Sobald der Ehrengast sein Glas Champagner in der Hand hat, beginnt der Endspurt. In höchster Konzentration. «Ab dann sind wir alle im Flow, jeder Handgriff sitzt», sagt Gregor Zimmermann (52) Chefkoch im «Bellevue Palace» in Bern, dem offiziellen Gästehaus der Schweiz. Nur knapp anderthalb Stunden sind reserviert für das Essen der vier Gänge des Staatsbanketts im Bernerhof – in diplomatischen Kreisen wird allerhöchstens beim Espresso und den Friandises noch etwas überzogen. Dann sind in der Küche und im Keller bereits die Kisten gepackt, die letzten Spuren beseitigt, der Camion beladen. «Bitte rasch zusammenpacken, damit wir vor dem Konvoi abfahren können», hatte Zimmermann beim Briefing am Nachmittag zur Küchencrew gesagt. «Alles klar?», fügte er noch an, bevor die 13 Köche und Köchinnen im professionellen Zen-Modus ihre jeweiligen Aufgaben anpackten.
Die konzentrierte Vorbereitung
«Um 14.45 Uhr ist Abmarsch, mit Jacke und eigenen Messern», so Zimmermann. Soeben hat er mit seiner Checkliste kontrolliert, ob alles Material für den Transport in die Küche des Bernerhofs parat ist. «Schwingbesen vier?» – «Ja», quittiert Executive Souschef Eric Henck. Von Pinzetten, Sauteusen, Löschdecke, Handschuhen aller Grössen, Rüebli, Käse bis zum Rindsfilet wird die Liste akribisch abgearbeitet. Eigenhändig fährt der Chef den beladenen Lieferwagen selber. «Dann bin ich schuld, wenn was passiert.» In der Zwischenzeit ist die Küchencrew eingetroffen und transportiert die wertvolle Fracht in die Küche des Bernerhofs. Dort werden die Toques aufgesetzt, konzentriert gehts an die Arbeit. «Zuerst die Vorspeise, dann die Käseteller», instruiert der Chef.
Schon vor Monaten fiel für Zimmermann der Startschuss für das Staatsbankett mit Präsident Emmanuel Macron (45) und Gattin Brigitte (70). Als Mitglied des «Cercle des Chefs des Chefs», der Vereinigung der Küchenchefs der Staatschefs, kann er bei hohen Gästen mit seinen Kollegen in den Hauptstädten der Welt telefonieren. Vorlieben oder Unverträglichkeiten werden vom Protokoll abgecheckt. Wie plant er ein Menü für ein Staatsbankett? «Gewünscht ist etwas Typisches aus der Schweiz. Das Menü soll eine Geschichte erzählen und Gesprächsstoff liefern.»
Aber was, ums Himmels willen, kocht man für den Präsidenten des Landes, das mit seiner Küche stilprägend ist? «Ach, die französische Küche ist meine Heimat und meine grosse Liebe», schwärmt Zimmermann. Und fügt sofort an: «Präsident Macron kann ja jederzeit in die besten Restaurants, also habe ich mich entschieden, etwas Einfaches zu machen.»
Das viergängige Menü
Zur Vorspeise komponiert der Chefkoch Aspik mit Gemüse und Siedfleisch – die Inspiration dazu war Schwartenmagen. Hauptspeise ein Filet vom Rind aus der Innerschweiz mit Rösti, dann Schweizer Käse und zum Dessert – zu Ehren von Bundespräsident Alain Berset (51) – Poire à botzi, eine Spezialität aus dem Kanton Fribourg. Das Menü wurde vom Protokoll degustiert, mit der Gegenseite abgecheckt und beschlossen.
Der edle Bankettsaal
Bereits am Montag hat die Crew um Reto Tschachtli vom Bundesamt für Bauten und Logistik den Tisch fürs Bankett aufgestellt: 21 quadratische Tische, Gesamtlänge 30 Meter, Platz für 90 Personen (es werden dann 88 Gäste). Wasserwaagen behoben Unebenheiten. Am Dienstag wurde die Tafel eingedeckt mit Leinentischtüchern, Geschirr aus Limoges-Porzellan (Haviland Place Vendôme), Silberbesteck und Kristallgläsern. Kurz vor Beginn des Banketts platzieren Mitarbeiterinnen des EDA-Protokolls die Tischkärtchen. Monsieur le Président wird von Bersets Gattin Muriel links und Bundesrätin Viola Amherd (61) rechts flankiert, Brigitte Macron von Präsident Berset und Caroline Parmelin.
Die guten Geister
Während in der Küche gearbeitet wird, trifft das Servicepersonal ein. Adrien de Haller, Deputy General Manager des «Bellevue Palace», schwört die erfahrenen Berufsleute mit einer hoch motivierenden Rede ein. «Ein einmaliges Erlebnis, wie ein Champions- League-Final.» Der 34-Jährige ist Vollblut- Gastgeber, schaut auf jedes Detail und beschreibt die Arbeit des Servierpersonals als «Ballett. Wunderschön anzusehen.» Serviert wird zuerst der Mittelteil, dort sitzen die wichtigsten der wichtigen Gäste, danach kommen die beiden Flügel dran. Das Servicepersonal trägt immer nur zwei Teller aufs Mal und weiss genau, wer von den honorablen Gästen wie sein Mineralwasser will. Bei Fragen kommt das Protokoll zu Hilfe.
Der grosse Moment
Eigentlich sind nur rund anderthalb Stunden fürs Essen reserviert. Die Vorspeise ist immer kalt , «falls es eine Verspätung gibt», so Chef Zimmermann. Die gibt es wirklich. Geplant war, dass das Diner um 22 Uhr beendet ist. Schon um halb neun ist klar, dass dieser Plan nicht aufgeht. In der Küche muss der Flow sich nach dem verspäteten Programm richten. Chef Zimmermann sorgt und kümmert sich, der Service weiss, dass er nun immer rasch abräumen muss, nachdem die Ehrengäste im mittleren Teil der Tafel Gabel und Messer auf den Teller gelegt haben. Im Bankettsaal wird man nichts merken, die Profis im Hintergrund sind für alles gewappnet. Wie sagt Chef Zimmermann: «Wenige haben einen Beruf, der Hobby, Leidenschaft und Kultur vereint. Ich betrachte das als Privileg.»