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100 Jahre Circus Knie

Eine Familiengeschichte spannend wie ein Krimi

Sie gelten als die Royals der Schweiz. Ihr Leben liest sich spannender als ein Krimi: Liebesglück und Herzschmerz, Entführung und Verwirrung, Aufstieg und Absturz. Die Geschichte des Familienclans ist Zirkus pur.

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©boekhaus.com

Die Knies: Hintere Reihe (v. l.): Chris Rui Knie, Linna Knie-Sun, Franco Knie jun., Maycol Errani, Ivan Frédéric Knie, Fredy Knie jun., Mary-José Knie-Galland, Doris Desirée Knie, Franco Knie sen., Claudia Knie-Uez. Vordere Reihe (v. l.): Géraldine Katharina Knie mit Maycol Knie jun., Chanel Marie Knie, Timothy Charles Knie und Nina Maria Dora Knie.

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Ein gebrochenes deutsches Männerherz steht am Anfang des Schweizer National-Circus: Friedrich Knie heisst der Unglückliche. 1784 im thüringischen Erfurt geboren, verknallt er sich als junger Mann während seines Medizinstudiums im österreichischen Innsbruck in eine rothaarige Kunstreiterin namens Wilma.

Von Amors Pfeil getroffen, pfeift er auf die Medizin, schliesst sich Wilmas Künstlertruppe an. Als Stallknecht kümmert er sich um die Pferde, lernt reiten und auf dem Seil zu laufen – bis er mit rosaroter Brille ins Straucheln gerät. Denn Wilma macht nicht nur dem Knie schöne Augen.

Knie imponiert Napoleon

Mit Herzschmerz verlässt Friedrich die Truppe. Seine neue Liebe gilt den Pferden. 14 Rösser legt er sich zu, gründet ein Unternehmen: Auf Flugblättern wirbt die Tänzer-Gesellschaft Knie für «eine ausserordentliche grosse acrobatische Vorstellung». Der Gründervater des Schweizer National-Circus zahlt früh Lehrgeld. So rauben französische Truppen Friedrichs Pferde über Nacht aus einem Stall.

Doch ein echter Knie macht nicht einfach die Faust im Sack. Friedrich marschiert ins Heerlager der Franzosen und fordert mit Nachdruck seine Pferde zurück. Napoleon, so besagt die Legende, ordnet nach Knies mutigem Auftritt höchstpersönlich an, die Tiere zurückzugeben. Doch statt seiner edlen Rösser jubeln die Franzosen dem Artisten alte Zugpferde und Ackergäule unter.

India 1935 Foto Archiv Circus Knie

Exotische Einblicke: Ab den 1920er-Jahren zeigt der Circus Knie Völkerschauen – mit Schlangenbeschwörern aus Indien.

ZVG

In der «Stauffer-Toni», die als schönste Tochter Innsbrucks gilt, findet Friedrich Knie doch noch die grosse Liebe. Weil der Schwiegerpapa so gar nicht begeistert ist vom «Zigeuner und Gaukler» an der Seite seiner Antonia, entführt Knie die Liebste in stürmischer Nacht aus einem Kloster – zirkusreif auf einem Pferd. Den Segen des alten Stauffer bekommt das Paar dann doch noch.

Hart im Nehmen sind Knies von Beginn an: Franz, Friedrichs und Antonias Jüngster, der als «alter Knie mit weissem Rauschebart» sogar Schriftsteller Carl Zuckmayer zu dessen Werk «Katharina Knie» inspirierte, bricht sich bei Abstürzen vom Hochseil sieben Mal beide Arme, quetscht sich dazu die Füsse. Mehr als Verletzungen hat er nur Kinder: 35 (!), 19 aus erster, 16 aus zweiter Ehe.

Entführt der «erste» Knie seine Frau noch ganz romantisch, rennen seinen Nachfahren die Verehrerinnen buchstäblich hinterher. Vor allem die vierte Knie-Generation mit Charles, Ludwig, Friedrich und Rudolf Knie sowie Eugen, der weit herum als «schöner Öschen» bekannt ist, sorgt für Verwirrung. So schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am 31. Mai 1932 über die Knie-Geschwister: «Die Söhne waren schön wie junge Götter. Der Ephebe Eugen hat Verwirrungen angerichtet. Drei Mädchen sind ihm einst heimlich nachgereist, aber deren Väter haben sie heimgeholt und dementsprechend behandelt. Dies mag ihr einziger Ausflug in die Romantik geblieben sein.»

Schweizer im zweiten Anlauf

Schweizer werden die Knies erst im zweiten Anlauf. Das erste Gesuch reichen 1867 Ludwig und Charles Knie (3. Generation) im Kanton Solothurn ein. Es wird abgeschmettert – wegen ihres lebensgefährlichen Berufs als Seiltänzer. Die Beamten fürchten die Kosten, die für die Pflege eines armengenössigen Artisten anfallen würden. 1900 nimmt Ludwig einen zweiten Anlauf, im Thurgau. Im Folgejahr stellt der Kanton die «Naturalisationsakte» aus: Knies sind jetzt Schweizer Bürger.

