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Nachruf auf Christo

«Ob er nun die Wolken verhüllt?»

Ästhet, Visionär, Magier der Sinne: Mit seinen Verpackungsaktionen schenkte Christo den Menschen Momente voller Schönheit. Jetzt starb der gebürtige Bulgare 84-jährig in New York. Ob er nun die Wolken verhüllt?

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Christo

Der Verhüllungskünstler Christo starb im Alter von 84 Jahren.

Tim P. Whitby/Getty Images for S

Wer Christo persönlich kennenlernte, konnte ihn schon von Weitem riechen. Täglich verzehrte der Bulgare eine ganze Knoblauchknolle! «Frischer Knoblauch hält mich jung.» Wie die Gin Tonics, die er am liebsten mit auffallend wenig Tonic Water mixte. Als ich Christo 2006 zum ersten Mal begegne, trifft mich die Energie dieses drahtigen, kleinen Mannes wie ein Blitz. Gestikulierend springt er in seiner Ausstellung am Sechseläutenplatz in Zürich von Bild zu Bild, sprudelt fast über vor Eifer und Entschlossenheit. Er erinnert mich eher an ein Rumpelstilzchen als an einen Weltstar. Doch das ist er!

Mit seiner Lebensliebe Jeanne-Claude verhüllt Christo 1995 den deutschen Reichstag in Berlin, lässt safranfarbene Tore im New Yorker Central Park im Wind wehen («The Gates»), inszeniert schwimmende Stege auf dem Iseosee in der Lombardei («The Floating Piers») und ist auch in der Schweiz aktiv: 1967 verpackt das Duo die Kunsthalle Bern. 1998 sorgen sie mit «Wrapped Trees» im Park der Fondation Beyeler für Furore. Viele ihrer Installationen brennen sich in die Herzen ein. Wer hinter den generalstabsmässig geplanten Aktionen eine tiefere Bedeutung sucht, irrt.

Visitors walk past wrapped trees on November 24, 1998, in Riehen near Basel, Switzerland. 'Wrapped trees' is the latest project of Bulgarian born artist Christo and his wife Jeanne-Claude. The two artists have wrapped the 163 trees in the park of the Foundation Beyeler in Riehen and the adjacent meadow. (KEYSTONE/Markus Stuecklin)      === DIESES BILD DARF NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ERWAEHNTEN PROJEKT VERWENDET WERDEN,  EDITORIAL USE ONLY, , SAT OUT === ===

32 Jahre Vorarbeit: 1998 begeisterte das Projekt «Wrapped Trees» mit 178 verhüllten Bäumen im Park der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel.

Keystone
«Das ist ja gerade der Witz!»

«Was wir tun, ist total irrational und sinnlos», sagt der Verpackungskünstler und schmunzelt dabei wie ein Lausbub. Auf die Frage, ob es nicht frustrierend sei, so lange auf etwas hinzuarbeiten, das nach zwei Wochen wieder verschwunden ist, antwortet er fröhlich: «Das ist ja gerade der Witz! Unsere Kunst kann weder besessen, erworben noch behalten werden. Diese Vergänglichkeit macht ihre Freiheit aus.»

Für Christo und Jeanne-Claude, die 2009 an einer Hirnblutung stirbt, ist Kunst kein «verrätseltes Vergnügen für eine Elite», sondern ein Erlebnis für die Massen. Dafür kämpfen sie mit Haut und Haar! Bürokraten, die sich ihnen in den Weg stellen, lernen ihre hartnäckige Seite kennen. 20 Jahre dauert die Planung der Reichstags-Verhüllung. Nach zwei Wochen ist das «Happening auf Zeit» Geschichte.

NEW YORK - DECEMBER 7:  Honorees and artists Christo and Jeanne-Claude attend the third annual Urban Visionaries award dinner and auction at the Hammerstein Ballroom December 7, 2004 in New York City. (Photo by Evan Agostini/Getty Images)

Christo und Jeanne-Claude brachen mit ihren Installationen Sehgewohnheiten auf. Ihre Aktionen waren Happenings, brachte die Welt zum Staunen.

Getty Images
«Teuflisch guter Liebhaber»

Dauerhaft wäre nur «The Mastaba» gewesen, eine Pyramide aus 440 000 Ölfässern in der Wüste von Abu Dhabi. «Es handelt sich dabei um die älteste Form menschlicher Architektur», erklärt mir Christo bei seinem letzten Besuch vor zwei Jahren in der Galerie Gmurzynska in Zürich. Er ist kein bisschen müde. Sondern voller Tatendrang. Die Gross-Skulptur wäre so etwas wie ein Grabmal geworden. Doch dazu kommt es nicht. Der Workaholic, der 15 Stunden pro Tag in seinem Town-House in New York an Zeichnungen und Modellen werkelt, schläft am 31. Mai friedlich in seinem Bett ein. Wie ein Engel. Neffe Vladimir Yavachev, sein engster Vertrauter: «2021 werden wir nach Christos Vorgaben den Triumphbogen in Paris verhüllen.»

Geboren wurde Christo Wladimirow Jawaschew 1935 im bulgarischen Gabrowo. In der Chemiefabrik des Vaters entdeckt er sein Interesse für Stoffbahnen. Die Mutter arbeitet als Generalsekretärin der Akademie der Schönen Künste in Sofia – von ihr erbt er das Maltalent. 1956 flieht er vor dem kommunistischen Regime nach Paris, wo er sich als Porträtmaler durchschlägt. Als er den französischen General Jacques de Guillebon zu Hause porträtiert, lernt er dessen Tochter Jeanne-Claude kennen. Die Flugbegleiterin heiratet den mittellosen Einwanderer, beide sind Seelenverwandte. Selbst im hohen Alter bezeichnet sie ihn noch als einen «teuflisch guten Liebhaber».

Bescheidener, fast demütiger Schöpfer

Madame kümmert sich um die Finanzen der Projekte, die Millionen kosten. Ausgeführt wird alles gemeinsam. Während Sammler für Christos Skizzen sechsstellige Beträge zahlen, ist der Künstler privat nicht an Geld interessiert. Statt goldene Manschettenknöpfe nutzt er eine Schnur zum Schliessen seiner Hemdsärmel. So imposant die Grossinstallationen daherkommen, so bescheiden, fast demütig tritt ihr Schöpfer auf. Die Vergänglichkeit seiner Arbeiten erinnert stets auch an die Flüchtigkeit des Lebens selbst. «Wirklichkeit kann durch nichts ersetzt werden», so Christo. «Ebenso wenig wie die unfassbar kostbare Zeit unserer eigenen Existenz. So ist die Welt, so ist der Mensch. Alles existiert, um zu verschwinden.»

Von Caroline Micaela Hauger am 7. Juni 2020 - 16:46 Uhr