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  4. Sexualtherapeutin Dania Schiftan im Interview über offene Beziehung

Sexualtherapeutin über Sex und Liebe

«Eine offene Beziehung erfordert sehr viel Zeit»

Schauspieler Will Smith und seine Frau Jada sorgen mit ihrer Beziehung immer wieder für Schlagzeilen: Die Eheleute sollen eine offene Beziehung leben. Doch nicht allen Fans behagt dieses Beziehungsmodell. Wir haben Sexual- und Psychotherapeutin Dania Schiftan dazu befragt.

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Paar im Bett Symbolbild 2020

Die offene Beziehung ist ein viel diskutiertes Beziehungsmodell.

Getty Images

Frau Schiftan, in diesen Tagen war die Ehe von Schauspieler Will Smith in den Schlagzeilen. Seine Frau, Jada Pinkett Smith, soll eine Affäre gehabt haben, die er duldete. Warum sorgt eine solche Meldung überhaupt für Gesprächsstoff?
Ganz einfach, weil «Sex sells». Sobald es um die Sexualität geht, sind die Leute aufgeregt. Dass etwa Paare Sex ausserhalb ihrer Beziehung haben, erregt unsere Gemüter auf zwei Arten – es erzeugt Spannung und Neugier, aber auch Ablehnung. Auch im Jahr 2020 leben die allermeisten Leute in einer monogamen Beziehung. In ihren Augen ist diese Beziehungsform das Mass aller Dinge. Sobald sich Menschen abseits dieser vermeintlichen Norm bewegen, führt das in der Gesellschaft zu einer Beunruhigung und animiert zur Diskussion.

Wie äussert sich diese Beunruhigung?
In einer Ambivalenz. Die Kenntnis, dass manche Paare – gar Personen aus dem eigenen Umfeld – eine andere Beziehungsform als man selber leben, fordert einen auf allen Ebenen. Man hinterfragt sein eigenes Beziehungsmodell. Selbst Leute, die nach aussen vehement gegen eine Sache sind, können innerlich plötzlich eine gewisse Sehnsucht danach verspüren.

Wird eine offene Beziehung anders angeschaut als eine offene Ehe oder wird das in denselben Topf geworfen?
Aus der Perspektive eines Paares betrachtet, das in einer offenen Beziehung lebt, spielt es keine Rolle, ob es verheiratet ist oder nicht. Das Paar selber hat die gleiche Verbundenheit, wie wenn es ein verheiratetes Paar wäre. Von aussen betrachtet unterscheidet die Gesellschaft aber: Unverheiratete Paare, die in einer offenen Beziehung leben, sind gesellschaftlich besser akzeptiert. Da man denkt, die Emotionen seien dort weniger gross als bei verheirateten Paaren.

«Eine offene Beziehung einzugehen, nur um den anderen behalten zu können, das funktioniert nicht»

Manche Menschen sehen in einer offenen Beziehung/offenen Ehe die Vorstufe zur Trennung. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil. Viele rationalisieren dieses Beziehungsmodell für sich und erklären es sich so: «Die haben es nicht mehr gut im Bett miteinander, die Qualität der Beziehung ist schlecht, deshalb schlafen sie mit anderen.» Natürlich kann das sein. Es gibt garantiert diejenigen, die eine offene Beziehung anstreben, weil sie Angst vor einer Trennung haben und sich durch die offene Beziehung mehr Freiheiten erhoffen, ohne den anderen ganz aufgeben zu müssen. In diesem Fall ist die offene Beziehung aber nur ein Ausweg, sich gewissen Herausforderungen nicht stellen zu müssen. Das ist nicht förderlich. Im Wunsch nach einer echten offenen Beziehung geht es hingegen um etwas ganz anders: Es geht um die Grundidee, Sexualität und/oder auch Emotionen auf mehr Leute zu verteilen. Eine offene Beziehung kann aus einem positiven Grund entstehen.

In welcher Situation ist eine offene Beziehung/offene Ehe denn das Richtige für ein Paar?
Das lässt sich nicht generell beantworten. Was ich sagen kann, ist einfach: Dieses Beziehungsmodell ist nur dann erfolgreich, wenn beide es gut finden, beide es möchten und beide sich mit sich selber sehr intensiv auseinandersetzen. Eine offene Beziehung einzugehen, nur um den anderen behalten zu können, das funktioniert nicht.

