dann helfe: «Defizite im Film transparent machen.»

Aufgewachsen: im «Breitsch» in Bern Ausbildung: Bachelor in Wirtschaft, Master in Psychologie Familie: verheiratet, ein Sohn Persönliches Stilmerkmal: «Gnuusch uf em Chopf» Meistgeklickter Film: «Treffpunkt Garage – Leben am Rand der Gesellschaft» Mich selbst im TV zu sehen ist: Anspannung, Freude,
Stolz und Zweifel Was die Zuschauer nicht wissen: Bin fasziniert von Lawinen Mein grösster Traum: Am Ende des Lebens viele kleine Träume gelebt zu haben.

 

Livio Chistell, 29

Livio Christell Autor Dok Filme rec SRF YouTube Die neue DOK-Generation

In der Stadtgärtnerei Zürich sucht der gebürtige Bünder das Grün.

Geri Born

Egal, was bei Livio Chistell ansteht, er vergisst nie, wichtige Momente auch für Instagram festzuhalten

«Das gehört zu meinem Job.» Wobei: Job als Einzahl ist untertrieben. Nebst seiner «rec.»-Stelle moderiert Chistell «Telesguard» (Pendant zur «Tagesschau») bei RTR und einmal im Monat die SRF 3-«WochenRundShow». Mit der Kamera pflegt er ein enges Verhältnis. Wenn der Bündner sein strahlendes Lachen aufsetzt und «drauflosschnorrt», tut er das mit einer Mischung aus kindlicher und professioneller Leichtigkeit. Er getraut sich, schräge Fragen zu stellen, und steht auch in seinen Filmen dazu, dass er gerne gut gekleidet ist – wie bei seiner «rec.»-Doku über die Drogenszene in Chur, in der er sagt: «Ich habe Angst, zu snobby zu wirken.» Über oberflächliche Kritik an seinen Filmen («Was ist das für ein Clown?») kann er lachen. Aber inhaltliche Kritik beschäftigt ihn, etwa der Vorwurf, er habe ein Thema nicht genügend eingeordnet. «Ich bin absolut ehrgeizig», sagt er. «Nun muss ich noch lernen, das Erreichte zu geniessen.»

Aufgewachsen: in Flond in den Bündner Bergen Ausbildung: MAZ Luzern Persönliches Stilmerkmal: immer gut gelaunt Meistgeklickter Film: «Offene Drogenszene in Chur –Drogenabhängige und Dealer im Stadtgarten» Mich selbst im TV zu sehen ist: irgendwie noch cool Was die Zuschauer nicht wissen: Ich bin mit knapp 1 Meter 90 grösser, als viele glauben Mein Idol: Louis Theroux, ein Journalist der BBC Mein grösster Traum: den Eurovision Song Contest zu moderieren.

Von Michelle Schwarzenbach am 26. Mai 2023 - 17:37 Uhr