Schwül und heiss ist es, als Gavin Newsom (57) in Los Angeles vor die Kameras tritt. Mit gepresster Stimme sagt der Gouverneur von Kalifornien: «Die Demokratie wird direkt vor unseren Augen angegriffen.» Ein Hauch von Old Hollywood umweht den 57-Jährigen. Das graue Haar elegant zurückgekämmt, die Ärmel hochgekrempelt, das Hemd sitzt perfekt. Mehr Cary Grant als Timothée Chalamet. Seine Sätze erinnern an Katastrophenfilme, in denen der Präsident die Welt vor Ausserirdischen rettet: «Der Moment, den wir gefürchtet haben, ist eingetreten.»
Gegen seinen Willen habe der US-Präsident Nationalgardisten und Soldaten nach Los Angeles entsandt. Ob Donald Trump (79) dafür eine rechtliche Grundlage hatte, prüfen die Gerichte. Klar ist: Newsoms Auftritt und der Schlagabtausch mit Trump markieren inoffiziell den Startschuss für die Präsidentschaftswahl 2028. Schon vor den Unruhen deutete sich Newsoms Ambition aufs Weisse Haus an. Seit Monaten bereitet er sich auf eine Kandidatur vor. Politisch rückt er zur Mitte, wohl wissend: Als liberaler Kalifornier hat er im konservativen Landesinneren mit fortschrittlichen Positionen geringe Chancen.
Mehr Cary Grant als Timothée Chalamet: Gouverneur Gavin Newsom erinnert mit seinem Auftritt an die Stars des alten Hollywood.
keystone-sda.chSeit März moderiert er seinen eigenen Podcast «This is Gavin Newsom». Immer wieder lädt er konservative Gäste ein, um über den Zustand der gespaltenen Nation zu sprechen, sogar den ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon (71).
Die mediale Öffnung nach rechts spiegelt sich politisch wider: Newsom lässt Obdachlosen- lager räumen, spricht sich gegen medizinische Leistungen für Sans-Papiers aus, empfindet Transpersonen im Frauensport als «zutiefst unfair».
Eine privilegierte, aber schwierige Kindheit
Es ist ein Balanceakt: Einerseits nähert sich Newsom konservativen Positionen an, andererseits inszeniert er sich als schärfster Gegenspieler von Präsident Trump. Nach dessen Wiederwahl berief er eine Sondersitzung des kalifornischen Parlaments ein, um sich gegen mögliche Übergriffe aus Washington zu wappnen. Der Konflikt eskalierte, als im Januar in Los Angeles die Wälder brannten. Trump machte Newsom und dessen Wassermanagement dafür verantwortlich.
Als der Präsident die geschundene Stadt besuchte, begrüsste ihn Newsom auf dem Rollfeld. Die beiden starrten sich an wie zwei Superhelden vor einem epischen Showdown. Später schimpfte Newsom den Präsidenten als «rachsüchtig» und «unberechenbar». Folglich fiel die Katastrophenhilfe aus Washington geringer aus als beantragt.
Zur Welt kam Gavin Newsom im Herbst 1967 in San Francisco. Seine Mutter war Richterin, sein Vater Justizbeamter. Trotz privilegierter Herkunft erlebte er eine schwierige Kindheit: Früh diagnostizierten die Ärzte bei ihm eine schwere Legasthenie. Lesen fiel ihm schwer, Lernen war mühsam. Statt sich zurückzuziehen, fand er hilfreiche Umwege. Er hörte Bücher und lernte mit Bildern. Was bis heute seinen bildhaften Redestil prägt.
Glamouröses Trio: Gavin Newsom (r.) im März 2024 mit dem Actionstar und kalifornischen Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Schauspielerin Jane Fonda.
Los Angeles Times via Getty ImagesBevor er in die Politik ging, handelte er mit europäischen Delikatessen und exquisiten Weinen. Das nötige Startkapital erhielt er von vermögenden Freunden. Was ihm den Vorwurf eintrug, Teil einer kalifornischen Vetternwirtschaft zu sein.
