Henriette Engbersen, hat der Vergleich im Fall Andrew die Briten überrascht?
Man hat es bestimmt nicht im jetzigen Moment erwartet, viele dachten, dass er immer noch einen Gerichtsprozess anstreben würde. Von dem her kam es tatsächlich überraschend. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass er an einem aussergerichtlichen Vergleich nicht vorbeikommen konnte, weil ein Prozess für ihn sehr schwierig geworden wäre, da er viele peinliche Details aus seinem Privatleben hätte publik machen müssen. Daneben dürfte auch der Druck aus dem Königshaus, einen Vergleich abzuschliessen, gross gewesen sein. Damit konnte eine mediale Schlammschlacht vermieden werden.
Wie kommt es beim britischen Volk an, dass sich Prinz Andrew quasi freigekauft hat?
Es gibt viele, die mit der Queen mitfühlen, denn je älter sie wird, desto mehr Sympathien geniesst sie. Und für die Königin ist es sicher von Vorteil, dass man einen Vergleich finden konnte, denn ein allfälliger Prozess hätte das Jahr ihres Thronjubiläums wohl überschattet. Allerdings gibt es auch einige, die sich fragen, ja wenn er doch unschuldig ist, wieso bezahlt er Virginia Giuffre denn so viel Geld? Ausserdem haben die Briten das mittlerweile berühmt gewordene Interview mit der BBC-Journalistin Emily Maitlis in der Sendung «Newsnight», das für Andrew zum Fiasko wurde, nicht vergessen. In dem Gespräch behauptet er, keine Erinnerung zu haben, Virginia Giuffre jemals getroffen zu haben. Für Maitlis, die gerade kürzlich darüber wieder einen Artikel schrieb, ist klar: egal ob Andrew damals gelogen hat oder ob ihm sein Gedächtnis tatsächlich einen Streich gespielt hat, er sieht in jedem Fall schlecht aus.
Kann man den Vergleich auch als ein Schuldeingeständnis des Prinzen interpretieren?
Genau, es gibt, wie gesagt, viele auf der Strasse, die es zumindest fragwürdig halten, dass da so viel Geld fliesst, wenn er doch von sich behauptet, die Frau niemals getroffen zu haben. Gemäss einer aktuellen Umfrage wollen zwei Drittel der Bevölkerung, dass er auch seinen Titel «Duke of York» verliert – und 80 Prozent sagen, dass er in der Öffentlichkeit wirklich nie mehr auftauchen soll. Nach diesen schweren Missbrauchsvorwürfen hat Prinz Andrew wirklich sämtliche Sympathien verloren.
Hätte man es in Grossbritannien nicht auch begrüsst, wenn es zu einem Prozess gekommen wäre und so der Fall um die Missbrauchsvorwürfe zwecks Wahrheitsfindung auch von einem Gericht, also rechtsstaatlich, hätten geklärt werden können?
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Klar gibt es diejenigen, die sagen, es sei beschämend und eine Schande, dass Andrew noch vor zwei Jahren behauptete, Virginia Giuffre nicht zu kennen und sich jetzt nicht vor Gericht stellt. Und sehen in ihm einen Feigling. Aber wäre er vor Gericht gegangen, dann hätte es wochenlang Schlagzeilen gegeben, die sich viele nicht wünschten, gerade auch aus Sympathie zur Queen. Auf Englisch würde man die Situation am besten mit der Redensart «between a rock and a hard place» beschreiben. Also, dass der Vergleich zwar ein Übel ist, aber immer noch das kleinere für ihn. Es konnte kein Happyend geben für ihn.
Wer hat diese Schlacht denn nun gewonnen?
Dieser Vergleich wird in den britischen Medien klar als Sieg für Giuffre gesehen. Das Geld soll ja ihrer Stiftung zugute kommen, welche sich für Frauen engagieren will, die ähnliches erlebt haben wie Giuffre. Sie hatte abgesehen von einem Foto vermutlich wenig handfeste Beweise, was häufig bei solchen Fällen die Herausforderung für die Opfer ist. Dennoch hat sie einen Vergleich mit einem Millionenbetrag für einen guten Zweck erzielt.
Es konnte kein Happyend geben für ihn
Henriette Engbersen
Wie denken Sie, geht Andrew persönlich mit der Situation um?
Man sagt von ihm, und das kann man auch in dem BBC-Interview belegen, dass er eine gewisse Arroganz an den Tag legt und sich selbst recht toll findet. Auch ein Manko an emotionaler Intelligenz könnte man ausmachen. In dem Gespräch mit Emily Maitlis hat er nicht einmal sein Mitleid mit den Frauen ausgedrückt, die unter den Handlungen von Jeffrey Epstein schwer gelitten haben. Das hat man ihm sehr übel genommen. Sein Auftritt gab einiges von seinem Charakter Preis.
