Man kann nörgeln, wie man will. Mutmassen, dass Alisha Lehmann eher ein Produkt der sozialen Medien denn des Fussballs ist und ihre Wirkungskraft in ihren Posts grösser als vor dem gegnerischen Tor. Doch sobald die 24-Jährige mit dem kleinen Finger wackelt, gerät die Medienwelt in Aufruhr. Im ersten Trainingslager mit der Schweizer Nati nach Lehmanns Pause ist wegen ihrer Anwesenheit selbst die französische Seite Sports.fr vor Ort, die zu den grössten Multimedia-Hubs von Europa zählt. Und diese fragt sich, ob die Bernerin nicht zu schön für den Fussball sei.
Wehren gegen sexistische Sprüche
Solche sexistischen und reisserischen Fragen ärgern Lehmann enorm. «Die Kritik ist einfach. Viele Leute beurteilen mich aufgrund meines Verhaltens in den Netzwerken, haben sich aber nie auch nur eine Minute lang meine sportlichen Leistungen angesehen. Das ist nicht korrekt», wehrt sich die Stürmerin von Aston Villa in Birmingham, die im Dorf Tägertschi in der Nähe von Münsingen BE geboren ist.
Ihr Erfolg auf den sozialen Netzwerken ist aber tatsächlich aussergewöhnlich. Auf Tiktok hat sie fast sieben Millionen Follower, auf Instagram 12,2 Millionen. In letzterer App liegt sie damit nun 800 000 Zähler vor Tennis-Ikone Roger Federer himself. Aus dem Schweizer Sport hat nur Ivan Rakitic, kroatischer Fussballinternationaler aus Rheinfelden AG beim FC Sevilla, mit seinen 17,4 Millionen Abonnenten mehr als sie. Und auch wenn Zahlen nicht alles sind, zeigen sie doch das Ausmass des Phänomens Alisha Lehmann. Das rasante Wachstum ihres Profils lässt sich bei Weitem nicht nur durch ihr Fussballtalent erklären – obwohl die Bernerin in einer prestigeträchtigen Liga und einem Traditionsverein spielt. «Es gibt keine Erklärung dafür. Es ist einfach passiert», sagt Lehmann selbst.
Öffentliche Ex-Beziehungen
Sicher ist: Neben vielen Sportbildern zeigt sie sich im Bikini und vor schnellen Autos, hat Partnerschaften mit grossen Marken. Dazu kommen ihre Ex-Beziehungen, die die Öffentlichkeit brennend zu interessieren scheinen. Zuerst war sie mit der neun Jahre älteren Nationalteamkollegin Ramona Bachmann, 32, zusammen, später mit dem brasilianischen Mittelfeldspieler Douglas Luiz, 24, wie sie bei Aston Villa unter Vertrag.
«Ich widme mich zu 100 Prozent meinem Beruf als Fussballspielerin. Ich sehe das Problem nicht»
Alisha Lehmann
Neben diesen Liebesgeschichten, die man auf Social Media durchaus mitbekommen hat, hat sie einen guten Sinn für Inszenierung und Glamour. Da die 34-fache Internationale perfekt gestylt auf dem Spielfeld erscheint,
mit falschen Wimpern und sorgfältig geflochtenen Haaren, wird immer wieder angezweifelt, ob ihr Beruf als Fussballspielerin aufgrund des Zeitaufwands mit dem einer so erfolgreichen Influencerin vereinbar ist – eine Frage, die beispielsweise Cristiano Ronaldo nie gestellt wurde.
«Ich widme mich zu 100 Prozent meinem Beruf als Fussballspielerin», stellt Lehmann klar. «Wie alle meine Teamkolleginnen trainiere ich jeden Tag und spiele am Wochenende. Ich habe noch nie von einem Verein oder einer Nationalmannschaft gehört, für die die sozialen Netzwerke ein Problem darstellen. Es gibt ein paar Regeln, aber wir können unsere Freizeit gestalten, wie wir wollen. Ich sehe das Problem nicht.»
Verzicht auf die EM, nun Rückkehr zur WM
Lehmann fühlt sich wohl in ihrer Haut, ihren Stollenschuhen und in ihrem Kopf. Doch im Juni letzten Jahres gab sie ihren Verzicht auf die EM in England bekannt, da sie mental nicht bereit war. «Es waren private und nicht sportliche Gründe, die mich zu dieser Entscheidung veranlasst haben», erklärte sie nun im Februar, nachdem sie zuvor nie über ihre Pause gesprochen hatte. «Es gibt Dinge im Leben, mit denen
man nicht rechnet, die man aber auch nicht der ganzen Welt erzählen möchte.»
Die Erklärungen reichten der neuen Trainerin der Equipe, Inka Grings, aus. «Jede hat das Recht auf eine zweite Chance. Alisha ist eine Top-Spielerin, und ich freue mich, dass sie bei uns ist», sagt die Deutsche, die Lehmann auf dem Rasen als «explosiv und dynamisch» schätzt. An der WM in Australien und Neuseeland (ab 20. Juli) wird die Schweizer Nati ohnehin alle Kräfte brauchen.
Einsatzzeit an der WM könnte auch eine goldene Gelegenheit für Alisha Lehmann sein. Social-Media-Experten glauben, dass die Bernerin jährlich mehrere Millionen Dollar über das Internet verdient. Eine Expertin schätzt im «Blick», dass sie mit Sponsoren wie Adidas oder Playstation für jeden Post, den sie veröffentlicht, 100 000 Franken einnehmen könnte.
Familie hält sich bedeckt
Es ist eine professionelle Arbeit auf einer professionellen Plattform, auf der die Spielerin ihr Privatleben bewusst unter Verschluss hält. Die ehemalige kaufmännische Angestellte hält sich in Bezug auf ihre Familie bedeckt. Über ihre Eltern sowie über ihre Schwester und ihren Bruder ist so gut wie nichts bekannt. Ausser dass Letzterer zusammen mit den Cousins Alisha ermutigt hat, das Abenteuer Profifussball zu wagen. Eine glückliche Inspiration, denn der Schweizer und der internationale Frauenfussball wären nicht das, was sie sind – ohne Alisha Lehmann, ihre goldene Botschafterin.