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Hollywood-Ikone Kim Novak

«Hitchcock war ein Schatz!»

Im Filmklassiker «Vertigo» wird sie weltberühmt. Doch sie flieht bald aus Hollywood. Mit 92 wird Kim Novak nun für ihr Lebenswerk geehrt: Interview mit einer Ikone über Macht, Männer und ihre Leidenschaft für das Malen.

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<p>Kim Novak war über vierzig Jahre mit dem Tierarzt Robert Malloy verheiratet und hatte mit ihm zwei Stiefkinder.</p>

Kim Novak war über vierzig Jahre mit dem Tierarzt Robert Malloy verheiratet und hatte mit ihm zwei Stiefkinder.

Getty Images

Blond, kühl, schön. In Alfred Hitchcocks Thriller «Vertigo» wurde Kim Novak 1957 zum Mythos. Doch die Schauspielerin verliess die Traumfabrik bald, um ein neues Leben zu leben, mit Tieren und Zeit für ihren Traum, die Malerei.

Mit 92 Jahren wurde Kim Novak nun kürzlich für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Ihr Alter hielt die Leinwandlegende nicht davon ab, den Goldenen Löwen in Venedig persönlich entgegenzunehmen. Schlank, kerzengerade, blond betritt sie noch heute die Bühne, das Gesicht deutlich gestrafft, aber immer noch unverkennbar: die Novak. Zu ihren Ehren wurde in Venedig auch der Dokfilm «Kim Novak’s Vertigo» des Schweizer Regisseurs Alexandre O. Philippe gezeigt, das intime Porträt einer Frau, die unabhängig sein will. Zum Interview im Festivalpalast am Lido sitzt die Diva in einem Ledersessel, trägt schwarze Hosen, ein Seidentuch über Schultern und Arme. Dünne Handschuhe bedecken ihre Hände.

Frau Novak, Filmikone und Hollywood-Aussteigerin, wie geht beides – mit Eigensinn?

Vielleicht. Früher war ich sehr schüchtern, versteckte mich hinter den Vorhängen, wenn wir Besuch bekamen. Meine Mutter arbeitete hart daran, mir zu Selbstvertrauen zu verhelfen. Sie liess mich jeden Tag in den Spiegel schauen und sagen: «Ich stehe am Steuer meines eigenen Schiffs.» Ich fragte: «Wie oft soll ich das noch wiederholen?» Doch sie hat das Richtige getan. Sie wollte, dass ich an mich glaubte.

<p>«Gute Regisseure wollen immer genau wissen, was du denkst.» Kim Novak mit Alfred Hitchcock beim Dreh des Kultfilms «Vertigo» 1957.</p>

«Gute Regisseure wollen immer genau wissen, was du denkst.» Kim Novak mit Alfred Hitchcock beim Dreh des Kultfilms «Vertigo» 1957.

Courtesy Everett Collection

Wie erlebten Sie die Traumfabrik mit 20?

Dass ich einen eigenen Kopf hatte, merkten die Studiobosse schon, als ich mich der Änderung meines Namens widersetzte. Ich heisse eigentlich Marilyn Pauline. Das Studio meinte: Wir haben bereits eine Marilyn und schlug Kit Marlow vor. Ich verstand, dass ich nicht wie eine Kopie der Monroe wirken sollte. Aber meinen tschechischen Nachnamen gab ich nicht her. Sie schlugen Kit vor, weil ich sie an ein Kätzchen erinnerte. Ich habe nichts von einem Kätzchen!

Die Studios sahen Sie als Besitz?

Sie sagten dir, was du zu tun hast, mit wem du ausgehst – um ihre Filme zu promoten. Vor einer Premiere hörtest du oft, dass du mit einem ihrer anderen Stars auftauchen und es nach einem Date aussehen lassen solltest. Damit alle schrieben: Oh, eine süsse Romanze. Die Wahrheit: Man sass an den jeweiligen Enden der Limousine, kannte sich nicht.

Wann rochen Sie Freiheit?

Als ich den ersten Film ausserhalb meines Studios drehte – wir wurden an andere ausgeliehen. Es war wie im Süsswarenladen: Alle dort unter Vertrag stehenden Schauspieler haben mit mir geflirtet, keiner ermahnte mich – herrlich!

Mit wem haben Sie geflirtet?

Mit Yul Brynner. Er wusch mir an unserem ersten Abend gleich die Haare. Er kam zu meinem Trailer, wollte mich begrüssen. Ich sagte, ich hätte keine Zeit, müsse die Haare waschen. Er: «Lass mich das tun. Ich mache gute Kopfmassagen.» Er hatte Recht, seine Massage war wunderbar – und sehr sexy!

Wer gefiel Ihnen noch?

(Lacht.) Frank Sinatra mit seinen stechend blauen Augen. Er war sehr liebenswürdig. Er gab mir das Gefühl, mich zu beschützen. Als ich krank war, schickte er mir Bücher von Thomas Wolfe. Bis heute bedeutet mir dieser Schriftsteller viel, das verdanke ich Franks feinem Gespür für Menschen. Später war er so in seine Karriere, seine Kumpels verwickelt, dass er leider viel von seinem wahren Selbst verloren hat.

<p>Kim Novak und Frank Sinatra im Musicalfilm  «Pal Joey» (1957). «Frank hatte ein feines Gespür für Menschen.»</p>

Kim Novak und Frank Sinatra im Musicalfilm  «Pal Joey» (1957). «Frank hatte ein feines Gespür für Menschen.»