Ist der Wunsch nach einer offenen Beziehung/offenen Ehe immer mit dem Wunsch nach besserem Sex verbunden oder gibt es auch andere Faktoren?
Jedes Paar, das eine offene Beziehung lebt, hat andere Gründe. So sind meine Erfahrungen. Viele Paare haben eine erfüllte Sexualität und machen es nicht aus einem Mangel heraus, sondern aus der Fülle. Etwa, wenn jemand so viel Liebe zu geben hat, sich begehrter fühlen möchte oder schlicht auch das Bedürfnis hat, verschiedene Menschen sexuell kennenzulernen. Erfolgreiche offene Beziehungen funktionieren oft als Paare extrem gut. Das sind Paare, die sich extrem gewohnt sind, sehr viel miteinander zu kommunizieren und miteinander auszuhandeln.

Leidet die Intimität bei Ehepaaren, wenn sie in einer offenen Beziehung sind, da sie gleichzeitig Sex oder auch nur Zärtlichkeiten mit anderen Partnern haben?
Das ist die gängige Meinung in der Bevölkerung, dass man meint, der eigene Partner käme zu kurz, aber dies muss nicht zwangsläufig so sein. Es ist wie bei den Kindern: Solange man nur ein Kind hat, fällt die ganze Liebe und Zuneigung auf dieses eine. Sobald das zweite Kind da ist, geht das Herz noch mehr auf und man hat plötzlich so viel Liebe, dass es für zwei Kinder reicht. So ähnlich kann es sich auch bei offenen Beziehungen verhalten.

Symbolbild Freunde die am Tisch über etwas sprechen 2020

Soll man seine Freunde und Bekannte einweihen, dass man in einer offenen Beziehung/offenen Ehe ist?

Getty Images/Image Source

«Je sicherer und überzeugter man von seinem eigenen Weg ist, desto offener kann man über die Dinge reden»

Was müssen Paare mitbringen, damit die offene Ehe/offene Beziehung funktioniert?
Eine offene Beziehung erfordert sehr viel Zeit. Es ist sehr aufwendig, wenn beide auf ihre Kosten kommen wollen. Man muss Diskussionen 10-fach führen. Jedes Beziehungsthema gleichwertig besprechen und sehr genau aushandeln, wer wie viel Raum einnimmt in diesem Beziehungsmodell. Es ist mit Arbeit verbunden, birgt aber grosse Chancen, sofern alle Beteiligten dies wollen und bereit sind, mitzuarbeiten.

Welche Punkte muss man konkret regeln, wenn man eine offene Beziehung haben möchte?
Alles, was man in einer monogamen Beziehung auch regelt. Was ist erlaubt mit dem anderen Partner? Geht es nur um Sexualität oder geht es auch um Emotionen? Wie viel Zeit verbringt man mit dem Partner, wie viel Zeit mit anderen? Wie handhaben wir es mit der Verhütung? Darf es Kinder geben ausserhalb der ursprünglichen Beziehung? Was für einen Stellenwert haben die Personen für einen? Was ist, wenn man schwanger wird, welche Art Beziehung lebt man dann miteinander? Es ist ein kontinuierliches Besprechen und Aushandeln der Bedingungen nötig, damit eine offene Beziehung funktionieren kann.

Wie verhandelt man das denn am besten? 
Das macht jedes Paar wieder anders. Meistens geht der Wunsch nach einer offenen Beziehung von einer Partei aus. Manche gehen spazieren und reden. Manche schreiben sich Briefe, manche schreiben Excel-Listen. Unabhängig davon für welche Variante sich ein Paar entscheidet, ist eines immer gleich: Man muss immer und immer wieder gemeinsam über das Erlebte sprechen. Im Laufe von Erfahrungen können auch neue Punkte auftauchen, die geregelt werden müssen und andere, die anfangs als sehr wichtig erachtet wurden, können obsolet werden.

Würden Sie einem Paar anraten, es für sich zu behalten oder es im Freundes- und Bekanntenkreis offen zu sagen, dass man in einer offenen Ehe/Beziehung ist?
Im Grundsatz gilt, je sicherer und überzeugter man von seinem eigenen Weg ist, desto offener kann man über die Dinge reden. Je unsicherer man ist, desto anfälliger ist man für Kritik. Wenn man noch nicht so genau weiss, ob man eine offene Beziehung möchte und dann mit Leuten darüber spricht, die in einer monogamen Beziehung sind, wird man eher verurteilt werden. Sprüche wie: «Lass das sein, das kann doch nicht funktionieren» können einen dann sehr verunsichern. Bevor man sich im Freundes- und Bekanntenkreis also zur offenen Beziehung bekennt, sollte man sich immer überlegen: Bringt mir das Gespräch wertvolle Inputs oder endet das nur in einer Lästerei? Wenn es letzteres ist, empfiehlt es sich, es für sich zu behalten.

