Seine Finger sind zu steif für virtuose Bassläufe oder Gitarrengriffe. Doch sie führen noch immer sicher einen Copic- oder Gravurstift. In seinen Augen blitzt etwas Spitzbübisches, und sein Charakterkopf, umspielt von wehendem grauen Haar, ist klar und wach. Selbst mit 86 Jahren ist Klaus Voormann noch ein viel beschäftigter Künstler.
Auf dem Schreibtisch seines Ateliers in einem alten Bauernhof im bayerischen Tutzing liegt ein Zettel mit der Handynummer von Paul McCartney (82). «Paul hat gerade wieder angerufen», sagt Voormann. «Er will, dass ich für ein Buchprojekt die Tourbus-Szene nachzeichne, in der sie damals ‹From Me to You› geschrieben haben.» Mit «sie» meint er die Beatles. Die legendärste Boygroup der Musikgeschichte lernte Voormann in den frühen 1960er-Jahren als Kunststudent in Hamburg kennen. Als er eines Abends über die Reeperbahn schlendert, dröhnt ihm aus dem berüchtigten Kaiserkeller «Love Me Do» entgegen. «Du kannst dir das Gefühl nicht vorstellen, als ich das gehört habe», schwärmt er noch heute.
Im Garten seines Bauernhauses in Tutzing am Starnbergersee geniesst Klaus Voormann seine Privacy und die frische Natur.
Florian JaenickeKlaus, Sohn einer intellektuellen gutbürgerlichen Berliner Familie, traut sich hinein in das raue Milieu von Prostituierten, betrunkenen Rockern und dieser jungen, damals noch unbekannten Band aus Liverpool, die unter erbärmlichen Umständen für ihre Existenz spielt. «Sie waren froh, mit ihrer Musik ein bisschen Geld zu verdienen», erzählt er. «Waschen mussten sie sich im Pissoir eines Bordells.»
Wie wertvoll ist es da, einen Menschen mit Herz zu treffen! Klaus spricht sie an, zeigt John Lennon (†40) das Plattencover der Single «Walk Don’t Run», das er für ein Plattenlabel entworfen hat. Lennon gefällts und reichts seinem Kumpel Stuart Sutcliffe weiter – Kunstmaler und damals Bassist bei den Beatles. Sutcliffe und Voormann verstehen sich sofort. Als Sutcliffe in einer langen Nacht nicht mehr spielen will, drückt er Voormann den Bass in die Hand und sagt: «Spiel du weiter!»
Klaus Voormann war mit John Lennon im Studio, als dieser den ikonischen Hit «Imagine» aufnahm – und spielt darauf den Bass.
Florian JaenickeSo entsteht eine Freundschaft und eine künstlerische Beziehung, die bis heute anhält. Die Beatles sind begeistert von Voormanns avantgardistischem Modestil – Pilzkopffrisur und Wildlederjacke – und lassen sich davon inspirieren. Als Stuart Sutcliffe beschliesst, bei seiner Freundin, der Fotografin Astrid Kirchherr, in Hamburg zu bleiben, zieht Klaus Voormann nach London in eine Wohngemeinschaft mit George Harrison und Ringo Starr (84). Er spekuliert darauf, bei den Beatles als Bassist einzusteigen. Doch Paul McCartney hat inzwischen einen Bass gekauft. Der Job ist bereits vergeben.
Collage: Klaus Voormanns Stil ist charakterisiert durch eine filigrane Anordnung von Motiven, die er einzeln zeichnet und dann zusammenfügt.
Florian JaenickeKlaus, den die Beatles «The Crazy Kraut» nennen, bleibt der Band und den einzelnen Mitgliedern aber eng verbunden. Er konzentriert sich auf andere Musikprojekte und seine Laufbahn als grafischer Künstler und steigt als Bassist bei Manfred Mann ein. 1966 fragt ihn John Lennon, ob er das Cover für das neue Beatles-Album «Revolver» entwerfen will.
Es wird ein Wendepunkt in Voormanns Leben. Für seine Grafikkunst wird er mit einem Grammy ausgezeichnet. Später steht er bei John Lennon im Studio, als dieser seinen ikonischen Hit «Imagine» aufnimmt – er spielt darauf Bass und überredet Lennon dazu, das Arrangement schlicht zu halten.
Klaus Voormann (r.) am Bass mit John Lennon (l.) und Yoko Ono bei einem TV-Auftritt 1970 mit der Plastic Ono Band.
Popperfoto via Getty ImagesSanfter Rock-’n’-Roller
Der künstlerische Instinkt für das Authentische, seine bescheidene, ehrliche und offene Art sowie die Neugier und der Mut, ständig Neues zu wagen, prägen das Leben von Klaus Voormann bis heute. Sein Atelier ist eine lebendige Werkstatt. Während er einen Kräutertee aufsetzt, erzählt der sanfte Rock-’n’-Roller von unzähligen Projekten aus seinem Leben: Aufnahmen mit Carly Simon, Lou Reed und B. B. King. Plattencovers für die Bee Gees, Wet Wet Wet und die Punk-Metal-Band Turbonegro. Zweiter Grammy für das Album «The Concert for Bangladesh» unter anderem mit George Harrison (†58), Billy Preston (†59), Bob Dylan (†83), Eric Clapton (†80), Ravi Shankar und Ringo Starr. Produzent der Kultband Trio mit ihrem legendären Hit «Da Da Da». Das Video dazu drehte Dieter Meier. «Ein toller Künstler», so Voormann.
«Dominant – manchmal leicht einschüchternd.» Die Begegnung mit dem Schweizer Techno-Urvater, Aufnahmen in den Powerplay Studios in Maur ZH sowie die grosse Bewunderung für den Schweizer Künstler H. R. Giger sind für den nimmermüden Schaffer, der auch grossartige Kunstbücher produziert, die wenigen Berührungspunkte mit der Schweiz. Bis jetzt.
Das «Revolver»-Plattencovermotiv für die Beatles prägt auch heute Voormanns Kunst: hier das Resonanzfell einer Bassdrum.
Florian JaenickePolo Hofers Traum wird wahr
Denn nun sind im Berner Bierhübeli in der Ausstellung «Saitensprünge» erstmals einige seiner wichtigsten Werke zu sehen – und zu kaufen. Das sei kein Zufall, wie Stefanie Keusen, die Initiantin und Kuratorin der Ausstellung, erzählt: «Die Idee zu ‹Saitensprünge› stammt von Polo Hofer. Er, der selbst auch passionierter Maler und Zeichner war, wollte Werke anderer Musikerinnen und Musiker zeigen. Sein grösster Wunsch: Klaus Voormann!» Zehn Jahre lang versucht Keusen, Voormann mit seinen Werken nach Bern zu holen.
Doch der viel beschäftigte «fünfte Beatle» muss immer wieder absagen: Termine, Projekte, Engagements. «Dieses Jahr hats endlich geklappt», sagt Keusen. «Damit wird auch Polos Traum wahr.» Dass er in Bern Teil einer Sammelausstellung ist, bei der auch andere Musiker wie Krokus-Rocker Chris von Rohr (73), Liedermacher Manuel Stahlberger oder der Aargauer Musiker Oliver Keller ihre Bilder zeigen, findet Klaus Voormann spannend.
«Als Musiker habe ich es immer geliebt, in Bands zu spielen. Dasselbe versuche ich mit meinen Bildern: Ich mache Skizzen und lasse mich dann von den Inputs anderer weiter inspirieren. Kunst als Jamsession sozusagen.»