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  3. YB- und Natispieler Christian Fassnacht über Meistertitel und seine Karriere

Young Boys gewinnen frühzeitig den Meistertitel

Die ungewöhnliche Karriere von YB-Star Christian Fassnacht

Seine Karriere schien zu Ende, bevor sie begonnen hatte. Doch er kämpfte unerbittlich für sein Ziel. Heute ist Christian Fassnacht, 27, Serienmeister mit YB und Schweizer Nationalspieler: «Manchmal kann ich es nicht fassen, dass das wahr ist.»

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08.03.2021; Bern; Portrait Christian Fassnacht; Portrait Christian Fassnacht. © Valeriano Di Domenic

«In den unteren Ligen ist der Fussball auch da, um Freundschaften zu pflegen»: YB-Star Christian Fassnacht. 

Valeriano Di Domenico

Die Aare glänzt in karibischem Grün, die Sonne dringt mit frühlingshafter Kraft durch die Wolken. Christian Fassnacht lächelt zufrieden: «In Bern habe ich mein Paradies gefunden.» Dann zieht er seine Jacke aus – ein exklusives Stück aus seiner eigenen Modekollektion Cedici. Die Kleider verkauft er gemeinsam mit Eric Arekhandia, seinem besten Kollegen aus Schulzeiten – in Geschäften in Bern und im Internet: «Eric und ich wollten schon immer mal was zusammen machen. Es wäre schön, wenn wir es bis zu meinem Karriereende seriös durchziehen – und ich dann schon ein zweites Standbein habe.»

Der YB-Star, der aus Tuggen kam

Der Zürcher Christian Fassnacht gehört zu den erfolgreichsten Fussballern des Landes. Mit den Young Boys eroberte er sich nun den vierten Meistertitel in Serie. Durch konstant gute Leistungen hat er sich in das Kader der Nationalmannschaft gespielt. Dabei hatte ihn der Verband bis vor zweieinhalb Jahren nicht auf dem Radar. Fassnacht wurde weder für eine Juniorenauswahl noch für eine regionale Vorauswahl aufgeboten. Deshalb sagt er zu seinem Debüt in der Nationalmannschaft am 12. Oktober 2018 gegen Belgien: «Ich wagte nicht mehr, daran zu glauben. Das erste Aufgebot, das ich vom Schweizer Verband erhielt, war von Nationalcoach Vladimir Petkovic.»

08.03.2021; Bern; Portrait Christian Fassnacht; Christian Fassnacht läuft durch die Kramgasse in der Berner Innenstadt. © Valeriano Di Domenic

Fassnacht mag den Gang durch die Berner Innenstadt. In manchen Läden ist auch seine Modekollektion Cedici zu haben.

Valeriano Di Domenico

«Viele Profis verlieren das Gespür für die soziale Kraft des Fussballs»

Christian Fassnacht

Die Geschichte von Christian Fassnacht ist ungewöhnlich: Auf jeder Stufe wurde er als «zu leicht» befunden und weggeschickt. Mit 15 Jahren träumte er beim FCZ von einer grossen Karriere. Doch im Letzigrund gabs keine Zukunft. Mit 155 Zentimetern war Christian zu klein, als dass man ihn hätte fördern wollen. Rückblickend sagt er: «Wir machten damals Wachstumsprognosen, und es hiess, ich werde zwischen 183 und 185 Zentimeter gross.» Diese Dokumente bewahre er heute noch bei seiner Mutter auf. Aber damals spielte dies für den FCZ keine Rolle: «Es war egal, was einmal sein könnte – es zählt nur der Istzustand.»

Eine zweite Chance

Danach schloss sich Fassnacht den B-Junioren von Red Star Zürich an. Als er aber in die Meisterklasse der A-Junioren kam, reichte es wieder nicht. Der Trainer der ersten Mannschaft stellte ihn vor die Tür. Damals spielte sein Bruder Daniel in der ersten Mannschaft von Thalwil, in der zweiten Liga interregional. Auf seine Vermittlung durfte Fassnacht ein Probetraining machen – dann ein Testspiel gegen Horgen. Und von diesem Moment an war klar, dass er eine Chance erhält – notabene auf einer Stufe, auf der keine Saläre und nur in Ausnahmefällen Spesen bezahlt werden.

