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  4. Kuratorin Angelina Whalley über die Ausstellung «Körperwelten»

«Körperwelten»-Kuratorin Angelina Whalley

«Keine Kopie ersetzt das Original»

Ist die Würde des Menschen antastbar? Gibt es bereits ein Corona-Plastinat? Dr. Angelina Whalley hat die Zürcher Ausstellung kuratiert. Seit 25 Jahren ist sie mit Gunther von Hagens verheiratet und seit seiner Parkinson-Erkrankung für «Körperwelten» verantwortlich.

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Dr Angelina Whalley, Ehefrau Gunther Van Hagens, Koerperwelten Ausstellung, Kunst, Rosemarie Parrat, Koerperspenderin, Zuerich, SI 18/2021

Im Fokus von Whalleys Schau in Zürich Oerlikon steht der menschliche Körper im Zusammenhang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Dukas

Dr. Angelina Whalley, ist Ihr Job nicht deprimierend?

Wir schauen in einen fremden Körper und entdecken darin den eigenen auf ganz neue Weise. Das schärft den Sinn für die eigene Verletzlichkeit und Gesundheit. So viele Menschen zu berühren und ihnen zu wertvollen Selbsterkenntnissen zu verhelfen, erfüllt mich mit Freude und Zufriedenheit.

Die einen sind von den Plastinaten fasziniert, andere sehen ethische Grenzen überschritten. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Die Ausstellung bewegt sich im Grenzbereich zwischen Leben und Tod, das irritiert viele. Wir empfinden Unbehagen, gleichzeitig fühlen wir uns angezogen. Die Besucher denken über ihr eigenes Leben nach. Mit Kunststoffmodellen liesse sich eine solche Erlebnistiefe niemals erreichen, wie auch in der Kunst keine Kopie das Original ersetzen kann.

Was sagen Sie jemandem, der sich vor den Präparaten ekelt?

Unser Körper ist weder gruselig noch ekelig. Ohne ihn gibt es weder Gedanken noch Erlebnisse und Handlungen. Ohne ihn haben wir keine Welt, keine Familie, keine Freunde. Die meisten Besucher
sind berührt und sagen, dass sie ihreKörper nun nicht mehr als etwas Selbstverständliches wahrnehmen und mehr auf ihre Gesundheit achten wollen. Alle sind eingeladen, sich ein authentisches Bild von ihrer inneren Leiblichkeit zu machen. Denn nur was wir kennen, können wir auch wertschätzen.

Ist Ihre Arbeit Kunst, Wissenschaft oder Kommerz, gar Effekthascherei?

Für uns Ärzte und Anatomen steht die Sachinformation im Vordergrund. In der detaillierten Herausarbeitung der Strukturen steckt daher auch die meiste Arbeit. Wir benötigen in der Regel mehrere hundert Arbeitsstunden für einen einzigen Körper. Die Objekte müssen ästhetisch anzuschauen sein, so dass wir uns als Betrachter nicht abgestossen fühlen oder den Eindruck bekommen, in einer Horrorshow zu sein. Die Ganzkörperplastinate sind daher alle in aufrechter, lebensnaher Pose dargestellt.

Gunther von Hagens, Gründer Ausstellung Koerperwelten, Kunst, Rosemarie Parrat, Koerperspenderin, Zuerich, SI 18/2021

Angelinas Whalleys Ehemann Gunther von Hagens, 76, ist selber mit dem körperlichen Verfall konfrontiert. Seit Jahren leidet er an Parkinson.

Charles Yunck

Wie geht es ihrem Mann Gunther von Hagens gesundheitlich?

Gunther ist leider seit über zehn Jahren an Parkinson erkrankt. Das beeinträchtigt zum einen seine motorischen Fähigkeiten, aber vor allem das Sprechen. Dies ist der Hauptgrund, warum er seit Jahren
nicht mehr in der Öffentlichkeit auftritt. Trotzdem versucht er, das Beste aus seiner Situation zu machen. Er verfolgt nach wie vor Forschungsprojekte in seinem Labor in Guben, wo sich das öffentlich zugängliche Plastinarium befindet, und hält sich durch regelmässiges Körper-
training fit.

Ist der Tod das ganz Normale und das Leben die absolute Ausnahme?

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat einmal gesagt: «Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie geboren werden.» Zu diesem Thema habe ich in die Zürcher Ausstellung ein Exponat integriert: eine Vitrine, die mit so vielen Reiskörnern gefüllt ist, wie ein Ejakulat Spermien enthält. Jedes der rund 400 Millionen Spermien ist in der Lage, ein anderes Individuum hervorzubringen, doch nur ein einziges kann die Eizelle befruchten. Viele weitere gehen aufgrund von Fehlentwicklungen während der Schwangerschaft verloren. Wir sind so gesehen echte Glückspilze, auf dieser Welt sein zu dürfen!

Wann stellen Sie den ersten Corona-Toten aus?

Ich habe das Thema noch nicht umgesetzt, werde das aber sicher in absehbarer Zeit tun. Zumal wir auch einen Kör perspender erhalten haben, der an Corona verstorben ist. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis dieser Körper fertig plastiniert ist. Die Corona-Pandemie führt uns eindringlich vor Augen, wie verwundbar wir sind und wie plötzlich und unvorhergesehen unser Leben ein Ende nehmen kann. Gerade diese Vergänglichkeit des Körpers macht unser Leben doch so kostbar!

Von Caroline Micaela Hauger am 8. Mai 2021 - 16:02 Uhr