Zur Person

Dania Schiftan Sexual- und Psychotherapeutin
ZVG

Dania Schiftan ist seit 2008 selbstständige Sexual- und Psychotherapeutin. Neben der Praxistätigkeit gibt sie regelmässig Kurse, Vorträge und Workshops. Sie ist Autorin des Buches «COMING SOON - ORGASMUS IST ÜBUNGSSACHE», «Keep it coming - Guter Sex ist Übungssache» und der Graphic Novel «Let's talk about Sex», die im Piper-Verlag auf den Markt gekommen sind.

Gibt es No-Gos bei einer offenen Ehe?
Nicht lügen. Es klingt banal, aber das ist tatsächlich das Wichtigste. Eine offene Beziehung wie auch eine monogame Beziehung setzt viel Vertrauen voraus. Das, was abgemacht ist, das gilt. Wenn es keinen ungeschützten Sex geben darf, dann darf man das auch nicht machen.

Was passiert, wenn es ein Ungleichgewicht gibt, sprich einer mehr profitiert als der andere?
Wenn der eine für sich nicht von dieser Beziehungsform profitieren kann, dann bringt es nichts. In einem solchen Fall müssen Paare dies ansprechen. Dann stellt sich die Frage, ob der andere Partner bereit ist, diese Freiheiten aufzugeben. Oder ist ihm/ihr das so wichtig, dass er/sie nicht darauf verzichten will? Das muss jeder Teil des Paars für sich selber entscheiden. Viele ziehen länger mit, als ihnen danach wäre und werden so unglücklich.

«Wer dazu Ja sagt, sagt nicht Ja für immer»

Wie kommt man dann aus dem Model wieder heraus, wenn es für eine Partei nicht funktioniert?
Indem man offen und ehrlich darüber spricht. Die meisten Menschen haben wahnsinnige Angst davor, ihren Partner zu verlieren. Klar, dieses Risiko existiert, aber ein solches Risiko existiert auch, wenn man weiter in einem Beziehungsmodell lebt, dass einen unglücklich macht. Wer aus einer monogamen Beziehung in eine offene Beziehung geht, kann nicht alles voraussehen, wie es ihm gefällt oder ob überhaupt. Es braucht die Offenheit zur kompletten Umkehr.

Eine offene Beziehung/offene Ehe kann also auch nur eine vorübergehende Phase in einer Beziehung sein?
Ja, durchaus. Wer dazu Ja sagt, sagt nicht Ja für immer. Gerade wegen solchen Vorstellungen probieren es viele gar nicht erst aus. Letztendlich ist es aber nur wichtig, sich zum Vornherein bewusst zu sein, dass es in jede Richtung gehen kann. Wer eine offene Beziehung lebt, wird merken, dass auch diese Beziehungsform nicht in Stein gemeisselt ist. Es gibt verschiedene Phasen, mal ist etwas okay, mal nicht mehr.

Zum Schluss: Haben Sie noch einen Tipp für monogame Paare, wie sie es schaffen, die Lust aufeinander nach so vielen Jahren Beziehung zu kultivieren?
Unabhängig von unserer Beziehungsform möchten wir ein interessantes Sexleben haben. Wenn Paare frisch zusammenkommen, ist die Sexualität spannend, weil man den anderen noch nicht so gut kennt. Nach gewissen Jahren, häufig auch schon nach 6-9 Monaten, weiss man, wie der andere funktioniert. Die Spannung nimmt dann nochmal mehr ab, wenn man den Partner auf sicher hat. Viele haben sehr viel Sex, wenn sie sich dieser Partnerschaft nicht so sicher sind. Eine Sexualtherapie kann helfen, den Partner immer wieder neu entdecken zu lernen, lernen erregt zu werden, ohne dass das Gegenüber unbekannt sein muss. Die Kunst ist, allein durch das Anfassen des Geschlechts Lust zu verspüren, sich Berührungen hingeben zu können. Das beherrscht man nicht von heute auf Morgen, sondern muss es lernen, aufzubauen.

Von Sarah Huber am 8. Juli 2020 - 18:13 Uhr