Vom Fussballer zur Person der Zeitgeschichte: Mit 50 Jahren ist David Beckham mit strenger Arbeitsmoral, guten Manieren und Cleverness zum globalen Überprominenten geworden. Seinen Geburtstag feiert er zu Hause auf dem Land – und mit 88 Millionen Followern auf Instagram. David Robert Joseph Beckham wird 50. Ihm gelang, was so einfach ist, doch so kompliziert tönt, wie die dunkle Energie und Materie des Weltraums zu definieren: Er hat die Zeit, in der er lebt, verstanden. Becks wurde damit zum Milliardär. Und zum zweitberühmtesten Menschen des blauen Planeten. Nach Donald Trump (78).
Nur der Beckham kann sich das erlauben: Seit März fährt ein Bus mit dem Überprominenten in lasziver Pose durch London.
In Pictures via Getty ImagesEs begann alles mit einer faszinierenden Fussbewegung. Er lernte, wie man die Innenseite des rechten Fusses so schnell entlang eines Balles reibt, dass das Ding nach dem Kick dank dem Drall eine unberechenbare Kurve fliegt und der gegnerische Torhüter verunsichert danebengreift. Goal! 50'000 bis 100 000 Zuschauer hüpfen begeistert von einem Bein auf das andere und schreien sich die Ekstase aus dem Leib. Millionen in den Wohnungen mit den Fernsehern tun das auch, sodass die Mieter im unteren Stock glauben, das Haus springe gleich aus seinem Fundament.
Dann heiratete Becks ein Mädchen, das als kommendes Spice Girl im Rolls-Royce zur Schule gefahren worden war. Und mit Popmusik zum Herzensschatz einer Milliarde Teenager weltweit aufstieg. Die halbe Miete war damit schon geschafft, den zweiten Teil der Miete übernahm die so viel gescholtene englische Boulevardpresse: Sie schrieb von nun an über jedes Quäntchen Luft, das dem weltbesten Kurvenkicker und dem schönen Pop-Idölchen entwich, verkaufte damit wie gestört Zeitungen und machte David Beckham zum begehrtesten Werbe-Idol der Welt.
Der Ehemann und Royalist: Niemand gibt dem Fussballer und dem Spice Girl Victoria Kredit, als sie 1999 heiraten. 26 Jahre danach strafen sie die Lästermäuler Lügen. Beide sind Träger des Ordens des britischen Empire (er als Fussballer, sie als Modeunternehmerin). König Charles hat sie erst gerade empfangen (Bild). David strebt den Ritterschlag an, beim Tod der Queen stellte er sich demütig in die Menschenschlange und holte sich viel Sympathien bei den Briten.
Getty ImagesDavid Beckham begriff in Zusammenarbeit mit seiner Partnerin sehr schnell, dass das Reiben des Fusses am Ball, so faszinierend der Flug des Balles sich in der Folge auch entwickelte, allein nicht genügte. Er musste den «Mails», «Suns», «Mirrors» und «Times» die Garnitur dazu liefern. So kickte er einfach von Zeit zu Zeit mal einem Gegner ins Schienbein, legte sich halb öffentlich mit einem Trainer an. Und unterschrieb rund um den Globus überall dort Verträge, wo er sicher sein konnte, dass die Leute von einem Bein auf das andere hüpfen würden, wenn er wieder einen seiner Kurvenbälle abgefeuert hatte. Von London nach Manchester.
Vom Theater der Träume nach Madrid, zu Real ins Bernabéu. Von Spanien nach Los Angeles, wo die dicken Marketingmillionen liegen. Dann nach Italien, nach Mailand, zu den heissesten Fans. Ein bisschen zwischen Amerika und Italien hin und her. Schliesslich noch nach Paris zu den arabischen Milliarden von Paris Saint-Germain PSG.
Der Buhmann: Ein Land sieht rot: An der WM 1998 kickt er einen Argentinier ins Knie, kriegt die Rote Karte, England scheidet aus. Damals 23-jährig, wird er beschimpft, angegriffen, braucht Bodyguards. Das habe sein Leben verändert, gibt er 2023 in der Netflix-Doku «Beckham» zu.
