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Herbert Grönemeyer

«Ich glaube an die Menschen»

In der Krise wächst der Zusammenhalt – davon ist der deutsche Pop-Musiker Herbert Grönemeyer überzeugt. Wer ihm in harten Zeiten am meisten geholfen hat, wann er unausstehlich wird und warum ihm Hunde zugewandt sind.

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Zuversicht ja, aber kein kopfloses Losrennen in ein diffuses Morgen: «Ich bin der Letzte, der sich die Welt rosamalt.»

Victor Pattyn

Verkehrte Welt, könnte man denken, wenn einem ein Deutscher als Erstes ein Ragusa anbietet. Aber nicht bei Herbert Grönemeyer. Dass der Künstler ein enges Verhältnis zur Schweiz pflegt, ja einst gar mit einer Schweizerin liiert war, ist bekannt. Nun sitzt er in seinem Hotelzimmer im «Dolder Grand» in Zürich und absolviert einen Interview-Marathon, um für sein neues Album «Das ist los» zu werben – am 31. Mai tritt er damit im Hallenstadion auf. Falls Grönemeyer müde ist, lässt er sich das nicht anmerken. Er beantwortet (fast) jede Frage so munter, als hätte er sie zum ersten Mal gehört (was gewiss nicht stimmt), und gibt einem das Gefühl, mehr als ein Name auf einer langen Presseliste zu sein. Oder wie er vielleicht sagen würde: Er sieht den Menschen hinter der Frage. Diese Nähe darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sein Privatleben sehr bedeckt hält. Fragen zu seiner zweiten Ehe und dem späten Vaterglück sind tabu.

Herr Grönemeyer, worüber haben Sie sich heute schon gefreut?
Ich durfte bei einem Radiosender Hörerfragen beantworten. Ein Hundesalonbesitzer wollte wissen, ob ich Hündisch könne. Weil immer, wenn das Radio meine Lieder spiele, würden seine Hunde winseln, bellen und aufmerksam werden. Wie lustig ist das denn!

Und – können Sie Hündisch?
Wuff und wau.

Fällt es Ihnen leicht, die kleinen Dinge zu geniessen?
Ja, schon immer. Was nicht heisst, dass ich auf Glück gebettet bin. Aber der liebe Gott hat mir ein sonniges Gemüt gegeben. Als Kind war ich sogar so nervig albern, dass mich meine Eltern vom Psychologen abklären liessen.

Viele Menschen lesen und hören morgens keine Nachrichten mehr, weil sie Krieg und Not nicht mehr ertragen – und Sie?
Ich lese pro Tag viele Onlinezeitungen, weil ich wissen möchte, was läuft. Ich lebe nicht in einer Promi-Blase, das ist in Berlin auch gar nicht möglich. Wenn man zur Tür hinaustritt, ist das Leben schon da.

Auf Ihrem neuen Album laden Sie dazu ein, die Krise der Welt mit mehr Zuversicht anzugehen. Warum so hoffnungsvoll?
Weil ich an die Menschen glaube, sie sind meine Kraftquelle. Ich bin in meinem Leben durch einige Krisen gegangen, und es waren immer die Menschen, die mich da rausgebuddelt haben. Aber das heisst nicht, dass ich immer nur fröhlich zwitschernd durch die Welt laufe.

Ist Hoffnung auch Arbeit?
Enorme Arbeit! Hoffnung heisst auch Handeln. Seit acht Jahren unterstütze ich in Berlin eine Wohngemeinschaft für geflüchtete Jugendliche – ein solches Projekt etwa hilft mir, nicht in der Krise zu verharren. Gleichzeitig habe ich das Privileg, Musik machen zu können, das tut unheimlich gut.

Sie gelten als krisenerprobt. Suchen Menschen nach einem Schicksalsschlag Rat bei Ihnen?
Manchmal gebe ich ungebeten Rat (lacht). Ich habe sehr viele Freunde, und die sind alle sehr klug und brauchen meinen Rat nicht.

Was ist der beste Rat, den Sie je bekommen haben?
Ein Satz meines Vaters hat mich geprägt: «Es sind nur die Freundschaften, die in deinem Leben irgendetwas bedeuten.» Das sehe ich auch so – und das hat sich auch bewahrheitet.