YBs Christian Fassnacht jubelt nach seinem Tor zum 2-1 gegen Zuerichs Torhueter Janick Brecher, im Super League Spiel zwischen dem BSC Young Boys Bern und dem FC Zuerich, am Samstag, 19. September 2020 im Stadion Wankdorf in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Christian Fassnacht hat oft Grund zum Jubeln, wie hier gegen FCZ-Goalie Yanick Brecher im Wankdorf.

keystone-sda.ch

Über diese Zeit erzählt Fassnacht: «Ich war damals in einer Privatsportschule in Zürich und machte das KV. Hinter vorgehaltener Hand munkelten viele, dass ich mir die Schule selber finanzieren müsse, weil es mir von den fussballerischen Leistungen her nicht für ein Stipendium reicht.» Aber aus diesen Vorurteilen habe er eine grosse Motivation entwickelt: «Ich wollte allen beweisen, dass ich es trotzdem schaffen kann.» 

Sein Werdegang hat ihn geerdet und geprägt

«Ich bin stolz auf den Weg, den ich gemacht habe», sagt Fassnacht heute. «Ich spielte Aktivfussball in allen Ligen – von der dritten bis zur Super League – und spürte dabei stets, welch soziale und gesellschaftliche Bedeutung der Fussball fernab vom Profigeschäft besitzt.» In Thalwil etwa habe er in einer «sehr coolen Truppe» gestürmt: «Nach dem Spiel trinkst du ein Bier und isst eine Wurst. Einige in meinem Alter spielten damals schon in der Super League, hatten einen Profivertrag – aber verloren vielleicht ein wenig den Sinn für die Realität.» Sein Werdegang dagegen habe ihn geerdet und geprägt. Vermutlich höre er deshalb heute oft, dass er auf dem Boden geblieben sei: «Wenn man sich nur immer im Leistungssport bewegt, kann man das Gespür für die soziale Kraft des Fussballs verlieren.» 

Christian Fassnacht

Mit Freundin Jennifer Degen ist er seit sechs Jahren zusammen. Sie kennen sich aus der Sek.

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Mitentscheidend dafür, dass Fassnacht den Sprung ins Profigeschäft doch noch geschafft hat, ist der Zürcher Spielervermittler Gianluca Di Domenico. Der Italoschweizer lernte Fassnacht über dessen Stammklub Thalwil kennen, er rät ihm von einem «Knebelvertrag» mit dem FC Schaffhausen ab und vermittelt ihn stattdessen zum FC Tuggen in die Promotion League: «Ich spürte, dass Christian das Potenzial für eine Topliga besitzt.» Deshalb lässt Di Domenico Fassnacht nebenbei mit dem Nachwuchs des FC Luzern üben. Doch der dortige Trainer hält nicht viel vom Gast. Sein Name: Gerardo Seoane, heute Trainer der Young Boys und Fassnachts Chef.

Auf Wolke sieben mit Jugendliebe Jennifer

Bis sich die beiden wieder treffen, muss der Goalgetter den Umweg über Thun gehen. Es wird die entscheidende Karrierestation auf dem Weg nach oben. Im Oberland entwickelt er sich zum Schlüsselspieler – und wechselt 2017 in die Bundesstadt. Stets an seiner Seite: Freundin Jennifer Degen, 25: «Wir kennen uns seit der Sekundarschule. Seit sechs Jahren sind wir ein Paar.» Seither schwebt er auch sportlich auf Wolke sieben. 

Christian Fassnacht Andy Mueller/freshfocus

Beim FCZ wollte man Christian nicht fördern – weil er zu klein war.

Freshfocus

Gleich in seiner ersten Saison gewinnt Fassnacht mit YB den ersten Meistertitel seit 32 Jahren. Und heuer wird er den Pokal nach dem frühzeitigen Gewinn des Meistertitels nun also schon das vierte Mal in die Höhe stemmen: «Ich bin im richtigen Moment am richtigen Ort», sagt er strahlend. Und antwortet auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen: «Es wäre natürlich sehr schön, wenn ich irgendwo im Ausland eine Chance erhalten würde. Aber mir gefällt es extrem gut in Bern. Ich würde nie weggehen, nur damit ich weggehen kann.» Was bei vielen Fussballern wie eine Floskel tönt, wirkt bei ihm authentisch. Denn er weiss genau, wie zerbrechlich das Glück im Fussball ist.

Von Thomas Renggli am 16. April 2021 - 12:00 Uhr