KeystoneWenns still wurde, kam eine neue Frisur
Er verkaufte Sportartikel, Natels, Autos und Kopfwehpillen, was das Zeugs halt hergab. Rieb seinen rechten Fuss am Ball. Die Millionen spritzten nur so durch die Gegend. Wenn es zu still um ihn wurde, änderte er die Frisur. Die Nikons und Leicas klickten begeistert. Und dann bekam die ganze verrückte Geschichte auch noch eine Eigendynamik. Becks und sein Schatz mussten gar nicht viel dazutun. Wie oft im Leben half ein Zufall, den einmaligen Höhepunkt seiner Karriere zu erreichen. Er unterschrieb einen Vertrag mit dem bekanntesten Rasierer der Welt. Beckham und Gillette – kolportiert wurde ein Honorar von 60 Millionen Euro für fünf Jahre. Und das vor ziemlich genau 20 Jahren.
Genaues ist nicht zu erfahren, denn in allen diesen Verträgen ist der Passus enthalten, dass die Vertragsdetails geheim gehalten werden müssen. Die Firmen sind alle daran interessiert, dass möglichst horrende Summen kursieren, damit viel darüber gesprochen wird. Die Journalisten spielen aus demselben Grund mit. Wie auch immer. Aus dem rasierten David Beckham wurde der unrasierte David Beckham. Aus dem unrasierten David Beckham wurde das Gesicht der neuen Metrosexualität.
Der Haar-Virtuose: «Fussball ist nur noch kleiner Teil von ihm», lästerte Manchester-Trainer Alex Ferguson: Becks mit Irokesenschnitt (musste ihn auf Geheiss Fergusons in der Kabine abrasieren), Strubbelhaaren, Cornrows (waren ihm später peinlich) und Dutt, der heute als Man-Bun Alltag ist.
Getty ImagesEr begründet einen neuen Lebensstil
Das Wort ging um die Welt. Eine neue Mode war geboren. Und damit hatte jeder Mann mit einem langweiligen Gesicht rund um den Globus die Möglichkeit, sich als modernes Mitglied der Gesellschaft auszuzeichnen. Denn niemand weiss genau, was Metrosexualität eigentlich bedeutet, aber jeder sieht den attraktiven David Beckham, wenn er die silbern glänzenden Stoppeln im Gesicht der Möchtegern-Metrosexuellen sieht. Metrosexuell? Auf jeden Fall modern. Ein Mann, der die an und für sich eher weibliche Eigenschaften auslebt, alles dafür zu tun, um gut auszusehen und damit Werbeträger für Mode, Kosmetik zu sein? Oder auch ein empathischer Mensch, der sich getraut, mit seinem Gesicht auszudrücken, Verständnis und Toleranz für alle sexuellen Minderheiten dieser Zeit und dieses Planeten zu haben? Verrückt. Wie die Karriere von David Beckham.
Der Mustervater: David und Victoria sind unaufgeregte Eltern, Skandale gibt es keine, dafür Familienbilder auf Instagram. David macht Frühstück («Smoothies sind meine Spezialität»), bringt Tochter Harper zur Schule, fördert Cruz als Fussballer und Romeo als Model. Die Hochzeit von Brooklyn war Anlass, die glückliche Familie zu zelebrieren.
imago/Future ImageAus dem Vertrag des besten Freistossschützen aller Zeiten mit dem populärsten Rasierer der Welt wurde die Ikone des Viertagebarts. Die kolportierten 60 Millionen Euro für Becks dürften für die neuen Besitzer von Gillette, Procter & Gamble, ein Klacks sein gegen den Umsatzverlust, den die Firma dadurch erlitt, dass wegen David Beckham die ganze Welt heute weniger Rasierklingen benötigt als vor der Zeit der Metrosexualität.
Das Phänomen: 2004, beim Spiel England gegen Kroatien – und belgische Fans huldigen ihrem länderübergreifenden Idol im Shirt der Three Lions. So was erlebte nicht einmal Pelé oder Maradona – Messi und Ronaldo verblassen vor dem Beckham-Mythos.
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Wer dann noch ein bisschen weiterforscht, das Wort «Metro» untersucht, wird erstaunt feststellen, dass es weniger mit städtisch zu tun hat, was allgemein die Ansicht sein dürfte, dafür mehr mit Mutterstadt. Und damit dürfte David Beckham trotz aller Männlichkeit dank seinen schier unzähligen gekurvten Freistössen auf allen Kontinenten eher dafür verantwortlich gemacht werden, dass man die Unrasierten dieser Welt statt als besonders männlich mehr als Muttersöhnchen einstuft. Oder?