Zweifelsohne ist Sophia Loren (89) ein Star, einer der ganz grossen. Doch wird dieser Begriff ihrem Wesen und ihrem Leben nicht ansatzweise gerecht. Ein Star, ein Stern, leuchtet kalt und von fern. Und La Loren ist so ziemlich das Gegenteil. Trotz ihrem Welterfolg wirkt sie stets bodenständig, warmherzig, nahbar. Ihre unvergleichliche Schönheit ist nie die einer Statue auf einem Podest, sondern die einer quicklebendigen, sinnlichen Frau.
Viel besser als der Begriff Star passt zu der schönen Römerin mit süditalienischen Wurzeln und ebensolchem Temperament das Wort Vulkan. Ein Naturereignis der faszinierenden Art. Und anders als bei ihrer ewigen Konkurrentin Brigitte Bardot – beide sind 1934 geboren, beide galten als Sexsymbol – denkt man bei der Loren eher an Erotik als an Sex.
Loren spielte stets gekonnt mit ihren Reizen
Obwohl die Loren nie mit ihren Reizen geizte und ihre Kurven sehr gekonnt zu inszenieren wusste, behielt sie stets die Erkenntnis im Hinterkopf: «Was ein Mann mit einem Blick unverhüllt erfassen kann, wird für ihn sofort uninteressant.»
Ein Satz, der eines der berühmtesten Bilder der Loren auf den Punkt bringt: der Schnappschuss mit Jayne Mansfield von 1957. Sophia starrt schockstarr auf das Décolleté der Amerikanerin. Voller Empörung? Oder Neid? «Nein! In meinem Gesicht steht die blanke Angst», kommentiert sie den Moment Jahrzehnte später. «Ich hatte befürchtet, dass alles in ihrem Kleid explodieren und – bum! – sich über den ganzen Tisch verbreiten könnte.»
Vom Spaghetti zur Pasta-Mamma
Zu ihren eigenen beeindruckenden Kurven sagte sie einmal, ganz Italienerin: «Alles, was Sie hier sehen, verdanke ich den Spaghetti.» Als Spaghetti oder Zahnstocher wird sie als Kind gehänselt, weil sie so dünn ist. Sie stammt aus einer mausarmen Familie, kommt 1934 als Sofia Villani Scicolone in Rom zur Welt. Der Vater Riccardo Scicolone, ein verarmter Adliger und Bauarbeiter, verlässt die Mutter Romilda nach der Geburt des zweiten Kindes, die Mutter hält sich und ihre Mädchen mit Klavierstunden über Wasser. Später meint La Loren, sie sei stets zufrieden, weil sie den Hunger ihrer Kindheit nie vergessen habe.
Zu wissen, was Hunger bedeutet, bringt sie auch zu ihrem humanitären Engagement, sie ist lange Jahre Unicef-Botschafterin, scheut sich nicht, Flüchtlingslager in Somalia zu besuchen und mit ihrer Popularität auf das Drama in dem afrikanischen Land aufmerksam zu machen. Ihre Liebe zum Essen bringt Sophia Loren zum Ausdruck, indem sie zahlreiche Kochbücher veröffentlicht. Alle werden zu Bestsellern.
Wie wichtig ihr das Kochen und das Essen ist, zeigt sie schon 1960 im Film «La ciociara». In einer Szene zeigt Regisseur Vittorio De Sica, mit dem sie noch zahlreiche Filme dreht, die 26-jährige Loren beim Pastakochen. In diesem Kriegsepos bringt sie ihre eigenen Jugenderfahrungen von Armut und Schmerz so glaubhaft auf die Leinwand, dass sie dafür mit einem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wird. 1991 darf sie in Hollywood den Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk in Empfang nehmen.
Einen der grossen, unvergesslichen Oscar-Momente beschert Sophia Loren der Filmwelt im Jahr 1999. Sie ist die Präsentatorin des besten ausländischen Films, der Preis geht an «La vita è bella». «Roberto!», schreit sie laut lachend in den Saal, Benigni steigt im Freudentaumel über Stühle und Gäste hinweg auf die Bühne und knutscht Sophia ab, wie das nur in Zeiten vor der Political Correctness möglich ist.
Öffentliche Auftritte sind ja ganz nach Sophia Lorens Geschmack, seit sie 1955 am Filmfestival von Cannes die meistfotografierte Frau geworden ist. Damals schoss Edward Quinn ein weiteres Ikonenbild der schönen Italienerin. Sie empfing den Fotografen spontan in ihrem Hotelzimmer, er lichtete sie von hinten ab, wie sie sich über das Balkongeländer lehnte. Ihre unverkennbare Rückseite ist noch heute ein beliebtes Postersujet.
Quasi ihr «Heimspiel» gibt sie während vieler Jahre am Filmfestival in Venedig, erstmals im Jahr 1955, wo sie sich als Bella Bionda im Ballkleid auf dem Balkon eines Palazzo inszeniert. Über 50 Jahre später schreitet sie mit der gleichen Anmut und Würde, die Olympia-Flagge tragend, an der Eröffnung der Winterspiele in Turin ins Stadion, ganz im Stil von Mamma Italia.
Ciao Carlo, hello Pirelli
Das folgende Jahr, 2007, bringt für Sophia viel Freud und Leid. Sie posiert mit ihren 73 Jahren für den Pirelli-Kalender, eigentlich ein Privileg von Top-Models. Sie beweist der Welt, dass Erotik und Schönheit kein Alterslimit kennen. Später im selben Jahr muss
sie sich von ihrer grossen Liebe verabschieden.
Ihr Mann und Förderer Carlo Ponti stirbt. Die beiden haben sich 1950 in Rom kennengelernt. Die 16-jährige Sofia trat im Wettbewerb zur Miss Italia an, der 38-jährige Filmproduzent Carlo sass in der Jury. Er war es, der aus Sofia Villani Scicolone Sophia Loren macht, ihre Filmkarriere anstiess und sie ermutigte, nach Hollywood zu gehen.
Hier gelang ihr 1958 mit dem Film «House Boat» an der Seite von Cary Grant der finale internationale Durchbruch. Die Ehe mit Ponti galt zeitlebens als mustergültig, über Affären mit ihren berühmten Filmpartnern – besonders mit Marcello Mastroianni, mit dem sie 17 ihrer insgesamt fast 100 Filme drehte – ist nichts bekannt.
Mit Carlo Ponti war Sophia quasi zweimal verheiratet. Die erste Ehe von 1957 wurde annulliert, weil Ponti geschieden war und Scheidung in Italien nicht legal. Erst 1966 wurden Sophia und Carlo rechtmässige Eheleute. Das Paar lebte später unter anderem in der Schweiz am Genfersee und auf dem Bürgenstock, damals ein Tummelplatz des Jetset. In Hergiswil NW hatte das Ehepaar lange ein Domizil – wohl aus Steuergründen. Denn mit den italienischen Steuerbehörden lag La Loren lange Jahre im Streit. 1980 wurde sie zu 30 Tagen Haft verurteilt, die Hälfte davon sass sie tatsächlich ab.
Abschied von der Leinwand
Ihren letzten Filmauftritt hat La Loren 2020 in der hochgelobten Netflix-Serie «La vita davanti a sé», in der sie eine ehemalige Prostituierte spielt. Im Winter 2023 bricht sie sich bei einem Sturz in ihrem Genfer Zuhause die Hüfte. Sie will nach einer kurzen Reha wieder zurückkommen. Wir hoffen es!