Sie ist kleiner, das Gesicht runder. Doch wenn Mia Threapleton (24) anfängt zu sprechen, bemerkt man sofort die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter Kate Winslet (49). Sie hat dieselbe Stimme und dieselbe Art zu reden. Noch etwas verbindet die beiden: Mia ist liebenswürdig und bescheiden, genau wie ihre berühmte Mama. Oscar-Preisträgerin Kate Winslet gehört bis heute zu den freundlichsten und entspanntesten Stars im Filmgeschäft.
Ins weltweite Rampenlicht trat Kate Winslet mit 22 Jahren in «Titanic». Nun erlebt ihre Tochter Mia den Urknall in ihrer jungen Karriere. Die 24-jährige Britin spielt neben Benicio del Toro die Hauptrolle im neuen Film «Der phönizische Meisterstreich» von Kultregisseur Wes Anderson. Die Premiere wurde kürzlich glamourös am Filmfestival in Cannes gefeiert, anwesend war die gesamte Starbesetzung: Scarlett Johansson (40), Benedict Cumberbatch (48), Tom Hanks (68) und Bill Murray (74). Mia Threapleton wird auf dem roten Teppich mit grosser Neugier bedacht und beherrscht den Auftritt bereits wie eine Grosse. Wir treffen die Jungschauspielerin am Tag nach ihrem grossen Moment in einer Suite mit Blick aufs Meer.
Oscar-Preisträgerin Kate Winslet (l.) und Tochter Mia Threapleton – beide gern unkompliziert, freundlich und locker.
Getty Images for BAFTAMia Threapleton, «Der phönizische Meisterstreich» wurde nicht in den USA, sondern in Deutschland gedreht, im Studio Babelsberg bei Berlin. Wie gefiel es Ihnen dort?
(Lacht.) Ich hatte sehr viel Spass. Es war wunderbar, am Nikolassee zu sein und die Umgebung zu erkunden – die Wälder um Potsdam sind einfach wunderschön. Ich war zum ersten Mal dort. Alle Schauspieler wohnten im selben Hotel, eine Stimmung wie im Ferienlager.
Schauspieler Benicio del Toro schwärmt von Ihnen: Sie seien für Ihr Alter sehr fokussiert und in diesem Beruf genau richtig. Wie war die Arbeit mit so erfahrenen Kollegen?
Ich saugte beim Dreh alles auf wie ein Schwamm. Ich bin im Vergleich mit jedem von ihnen eine blutige Anfängerin, grün hinter den Ohren. Für mich war es eine einzigartige Chance, in die Welt dieser unglaublich talentierten Menschen einzutauchen. Nicht nur in die der exzellenten Darsteller, sondern auch in jene der Kameraleute, Kostümdesigner, Haar- und Make-up-Künstler. Es war schlicht sensationell.
Sie spielen im Film eine der wichtigsten Rollen.
Ja. Ich habe sehr viel gedreht. Aber selbst an freien Tagen bin ich mit dem Fahrrad zum Set geradelt. Wes sah mich beim ersten Mal fragend an: «Was machst du hier ohne Kostüm? Das ist doch dein freier Tag!» Ich bat ihn, einfach zuschauen zu dürfen, versprach, mich irgendwo zu verstecken, unsichtbar zu sein. Ich lag danach unter Tischen oder stand hinter Blumentöpfen, um alles aufzusaugen, was am Set vor sich ging. Ich fühlte mich wie ein Kind, legte das Kinn auf die Hände, schaute stundenlang zu.
Hatten Sie je Zweifel, ob dieser Beruf der richtige für Sie ist – aus Sorge, man könnte Sie mit Ihrer Mutter vergleichen?
Nein. Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass ich schauspielern wollte. Ich war zehn Jahre, als ich es zum ersten Mal laut sagte, und bekam meinen ersten Job mit 18. Meinen 19. Geburtstag feierte ich am Set. Der erste Drehtag fand sogar zwei Monate vor meinem Schulabschluss statt.
