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Experte für bipolare Störungen über #freebritney

«Menschen wie Britney Spears leiden»

Britney Spears ist in Gefahr, sind sich viele ihrer Fans sicher. In einem Brief macht die Sängerin ihrem Vater Jamie, unter dessen Beistandschaft sie wegen ihrer bipolaren Störung steht, schwere Vorwürfe. Schweizer-illustrierte.ch hat mit einem Experten für bipolare Störungen, über Britneys Krankheit gesprochen.

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HOLLYWOOD, CALIFORNIA - JULY 22: Britney Spears attends Sony Pictures' "Once Upon a Time ... in Hollywood" Los Angeles Premiere on July 22, 2019 in Hollywood, California. (Photo by Axelle/Bauer-Griffin/FilmMagic)

Britney Spears versetzt ihre Fans immer wieder in Sorge.

FilmMagic

Auf Instagram und Twitter trendet aktuell der Hashtag #freebritney. Fans der amerikanischen Sängerin Britney Spears sind sich sicher: Ihr Idol braucht Hilfe. Die 38-Jährige steht seit Beginn der 90er-Jahre im Rampenlicht, ist eine der erfolgreichsten Künstlerinnen überhaupt – aber auch eine der tragischsten Figuren des Showbusiness. Seit diversen Zusammenbrüchen in den 2000er-Jahren, die sie in einer Dokumentation ihrer bipolaren Störung zuschreibt, steht sie unter Vormundschaft ihres Vaters, Jamie Spears. Sie verlor sogar das Sorgerecht für ihre Söhne Jayden, 13, und Sean, 14, an deren Vater Kevin Federline, 42.

Nun tauchte ein vermeintlicher Brief der Sängerin auf, in dem sie beschreibt, wie sehr sie unter der Bevormundung durch ihren Vater leidet, dass sie bedroht und finanziell ausgenutzt werde. Schweizer-illustrierte.ch wollte von Professor Gregor Hasler, Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Bipolare Störungen, wissen, was die Krankheit genau ist, was eine Beistandschaft überhaupt bedeutet und ob sich Britney-Fans zurecht Sorgen um die Sängerin machen.

Professor Hasler, Britney Spears ist bipolar. Was ist das für eine Krankheit?
Bei der bipolaren Störung sind die Stimmung eines Menschen und alles, was damit zusammenhängt, episodisch gestört. Es gibt zwei Phasen: die manische und die depressive. Letztere unterscheidet sich eigentlich nicht gross von «normalen» Depressionen. Die Menschen sind antriebslos, freudlos und haben einen gestörten Schlaf. Was sich unterscheidet, ist, dass Bipolare in der depressiven Phase oftmals ein sehr hohes Schlafbedürfnis haben, während Depressive oft nächtelang nicht schlafen können. Das ist ein Hinweis, dass es sich um eine bipolare Störung handeln könnte. In der Manie braucht der Betroffene sehr wenig Schlaf, oft nur ein paar Stunden pro Nacht. Ausserdem ist er aussergewöhnlich guter Stimmung, sehr gesprächig und lustorientiert. Es kommt zu Grössenwahn, unvernünftigen Ausgaben und sexuellen Eskapaden. Auch werden oft Drogen und Alkohol konsumiert. Die bipolare Störung hängt generell eng mit dem Konsum von Suchtmitteln zusammen.

Sind Künstler besonders häufig betroffen?
Ja, das ist so. Es gibt tatsächlich einen genetischen Zusammenhang zwischen ausgeprägter Kreativität und bipolaren Störungen. Des Weiteren ist der Wechsel zwischen depressiven und manischen Phasen ja oft auch ein Merkmal des Künstlerdaseins. Diese Menschen leben sehr intensiv, ihre Schaffensphasen sind oft manisch, sie schlafen wenig und sind von sich überzeugt. Während sie anschliessend in Selbstzweifel und Depressionen fallen. Krankhafte Phasen verunmöglichen aber das künstlerische Arbeiten.

Was löst die Phasen aus?
Das weiss man tatsächlich nicht so genau. Stress ist häufig eine Ursache, die zur Depression oder Manie führt. Die Auslöser sind aber für den Betroffenen fast immer negativ behaftet. Meist folgt auf eine Manie eine depressive Phase. Die Episoden können unterschiedlich lang und intensiv sein. Es ist für Therapeuten und Angehörige schwierig, den Menschen in der Manie zu erreichen. Denn für ihn oder sie ist dann alles wunderbar.

Heisst das, dass Betroffene oft lange auf eine Diagnose warten müssen?
Ja, die Menschen kommen zum Psychiater, wenn sie in der Depression sind, und man muss die Manie abwarten, um eine verlässliche Diagnose stellen zu können. Aber während einer Hochphase gehen nur wenige zum Therapeuten. Das ist aber besonders wichtig für die Behandlung. Denn jemand mit einer bipolaren Störung braucht eine ganz andere Medikation als ein Mensch mit Depressionen. Antidepressiva können sogar Manien auslösen oder verstärken. Darum ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt auch mit den Angehörigen spricht und nach manischen Phasen fragt.