KPA

«Vertigo» mit James Stewart drehten Sie mit Hitchcock. Ein schwieriger Regisseur?

Nicht mit mir! Er war ein Schatz, die Arbeit ein Genuss. Er gab mir Freiheit, ich durfte mich einbringen. Ich habe festgestellt: Alle guten Regisseure wollen genau wissen, was du von der Figur hältst. Leider gibt es mehr, die sich nicht für deine Meinung interessieren.

Ihre liebste Erinnerung?

Der Dreh war wie eine Befreiung. Jimmy Stewart und ich waren wie Geschwister. Ich konnte meine Frustration über Hollywood ausdrücken: Dort wurde nur kopiert, alles gleich gemacht. Hier spielte ich eine Frau, die es zweimal zu geben schien. Wunderbar, meinen Widerstand so subtil zu zeigen.

Hollywood, ein goldener Käfig?

Tatsächlich habe ich bis heute im Gästebad einen Vogelkäfig hängen. Doch seine Tür steht offen, der Vogel sitzt draussen. Ich freue mich täglich daran.

<p>Im «Gull House», dem Möwenhaus, an der Küste von Carmel, Kalifornien, wohnt Novak zwölf Jahre. Später lebt sie auf einer Farm in Oregon.</p>

Im «Gull House», dem Möwenhaus, an der Küste von Carmel, Kalifornien, wohnt Novak zwölf Jahre. Später lebt sie auf einer Farm in Oregon.

Jonathan Spencer Properties

Wie haben Sie selbst sich aus dem Käfig befreit?

Das war ein Prozess. Ich warte auf Zeichen. Ich glaube nicht an Zufälle. Erst brach ein grosser Brand aus, der mein Haus zerstörte. Dann riss ein Erdrutsch mein nächstes Zuhause in den Abgrund. Ich sah plötzlich Dinge, die mir besser für mich gefielen. Ein grosser Teil davon war meine Kunst.

Wie begannen Sie zu malen?

Ich skizzierte in Skripts meine Figuren, als Vorbereitung. Ich sehnte mich immer mehr nach dem Malen. Die Kunst hat mich gerettet. Ich bin depressiv veranlagt, sogar bipolar – wofür es damals keine Diagnose gab. Es gab keine Medizin für meine Seelenzustände, doch die Malerei half. Ich male alles, Verlust, Schmerz, was in der Ukraine passiert.

<p>«Es gab keine Medizin für meine Zustände. Doch die Malerei half.» Novaks Bilder werden derzeit im Butler-Museum in Ohio ausgestellt.</p>

«Es gab keine Medizin für meine Zustände. Doch die Malerei half.» Novaks Bilder werden derzeit im Butler-Museum in Ohio ausgestellt.

ZVG

Haben Sie das Spielen vermisst?

Nein. Ich wollte nicht rumsitzen und auf die richtigen Rollen warten. Ich beschäftigte mich lieber mit Tieren, untersuchte ihren Instinkt. Damit erging es mir wie mit der Schauspielerei: Ich komme besser mit den Instinkten zurecht als mit angelernten Reaktionen.

Wie hat Alexandre O. Philippe Sie von der Doku «Novak’s Vertigo» überzeugt?

Es war wunderbar, mit ihm zu arbeiten. Ich fühlte mich fast, als würde ich bei ihm zur Beichte gehen, ich konnte ihm alles erzählen, ohne zu hören, wie viele Vaterunser ich für meine Sünden beten musste. Ich bin katholisch, und da kommt es immer auf die Anzahl der Bussgebete an! Er verstand es, alles herauszuholen, was ich war, was ich fühlte. So vertraut man natürlich nicht jedem. Beim Dreh fanden wir übrigens mein graues Kostüm aus Vertigo in einem von vielen Kartons, eingewickelt in Seidenpapier. Das war ein besonderer Moment!

Welche Filmstars bewundern Sie heute?

Besonders mag ich Jennifer Lawrence. Sie ist brillant. Und: Sie wagte es, den Mund aufzumachen, als es um gleichberechtigte Bezahlung ging. Sie weigert sich seitdem, Filme zu machen, für die sie nicht dasselbe bekommt wie ein Mann. Wundervoll. Mich bewegt das. Nur, weil ich ein bestimmtes Alter habe, kann ich doch nicht sagen, na ja, ich kann jetzt alles abschalten.

Genossen Sie Ihren Auftritt in Venedig?

Und wie! Meine Mutter hat mir früher, wenn ich mich mal wieder über meinen Job und die Arbeit aufgeregt habe, immer gesagt: Vergiss nicht, auch einfach mal Spass daran zu haben! Es ist nicht einfach, auf jemanden zu hören, wenn du es gerade so anders empfindest. Aber jetzt habe ich endlich mal Spass. Mir kommt es vor, als hätte meine Mutter gerade ihre Finger im Spiel.

<p>Immer noch blond, immer noch faszinierend: Am diesjährigen Filmfestival in Venedig wird die Leinwandlegende Kim Novak geehrt.</p>

Immer noch blond, immer noch faszinierend: Am diesjährigen Filmfestival in Venedig wird die Leinwandlegende Kim Novak geehrt.

Dukas
Von Mariam Schaghaghi vor 8 Stunden