Sie stellten sich direkt vor die Kamera, ohne Schauspielschule?
Ja. Es ist eine unerklärliche Sache, auch für mich selbst. Ich wurde nicht beeinflusst. Ich habe meine Leidenschaft dafür über Filme entdeckt. Ich fühlte einfach: Das ist es, was ich tun will.
Wie reagierte Ihre Mutter, als Sie ihr sagten, dass Sie Schauspielerin werden wollen?
Sie sagte: «Wunderbar! Mach das. Es ist aber harte Arbeit.» Das ist das Einzige, was sie dazu sagte oder mir geraten hat. Und es stimmt. Aber genau deshalb liebe ich die Schauspielerei: weil sie harte Arbeit ist und Spass macht.
Ihre Filmfigur ist eine werdende Nonne und Tochter eines Oligarchen – Ihre bisher grösste Rolle. Wie wurden Sie ausgesucht?
Ich bekam ein E-Mail von meinem Agenten, der mich bat, ein Tape aufzunehmen für ein Casting von Wes Andersons nächstem Projekt. Erst lachte ich und dachte: Das ist bestimmt ein Scherz! Die Rollenbeschreibung bestand nur aus drei Wörtern: ein junges Mädchen. Sonst nichts, keine Informationen, wer sie war, was ihre Geschichte war. Ich nahm also das Tape auf, und nach einigen Meetings mit dem Castingdirektor wurde ich zu einem Treffen mit Wes Anderson geladen.
Hat es auf Anhieb gepasst?
Wir haben uns fantastisch unterhalten, ich fühlte mich in seiner Gesellschaft sehr wohl. Vor dem ersten Leinwandtest konnte ich dann zum ersten Mal auch das Skript lesen, aber nur in einem begrenzten Zeitfenster. Ich kam mir vor wie eine Spionin. Direkt am nächsten Tag bekam ich die Zusage.
Wie haben Sie reagiert?
Ich sass im Zug, als meine Agentin anrief, und ich glaubte ihr nicht. Ich nötigte sie, aufzulegen und das Castingbüro noch mal anzurufen, um sicher zu gehen, dass es kein Irrtum war. Derweil schloss ich mich in ein Fahrradabteil ein, kauerte mich auf den Boden, bis ihr erlösender Rückruf kam: Sie hatte sich nicht geirrt. Dann weinte ich erst mal lange (lacht).
Im neuen Film «Der phönizische Meisterstreich» von Kultregisseur Wes Anderson spielt Mia Threapleton eine werdende Nonne und Tochter eines Oligarchen.
Courtesy of TPS Productions/Focus Features © 2025 All Rights Reserved.Wie war Ihr erster Drehtag?
Ich fühlte mich wie die Neue in der Schule: Alle Schauspieler gehören zu Wes Andersons Filmfamilie und haben mehrfach mit ihm gedreht. Ich dachte: Ich werde erst mal beim Essen ein paar Tage allein am Tisch sitzen. Aber dann entdeckten mich Leute aus der Requisite, und schon gehörte ich dazu.
Haben Sie das Schauspielern im Blut? Sind Sie ein Naturtalent?
Nein! Bei meinem ersten richtigen Job, einem kleinen Film namens «Shadows» aus dem Jahr 2020, kam ich am Set bestimmt total nervig rüber, weil ich so viele Fragen stellte. Ich kannte die ganze Terminologie nicht, die vielen Fachbegriffe: Was es bedeutet, «ein Objektiv umzudrehen», was ein «Gaffer» ist. Der gesamte Jargon war mir fremd, weil ich zuvor so gut wie nie an Filmsets gewesen war.
Wie bitte, Ihre Mutter nahm Sie nie mit, wenn sie drehte? Der Set war nicht Ihr Abenteuerspielplatz?