Britney Spears beunruhigt aktuell ihre Fans auf Instagram. Sie bewegt sich sehr mechanisch, postet mal schöne entspannte Bilder, dann wieder sehr seltsam anmutende Inhalte. Ist das mit der Krankheit zu erklären?
Das ist natürlich schwierig zu sagen. Aber grundsätzlich ist das nicht auszuschliessen. Menschen in einer Manie bemerken oft gar nicht, dass sie mit ihrer Art andere irritieren, denn sie sehen sich anders. Auch können sie abgekämpft und müde aussehen, schauen in den Spiegel und finden, sie sahen nie besser aus, und möchten das natürlich sofort auf ihren Social-Media-Kanälen teilen. Darum wäre es gut, wenn die Betroffenen auch in ihren manischen Phasen Hilfe hätten. Manche muss man vor sich selber schützen.

Britney Spears steht ja seit 2008 unter der Vormundschaft ihres Vaters. Was bedeutet das?
In der Schweiz heisst das Beistandschaft. Aber ein Beistand hat kaum Einwirkung auf die Freiheiten des bipolaren Menschen. Dabei geht es mehr um die Finanzen. Britneys Vater wird kaum Kontrolle über ihre Aktivitäten auf Social Media haben. Sie hat ja Rechte und Freiheiten. Ich habe aber bei Spears auch das Gefühl, dass eine Art Entwicklungsstörung vorliegt und sie darum mit einem Beistand gut beraten ist. Sie verdient Millionen, muss anspruchsvolle Verträge aushandeln und da stellt sich die Frage, ob sie dazu in der Lage ist.

Was muss passieren, dass jemand unter Beistandschaft gestellt wird?
Da muss schon viel passieren und in der Schweiz gibt es das wirklich nur bei schwerwiegenden Fällen. Während manche nur einen rein beratenden Beistand brauchen, müssen andere engmaschiger betreut werden. Dabei geht es aber hauptsächlich um die Finanzen und die Rechtshandlungen der Betroffenen, wie es auch bei Britney Spears der Fall ist. Das wird aber alles ganz genau und über mehrere Instanzen geprüft. Es braucht eine Diagnose, ein psychiatrisches Gutachten und man muss wiederholt sehen, dass die Person überfordert und beratungsresistent ist. Und wie gesagt, die Grundrechte werden durch die Beistandschaft nicht eingeschränkt. Man kann den Kranken zwar bei akuter Gefahr und im Notfall in die Psychiatrie einweisen. Aber wenn er will, wird er am nächsten Tag meistens wieder entlassen.

Singer Britney Spears (2nd,L) and family (L-R), father Jamie, brother Bryan and mother Lynne celebrate with Jamie Spears's partners (not shown) George and Phil Maloof and John Decastro, at the launch party for their new Palms Home Poker Host software held at the one of a kind Hardwood Suite at the Palms Casino Resort in Las Vegas. (Photo by Chris Farina/Corbis via Getty Images)

Seit 2008 steht Britney Spears unter der Beistandschaft ihres Vaters Jamie (links). Hier sind die Sängerin und ihr Vater mit Bruder Bryan und Mutter Lynne an einer Party im Jahr 2006 zu sehen.

Corbis via Getty Images

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für die bipolare Störung?
Eine Psychotherapie im weitesten Sinne ist sicher ratsam. Meist hilft ein geregelter Tagesablauf schon sehr. Zur selben Zeit ins Bett gehen und aufstehen, regelmässig essen. Strukturen sind für Menschen mit dieser Erkrankung wichtig. Auch ein Drogen- oder Alkoholentzug ist sehr relevant für eine verbesserte Lebensqualität. Dennoch muss eigentlich immer medikamentös behandelt werden. Es ist wichtig, die Stimmungen zu stabilisieren, sodass es nicht mehr zu ausgeprägten Manien und Depressionen kommt. Lithium ist das bekannteste Medikament. Daneben werden die Symptome der Phasen behandelt. Wenn jemand in der Depression ist, gibt es Medikamente, die die Stimmung aufhellen. Ist er oder sie manisch, dann reguliert man das. Das Wichtigste ist aber die Prophylaxe. Sprich, dass es gar nicht erst zu den verschiedenen Phasen kommt.

Warum ist es so wichtig, eine richtige Behandlung zu finden?
Für den Betroffenen erhöht sich die Lebensqualität natürlich immens, aber auch die Folgen der Manien und Depressionen müssen eingedämmt werden. Da ist Britney Spears ja ein gutes Beispiel. Sie hat eine grosse Karriere, man spricht aber hauptsächlich wegen ihrer wirren Auftritte von ihr. Sie braucht diese Öffentlichkeit, besonders wenn sie manisch ist. Diese Menschen sind dann so spontan, da kommen die Angehörigen oft gar nicht mit. Plötzlich ist etwas auf Instagram gepostet, viel Geld ausgegeben oder eine Beziehung zerstört. Der Manische aber ist von seinem Handeln so überzeugt, dass er gar nicht merkt, wie zerstörerisch es ist.