Garant für Spektakel ist der Clan seit Anbeginn. Ob beim Jonglieren mit Zwölf-Pfund-Kanonenkugeln, beim Balancieren eines Strohhalms auf der Stirn oder einer brennenden Papiertüte auf der Nase – die Artisten bieten Nervenkitzel. Entsetzt schreit das Publikum jeweils auf, wenn Rudolf Knie auf dem Hochseil seine «99-jährige Grossmutter» in der Schubkarre über den gefährlichen Abgrund schiebt – und sie mittendrin auskippt. Das Grosi ist nur eine Puppe – und das Publikum erleichtert.

Herz und Herzschmerz

Lautstarken Protest gibts 1894. Als Ludwig Knie mit seinen Söhnen am Heissluftballon kühne Akrobatik zeigt, kann sich sein Zweitältester, Friedrich, bei der spektakulären Darbietung nur mit einem gewagten Sprung aus acht Meter Höhe vor dem Absturz retten. Darauf beschliesst der Vater, seinen Sohn durch eine Puppe zu ersetzen. Das sensationsheischende und zahlende Publikum ist sauer und reagiert erbost.

Apropos «bezahlen»: Überliefert ist das legendäre Ohr von Marie Knie, die bei Vorstellungen mit ihrem Geldtopf die Reihen der Zuschauer abschreitet. Sie hört genau, wenn einer statt des geforderten Obolus einen Knopf im Topf versenkt. Zahlungsverweigerern zieht Marie schon mal ihren Topf über den Kopf.

Dass Liebe mitunter den Verstand raubt,weiss man. Doch Ludwig Knie, Gatte von Geldtopf-Marie, glaubt auch, dass die Liebe einem guten Artisten die Kraft raubt. Und so stellt er seinen Ältesten, Louis, als er sich in eine Artistin verliebt, vor die Wahl: Knie oder Liebe? Der Filius entscheidet sich fürs Herz, trennt sich von der Familie.

«Verboten (interdit)», prangt ein Stempel auf einem Brief von 1943 aus dem Armeehauptquartier. Empfängerin: Margrit Knie-Lippuner. Absender: Henri Guisan. Der General, Oberbefehlshaber der Armee, dankt nach dem Besuch der Jubiläumsvorstellung und entbietet die «aufrichtigsten Wünsche für das weitere Wohlergehen und Blühen Ihres Unternehmens». «Da ich gestern noch in mein Quartier zurückfahren musste, war es mir leider nicht möglich, Ihrem Anerbieten, mich in Ihrem Wohnwagen einen Moment zu empfangen, Folge zu geben, und ich ersuche Sie somit, mir Ihr goldenes Buch zur Unterschrift einzusenden.»
 

Zirkus Knie

Magische Lichtkunst: Zum 100-Jahr-Jubiläum schafft sich der Knie ein Chapiteau ganz ohne störende Masten an.

ZVG

Der Knie-Wohnwagen ist seit je der «place to be». Ob Bundesräte, Wirtschaftskapitäne oder Schauspieler – es ist der Ort, an dem sich  Legenden wie Charlie Chaplin, Michael Jackson, Fürst Rainier III. und seine Frau Gracia Patricia von Monaco die Klinke in die Hand geben. Oscar-Preisträger Christoph Waltz reist sogar tagelang mit Knies mit, um sich auf seine Rolle als Zirkusdirektor in «Wasser für die Elefanten» vorzubereiten.

Fratelli Errani und Chanel Marie Knie bei der Generalprobe Zirkus Knie

Hohe Kunst: Die «Ungarische Post» (2017) mit Maycol Errani und Tochter Chanel ist ein Highlight der Pferdedressur.

Keystone Images
Im Knie werden Stars Könige

Unser «Königshaus» macht einige Manegen-Stars zu Königen der Herzen: Ob Emil, Dimitri, Victor Giacobbo, Massimo Rocchi, Gardi Hutter, Marie-Thérèse Porchet oder Ursus & Nadeschkin, sie alle erobern das Publikum im Sturm. Ausnahme-Artisten wie Borisav «Borra» Milojkovic – berühmt als «König der Taschendiebe» – geben sogar dem FBI, Scotland Yard sowie den Detektiven der Schweizer Polizei Nachhilfestunden. Als Dankeschön wird Borra gar zum Ehrenhäftling ernannt. Seinen damit verbundenen Anspruch auf Einzelzelle bei Suppe, Wasser und Brot macht er aber nie geltend.
 

HO Zirkus Knie

Kleine Künstlerin: Mit Chanel (hier als Dreijährige) steht bereits die achte Generation Knie in der Manege.

ZVG

Was mit Herzschmerz einst beginnt, berührt bis heute die Herzen der Schweizer. Egal, ob Franco Knie sen. einen Sommer lang mit Prinzessin Stéphanie von Monaco im Zirkuswagen durchs Land turtelt oder einer der weltbesten Artisten sich in eine Knie verliebt wie im Fall von Géraldine Knie und Maycol Errani. Zirkuspatron Fredy Knie jun. stellt weder seine Tochter noch den Angestellten vor die Wahl: Knie oder Liebe?

Die Liebe gehört zum Knie! 
 

Von René Haenig am 5. Mai 2019 - 16:43 Uhr