Wie hat er denn selbst auf den Vergleich reagiert?
Als der Vergleich diese Woche beschlossene Sache war, konnte man in den Medien lesen, dass er eigentlich den Umständen entsprechend recht guter Laune und natürlich auch froh darüber war, dass der Spuk jetzt vorbei ist. Es wurde auch darüber spekuliert, dass ihm vielleicht eine gewisse Selbstreflexion fehlt, um jetzt geknickt zu sein. Was man aber auch sagt: er fühlt sich seiner Mutter tief verbunden und es tut ihm für die Queen sehr leid.
Seit 2017 berichtet Henriette Engbersen als TV-Korrespondentin für das Schweizer Fernsehen SRF über die Region Grossbritannien und Irland. Dort hat sie sich unter anderem mit dem Brexit, dem britischen Königshaus, dem Finanzplatz London oder der Fussball EM auseinandergesetzt. Nun kehrt sie nach 14-jähriger Tätigkeit für das SRF im Frühling in die Schweiz zurück, wo sie eine Stelle in der Privatwirtschaft angenommen hat.
Was denken die Menschen darüber, dass die Queen ihn nun mit zwei Millionen Pfund bei der Zahlung unterstützen soll?
Ich weiss nicht genau, wie Sie auf die zwei Millionen Pfund kommen. Die Zahl, die hier herumgereicht wird, sind die 12 Millionen Pfund (rund 15 Millionen Schweizer Franken, Anm.d.Red.) die Andrew angeblich bezahlen soll. Bestätigt ist das aber nicht. Die Frage ist vielmehr: Wieviel Geld hat Andrew selbst? Er hat jetzt gerade das Chalet in Verbier verkauft bzw. ist dabei es zu verkaufen. Doch sollen zwei Drittel des Hauses der Bank gehören und er muss wohl auch noch Geld an den Vorbesitzer bezahlen. Sprich, der Erlös, der es ihm aus dem Verkauf der Liegenschaft in die Kasse spült, reicht vielleicht nicht aus, um die Summe zu bezahlen. Viele gehen davon aus, dass es Andrew alleine nicht gelingt, genug Geld für den Vergleich aufzubringen, zumal man hinter vorgehaltener Hand davon spricht, dass der Betrag, den Frau Giuffre fordert, so hoch ist, dass ihn Andrew gar nicht bezahlen kann. Ausserdem ist allgemein bekannt, dass er nicht sehr wohlhabend ist. Also von wem sonst als der Queen soll er da Geld bekommen, sagen sich viele.
Angenommen, die Königin hilft ihrem Sohn, seine Schuld zu begleichen, würden dazu Steuergelder verwendet?
Ja, das ist im Moment das grosse Thema in der Bevölkerung. Muss das Volk die Rechnung begleichen oder kommt das Geld aus ihrem eigenen Portemonnaie? Aufgrund dessen, was ich hier in Grossbritannien lese, gibt es Hinweise darauf, dass es aus dem eigenen Vermögen der Königin kommt. Aber das Volk brennt hier auf eine offizielle Bestätigung des Palasts, dass es sich ganz sicher nicht um Steuergelder handelt, die da verwendet würden.
Viele gehen davon aus, dass es Andrew alleine nicht gelingt, genug Geld für den Vergleich aufzubringen
Henriette Engbersen
Wie reagiert denn die Politik auf den Vergleich bzw. auf eine mögliche finanzielle Unterstützung der Queen?
Diejenigen, die grundsätzlich bereits einen eher kritischen Blick auf die Royals haben, also vor allem Politikerinnen der Labour-Partei und der Liberaldemokraten, wollen genau wissen, woher das Geld kommt. Von der Regierung hat man zurzeit noch nichts gehört…
… und der Hof schweigt ja auch eisern dazu, bis jetzt zumindest. Nun, zum Schluss noch was zur Person Prinz Andrew. Wie denken Sie, sieht seine Zukunft aus? Immerhin ist er ja erst 62 Jahre alt, zu jung, um einfach die Füsse hochzulegen.
Ja, das fragen sich hier natürlich viele. Niemand sieht eine Chance, dass er jemals wieder offizielle Aufgaben übernehmen wird. Also was macht er mit seiner Zeit? Man weiss, dass er gerne auf dem Golfplatz steht und reitet, auch sollen seine Töchter mit den Enkelkindern ihn ab und zu besuchen kommen und er geht gerne mal mit der Queen Mittagessen. Viel mehr wissen wir leider nicht. Was sicher ist: dadurch, dass er keine öffentlichen Auftritte mehr haben wird, nimmt man ihm das weg, was einem Royal in der heutigen, modernen Zeit noch als Aufgabe bleibt. Gemäss britischen Medienberichten eine bittere Pille, die er schlucken muss.