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Anatomie-Ausstellung «Körperwelten»

«Ich bleibe der Nachwelt erhalten»

Makabre Leichenschau oder wissenschaftliche Aufklärung? Die Anatomie-Ausstellung «Körperwelten» erhitzt in Zürich die Gemüter. Rosmarie Parrat, 65, ist Spenderin nach ihrem Tod. Und wird vielleicht selbst einst als Plastinat um die Welt reisen.

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Rosemarie Parrat, Koerperspenderin, Koerperwelten Ausstellung, Kunst, Zuerich, SI 18/2021

Körperspenderin mit Ausweis: Rosmarie Parrat zu Gast in der Pokerrunde, die auch im Bond-Kassenschla-
ger «Casino Royal» zu sehen war.

Fabienne Bühler

Der Tod ist Tabu und Mysterium zugleich. Das Lachen, die Liebe eines verehrten Menschen berühren uns nach seinem Ableben nur noch in der Erinnerung. Die Zürcherin Rosmarie Parrat hat sich dazu lange Gedanken gemacht. Sie sagt: «Ich sehe mehr Sinn darin, der Nachwelt als Plastinat erhalten zu bleiben, als in einem Grab zu verrotten oder im Krematorium verbrannt zu werden.» Über 50 Millionen Besucher sahen die Anatomie-Schau «Körperwelten». Nach New York und Salzburg gastiert «Am Puls der Zeit» nun bis 15. August in der Halle 622 in Zürich Oerlikon. 180 
zum Teil neue Exponate sind zu bestaunen. Die Technik, die Gunther von Hagens 1977 erfunden und mit seiner Frau Dr. Angelina Whalley weiterentwickelt hat, ist revolutionär: Alle Zellen und Zwischenräume eines toten Körpers, der zuvor Wasser und lösliche Fette enthielt, werden bei der
 Plastination mit einem Kunststoff ausgefüllt. Die Zellstrukturen bleiben erhalten.

Rosemarie Parrat, Koerperspenderin, Koerperwelten Ausstellung, Kunst, Zuerich, SI 18/2021

Herz oder Hirn? Das ist hier die Frage – ganz nach Shakespeare. Für Parrat haben die plastinierten Organe etwas Sinnliches.

Fabienne Bühler

Ob Elefant, Reiter, Schwangere oder ein Paar beim Liebesakt: Die menschlichen Repräsentationen, die entfernt an Mumien erinnern, nehmen oft alltägliche, dynamische Haltungen ein. Manche empfinden das als unnatürlich, anmassend. Rosmarie Parrat sieht keine Anmassung darin, den menschlichen Körper so authentisch und ansprechend wie möglich darzustellen. 1999 sah die Erzieherin in der Basler Ausstellung zum ersten Mal ein Plastinat. Sofort trug sie sich im Körperspendeprogramm ein. Seither trägt sie immer einen Ausweis auf sich. Darin steht, dass im Falle ihres Todes sofort das Institut für Plastination im deutschen Heidelberg kontaktiert werden soll. Ihr toter Körper wird dann mit dem «Bodymobil» abgeholt und in ein Formalinbad gelegt, bevor die Leiche unbrauchbar wird.

Die Warteliste der Spender ist lang!
 

In Europa gibt es 17827 Spender. Die Warteliste ist lang. Die meisten wollen anonym bleiben. Zu diesen gehört Rosmarie Parrat nicht. Mit der Plastination will sie sich ein Stück Unsterblichkeit sichern. «Es ist ein wenig Narzissmus und Selbstdarstellung dabei», gibt sie unumwunden zu. Es gibt Leute, die an Erkrankungen leiden und wollen, dass Medizin und Forschung ein besseres Verständnis erhalten. Andere haben keine Angehörigen, die sich um ihr Grab kümmern. «Auch ich lebe alleine, habe keine Familie mehr.» Beim persönlichen Rundgang während des Aufbaus der Ausstellung (für Körperspender ist
der Eintritt gratis) gerät sie ins Schwärmen. «Die Evolution ist ein Wunder. Wie filigran unser Körper doch aufgebaut ist! Man sieht, wie die Venen verlaufen. Wo welches Organ sitzt. Warum uns das Skelett zusammenhält. All das gibt uns mehr Einblick über uns selbst.»

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«Pferd und Reiter» sind das Highlight in Zürich udn Rosmarie Parrats Lieblingsplastinat. Präpariert wurde die Riesen-Skulptur von Gunther von Hagens und seinem Team im Institut in Heidelberg (D).

Koerperwelten PR Handout

Beim persönlichen Rundgang während des Aufbaus der Ausstellung (für Körperspender ist der Eintritt gratis) gerät sie ins Schwärmen. «Die Evolution ist ein Wunder. Wie filigran unser Körper doch aufgebaut ist! Man sieht, wie die Venen verlaufen. Wo welches Organ sitzt. Warum uns das Skelett zusammenhält. All das gibt uns mehr Einblick über uns selbst.» Aber ist Plastination nicht grundsätzlich pietätlos? Sensationslüstern? Gruselig? Krank? Das zumindest behaupten Religiöse, Atheisten, Gegner der Leichenschau. «Ein Plastinat ist keine Leiche, sondern besteht aus einem Kunststoffgemisch. Leiche impliziert ja, dass die menschliche Hülle verwest», entrüstet sich die rüstige Rentnerin.
 

Die Seele – das Gedächtnis des Menschen
 

«Gunther von Hagens und Angelina Whalley zeigen nicht nur echte, schwarze Raucherlungen, alkoholgeschädigte Fettlebern, den Bauchquerschnitt von Übergewichtigen. Sie untersuchen auch, welchen Einfluss Glück, Stress, Angst, Ärger und Zufriedenheit auf unsere Gesundheit hat. Diese Fragen sind für mich ein Kernthemen menschlichen Daseins.» Für Gunter von Hagens ist die Seele nicht mehr als das Gedächtnis des Menschen, das den Tod nicht überdauert: «Jedem Spender wird mit seiner selbstlosen Geste auch ein wenig Körperstolz und Körperemanzipation zurückgegeben.»

Rosemarie Parrat, Koerperspenderin, Koerperwelten Ausstellung, Kunst, Zuerich, SI 18/2021

Give me five! Seit 22 Jahren ist Rosmarie Parrat Körperspenderin. Die sportlichen
Plastinate in der Zürcher Ausstellung begeistern sie.

Fabienne Bühler

Rosmarie Parrat ist gut in Schuss. Sie wandert gerne und hat einen wachen Geist. Empfindet sie es denn nicht als belastend, bereits mit 65 Jahren über ihren eigenen Tod nachzudenken? Die Antwort ist überraschend optimistisch: «Ich bin nicht religiös, eher spirituell und freue mich auf das, was noch kommt. Es geht für mich auch um mögliche Formen des Lebens danach.» Ob man sie danach noch erkennen wird, wenn ihr von «Dr. Tod» und seinem Team, wie man im Volksmund sagt, die Haut über die Ohren gezogen wird? «Ich habe eine Schraube im Rücken und künstliche Gelenke. Das ist sicher ein medizinisch interessanter Faktor.» Vielleicht wird Parrats Körper ja auch nicht als anatomisches Kunstwerk enden, sondern in Scheiben geschnitten werden. «Mein Entscheid war ein Bauchgefühl. Es fühlt sich noch immer richtig an.»

Von Caroline Micaela Hauger am 7. Mai 2021 - 12:37 Uhr