Newsom durchlief die Ochsentour. Er liess sich ins Stadtparlament von San Francisco wählen, wurde 2004 jüngster Bürgermeister der Stadt, dann Vize-Gouverneur Kaliforniens, ab 2019 Gouverneur. Eine machtvolle Position. Wäre Kalifornien ein unabhängiger Staat, hätte es 2024 die viertgrösste Volkswirtschaft der Welt gehabt – hinter den USA, China und Japan, aber vor Grossbritannien.
«First Partner, nicht First Lady»
Newsoms Privatleben ist öffentlich. Während Covid feierte er eine unerlaubte Party. Seine erste Ehe mit Kimberly Guilfoyle – später die Verlobte von Donald Trump Jr. und einstige TV-Moderatorin – galt in den 2000er-Jahren als glamourös. Sie hielt fünf Jahre. 2006 lernte er bei einem Blind Date die Dokumentarfilmerin Jennifer Siebel (51) kennen. Zwei Jahre später heiratete sie den Demokraten und verliess die Republikanische Partei.
Bewusst nennt sich Jennifer Siebel Newsom «First Partner», nicht «First Lady». In ihren Filmen kritisiert sie traditionelle Rollenbilder und engagiert sich für Bildungsgerechtigkeit. 2024 zog die Familie vom eher muffigen Sacramento ins wohlhabende Marin County. Ihre vier Kinder besuchen dort eine Privatschule, die pro Jahr und Kind 60'000 Dollar kostet. Kritiker sprechen von Doppelmoral: öffentlich für Chancengleichheit einzutreten, privat elitäre Bildung einzukaufen.
Musterfamilie mit Hunden: Eltern Gavin und Jennifer Newsom, Kinder Hunter, Brooklynn, Dutch und Montana (v. l.).
GettyNewsom gibt sich als moderner Vater. Die Wochenenden, sagt er, gehörten der Familie. Wichtig sei ihm sein katholischer Glaube: «Ich bin kein regelmässiger Kirchgänger, aber ich glaube an Verantwortung, Demut und Gemeinschaft.»
Als Präsidentschaftskandidat träfe der Katholik Newsom bei den Präsidentschaftswahlen von 2028 womöglich auf den ebenfalls katholischen Vizepräsidenten JD Vance.
Mut zum Risiko
Weltweit für Schlagzeilen sorgte Newsom 2004. Als 36-jähriger Bürgermeister von San Francisco erlaubte er entgegen geltenden Gesetzen gleichgeschlechtliche Ehen. Ein politisches Risiko, das seine Karriere hätte beenden können. Stattdessen wurde er zum Star eines aufgeschlossenen Amerikas. «Glauben wir Kalifornier an etwas, stehen wir dazu – und handeln entsprechend», sagte er.
Sein Widerstand gegen Trump ist ähnlich riskant. Nach den Plünderungen und Bränden in Los Angeles reklamiert Trump die Wiederherstellung der Ordnung für sich – dank seinen Truppen. Newsom hingegen redet von Machtmissbrauch.
Seit 2019 gerät er immer wieder mit Trump aneinander. Newsom verteidigt das Recht auf Abtreibung, setzt sich für den Klimaschutz ein und nennt den Bau der Mauer an der mexikanischen Grenze eine «fabrizierte Krise». Als der Präsident Kaliforniens Abgasnormen kippen wollte, hielt der Gouverneur stand. In den letzten Monaten wirkt er politisch zunehmend wie ein Chamäleon – anpassungsfähig an wechselnde Mehrheiten.
Ob das für den Sprung ins Weisse Haus reicht, ist offen. Aber sein Duell mit Trump hat ihn zur nationalen Figur gemacht. Und vielleicht zu jenem Mann, der Amerika neu zu erzählen weiss.