Britney Spears sagt in einem Interview, dass sie eigentlich sehr schüchtern sei, aber durch ihren frühen Ruhm die Öffentlichkeit wie eine Sucht sei.
Das ist sehr, sehr typisch für bipolare Menschen, sie sind oft sehr zurückhaltend. Dazu kommt aber in ihrem Fall, wie bei vielen anderen übrigens auch, ein ausgeprägtes Suchtverhalten nach Anerkennung. Kommen dann noch Drogen dazu, ist die Eskalation nicht mehr weit.

«Menschen mit einer bipolaren Störung leben im Schnitt zehn Jahre weniger lang»

Prof. Dr. med. Gregor Hasler

Mit welchen Problemen haben Bipolare in der Öffentlichkeit zu kämpfen?
Die Störung wird oft nicht als Krankheit wahrgenommen und auch, dass sie medikamentös behandelt werden sollten, sehen viele nicht ein. Sie raten Betroffenen davon ab, ihre Arzneien zu nehmen. Das macht keinen Sinn, einem Diabetiker sagt man ja auch nicht, er solle mit dem Insulin aufhören.

Wie kann ich meinem Angehörigen helfen, der an der bipolaren Störung leidet?
Das Wichtigste ist, dass man einen guten Therapeuten findet und dem Betroffenen klarmacht, dass man an seiner oder ihrer Seite ist. Es ist für die meisten gut zu wissen, dass ihre Angehörigen die Diagnose und die Therapie mittragen. So wird auch viel häufiger eingewilligt, sich in Behandlung zu begeben. Angehörige von Betroffenen müssen sich aber auch im Klaren sein, dass sie dem Erkrankten unverständlich mitteilen sollten, wo ihre Grenzen liegen. Dass manische und depressive Phasen für sie nur schwer auszuhalten sind. Das hilft den Patienten dabei, an ihrer Krankheit zu arbeiten. Bei Menschen wie Britney Spears, die so viele Bewunderer haben, ist das alles natürlich ungleich schwieriger. Ihr Umfeld hat ein Interesse daran, dass sie manisch angetrieben ist. Ausserdem wird es genug Leute geben, die sie in ihrer Manie bestärken und sie dann besonders toll finden. Eine manische Stimmung ist ansteckend. Da ist ein Beistand natürlich sehr hilfreich. Aber wie aktuell von Britney Spears offensichtlich wurde, leidet sie unter der Beistandschaft, denn sie ist ja nur phasenweise darauf angewiesen. Geht es ihr gut, wäre sie vermutlich selber in der Lage, sich um ihre Finanzen und Administration zu kümmern. Das geht vielen Bipolaren so.

Fällt es Menschen mit einer bipolaren Störung schwerer, Beziehungen zu führen?
Ja, auf jeden Fall. Beziehungen mit Bipolaren sind wie eine Achterbahnfahrt. Das macht nicht jeder mit. Durch ihre Kreativität und in den manischen Phasen sind diese Menschen aber sehr anziehend und attraktiv. Ich erlebe es immer wieder, dass Patienten tolle Beziehungen haben. Oft halten die aber nicht, denn starke Manien und Depressionen als Partner auszuhalten, kann schwierig sein. Für die Betroffenen wäre diese Unterstützung und Stabilität allerdings sehr wichtig.

Haben die Erkrankten ein höheres Suizid-Risiko?
Menschen mit einer bipolaren Störung leben im Schnitt zehn Jahre weniger lang. Man weiss nicht genau, warum. Das kann am häufigen Drogenkonsum liegen, aber auch, weil die Krankheit den Körper sehr fordert. Das Suizid-Risiko ist bei Bipolaren zehnfach erhöht. Am gefährlichsten sind die sogenannten gemischten Zustände, in denen der Patient depressiv und pessimistisch ist, aber den Antrieb einer Manie hat.

Wo finden Menschen mit bipolaren Störungen Hilfe?
In akuten Fällen wendet man sich am besten an die Notfalldienste des Wohnkantons. Ansonsten ist es wichtig, dass man einen guten Psychiater findet, der Erfahrungen mit bipolaren Störungen hat. Es gibt viele bipolar Betroffene, die dank der richtigen Medikamente und Therapien Familien gründen und beruflich sehr erfolgreich sind.

Gregor Hasler
ZVG

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler, Chefarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern, ausserordentlicher Professor an der Universität Bern und Leiter der Abteilung für molekulare Psychiatrie der Universität Bern. Haslers Arbeitsgebiete sind unter anderem bipolare Störungen und Depressionen sowie die Entwicklung neuer Therapien für affektive Störungen. Er ist ausserdem Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für bipolare Störungen.

Von Berit-Silja Gründlers am 17. Juli 2020 - 17:26 Uhr