Ich war vielleicht drei-, viermal dabei, kann mich aber kaum daran erinnern. Ich verstehe heute auch sehr gut, warum meine Mutter uns Kinder dort nicht haben wollte. Ein Anwalt bringt sein Kind ja auch nicht mit in einen Gerichtssaal. Der Set ist ein Arbeitsort. Und es ist wirklich harte Arbeit!
Ich erinnere mich, wie Kate Winslet Sie als Baby mal mit zu Interviews in Berlin nahm. Sie waren wenige Wochen alt: Sie trug Sie lässig auf dem Arm, kurz vor Beginn des Gesprächs übernahm Sie Ihr Vater, der Regisseur Jim Threapleton, und verschwand mit Ihnen durch die Tür – während Kate sich eine selbst gedrehte Zigarette ansteckte.
Ach, echt? Nein, das wusste ich nicht! (Lacht schallend.)
Mia (r.) und Kate: «Dass meine Mama berühmt war, begriff ich, als ich sie an eine Premiere begleitete und Fans ihren Namen riefen.»
BAFTA via Getty ImagesWann wurde Ihnen der Ruhm Ihrer Mutter bewusst?
Als ich sie das erste Mal an eine Premiere begleiten durfte und so viele Fans ihren Namen riefen. Da war ich total erstaunt und sagte: Die kennen dich ja alle! Sie meinte nur: Ach, nur ein bisschen.
Im TV-Drama «I Am Ruth» standen Sie dann 2022 gemeinsam vor der Kamera. Wie war das?
Eine wilde Erfahrung, unglaublich intensiv: Wir drehten in nur zweieinhalb Wochen, in einem einzigen Haus, mit einer Mini-Crew von 20 Leuten. Der Regisseur inszenierte meine Mutter und mich in verschiedenen Räumen. Wir sahen uns nicht und wussten auch nicht, was der andere sagte, weil die ganze Geschichte improvisiert war. Ich wusste nicht, dass man Filme so machen kann.
Wie war es diesmal am Set mit den Hollywood-Stars?
Dieser Drehort war wie ein riesiger, ruhiger Kreuzfahrtdampfer und Wes Anderson der Kapitän am Steuer. Selbst wenn er mal unter Beschuss geriet, blieb er ruhig. Es gab keine einzige Stresssituation. Er hält die Zügel sehr sanft in seiner Hand und wickelt dich in eine Decke des Wohlwollens ein. Man muss bei ihm Szenen irre oft wiederholen, aber dennoch suggeriert er: Es läuft alles bestens.
Anderson gilt als detailbesessener Perfektionist. Wie oft mussten Sie die Szenen wiederholen?
Unsere niedrigste Wiederholungsrate waren um die 20 Takes. Aber an unserem allerersten Drehtag hatten wir gleich 69 Takes auf dem Zettel.
Ganz in Rosa: In Cannes kam Mia Threapleton auch zu einem Auftritt im Abendkleid.
imago/ZUMA PressIst man da irgendwann genervt?
Gar nicht (lacht). Neulich fand ich eine Kiste mit alten Tagebüchern. Ich las einen Eintrag aus dem Jahr 2013, vom 12. November – ich schrieb: «Habe gerade ‹Moonrise Kingdom› wieder gesehen. Ich liebe den Film! Ich wünschte, ich könnte eines Tages mit Wes Anderson arbeiten.»
Wow, unglaublich!
Ja, und das ist wirklich wahr. Ich weiss noch, wie ich zu diesem Stossgebet in den Himmel geschaut habe. Ich liebte seine Filme. «Fantastic Mr. Fox» habe ich schon mit acht oder neun Jahren gesehen. Und nun stand ich plötzlich als Nonne verkleidet vor seiner Kamera.
Realisieren Sie schon, was da gerade passiert?
Nein, so wirklich begriffen habe ich es noch nicht. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich träume. Während des Drehs wachte ich morgens auf und sagte mir: «Herrlich, ich darf wieder an den Set zur Arbeit gehen!»