Was zeichnet eine gute Freundschaft aus?
Sie muss nicht ständig gepflegt werden, sondern ist einfach da, wie die Liebe. Unter Freunden sagt man sich die Meinung, relativiert einander. Und: eine gute Freundschaft inspiriert und erweitert den Horizont. Ein Kanadier sagte mir einmal, wenn er nach Europa komme, müsse er zuerst beweisen, dass er es verdiene, jemandes Freund zu sein. So funktioniere ich nicht. Ich gehe offen auf Menschen zu und freue mich darüber, wenn ich jemanden mag. Der Mensch hat es absolut verdient, dass man ihm vertraut.

Wurden Sie auch schon enttäuscht?
Na logisch! Aber die Freundschaften überwiegen doch massiv.

Warum blüht die Menschlichkeit in der Krisenzeit auf?
Weil wir dann merken: Nur wenn wir zusammenrücken, können wir uns gemeinsam stützen und wärmen. Es ist einfacher, mit anderen ängstlich zu sein als alleine. Indem wir anderen beistehen, können wir enorm viel leisten. Manchen Menschen fällt es schwer, ihre Anteilnahme auszudrücken, speziell wenn es um Krankheit und Tod geht. Wir müssen die Anteilnahme nicht verbal ausdrücken, es reicht, zu zeigen, dass man berührt ist – so habe ich selbst das in meiner harten Zeit erlebt. Es gab Menschen, die bei all ihrer Befangenheit und Schüchternheit den Mut fanden, zu sagen: Ich stelle mich dem trotzdem.

Sie meinen: Besser etwas Falsches sagen als gar nichts?
Absolut! Unsere Ungeschicklichkeit, unsere Verkrampftheit – all das ist doch das wahre Menschsein.

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Warum überhaupt noch hoffen? «Weil die Wucht des Menschseins überwiegt», ist der Musikkünstler überzeugt.

Victor Pattyn

Bei Ihren Liedern entsteht immer zuerst die Melodie, erst dann kommt der Text. Wie schwer fällt Ihnen das Schreiben?
Ich drücke mich davor, solange es geht. Aber wenn der Druck gross genug ist, kaufe ich mir ein paar schöne Stifte und Ringbücher, setzte mich hin – und dann wirds schwierig (lacht). Ich frage mich: Was willst du eigentlich erzählen? Dann schaue ich die Wörterliste auf meinem Handy durch – und schreibe drauflos wie besessen.

Was steht auf dieser Wörterliste?
(Nimmt sein Handy hervor und liest vor) Finde deine Stimme. Ich habe keinen Ruf zu verlieren. Konform ist der Tod. Wir sind weichgespült. Und so weiter.

Und daraus schaffen Sie dann Ihre Texte?
Nein, aber ich lasse mich davon inspirieren, tauche in die Wortwelt ein, bis ich am Ende in einen regelrechten Schreibwahn gerate und damit alle verrückt mache (lacht). Dann möchte man nicht mit mir zusammenleben.

Zum Internationalen Frauentag haben Sie Ihren Hit «Männer» auf «Frauen» umgemünzt.
Nein, hab ich nicht! Am Tag vor dem Frauentag war ich Gast beim Berliner Radiosender rbb 88.8. Ein Redaktor schob mir ein Papier mit einer selbst getexteten Frauenversion von «Männer» zu und fragte, ob ich so nett wäre, diese einzusingen – er wolle morgen damit seine Sendung eröffnen. Ich sagte: «Okee, gib her.» Und das übernahmen
dann kurz mal zahlreiche Radiostationen.

Nie überlegt, selbst eine Frauenversion zu schreiben?
Diese Frage wird mir gestellt, seit es den Song gibt. Ich kanns nicht mehr hören!

Sie sind 66 – fängt das Leben jetzt erst an?
Nein, leider nicht. Das Älterwerden birgt alles in sich: Schönes, Bescheuertes, Lustiges – speziell, wenn man gefragt wird, ob man Hündisch könne. Solche Momente tragen mich dann schon ein paar Stunden.

Von Michelle Schwarzenbach am 24. März 2023 - 16:53 Uhr