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Kulturexport nach Tokio

Alphornspielerin Lisa Stoll begeistert in Japan

Kulturexport nach Japan! Auf ihrer Konzerttournee im Land der ­aufgehenden Sonne begeistert Lisa Stoll das einheimische Publikum mit Volksmusik aus ihrer Heimat. Beim Sightseeing durch Tokio macht die erfolgreichste Schweizer Alphornspielerin dann selbst grosse Augen.

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Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Vor dem Asakusa-Tempel: Auch Aimi (l.), und Moeka freuen sich über ein Selfie mit Lisa. Die Kimonos haben sie für den Tempelbesuch gemietet.

Nicolas Righetti

Ein paar Wörter Japanisch beherrscht Lisa Stoll (27). «Oischii», sehr gut, sagt die Schaffhauserin zu ihrer Gastgeberin Keiko Ito (61) und lädt gekonnt eine Portion Reis auf ihre Stäbchen. Die beiden sitzen im Seiza-Stil am Esstisch in Keikos Tatami-Zimmer in Koganei, einem Vorort der japanischen Hauptstadt Tokio. Oyakodon hat die Japanerin gekocht, Hühnerfleisch und glibberiges Eiweiss. Zu Ehren ihrer Freundin hat sie ihre in der Schweiz gekaufte Limmattaler Sonntagstracht aus der Grafschaft Baden AG angezogen. Keiko weiss, dass die Schaffhauserin mit Freund Didier seit ein paar Monaten im Aargau lebt.

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Die Schaffhauserin bei ihrer Freundin Keiko Ito in Tokios Vorort Koganei. Die Japanerin erzählt ihr: «Als meine Kinder klein waren, sang ich ihnen Jodellieder zum Einschlafen.»

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«Hast du fleissig geübt?», will Lisa auf Englisch wissen. «Ja, vor allem ‹s’ Brienzerchueli›, ein schwieriges Jodellied», antwortet Keiko. Die beiden stehen auf. Lisa überreicht der Gastgeberin ein Glas Honig, «von meinen zwei Bienenvölkern daheim». Keiko bedankt sich mit «Arigato gozaimasu» und einer leichten Verbeugung. Dann stellt sie das Geschenk neben den Buddha im Hausaltar, zündet ein Räucherstäbchen an. «Mein Mann und ich lieben Sushi, aber wir haben auch gern Süsses.» Lisa nimmt den Koffer mit ihrem Alphorn: «Komm, lass uns proben gehen! Ich freue mich auf unsere Auftritte.»

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

«Unglaublich, was für Sachen es gibt!» In Tokio besucht Lisa Stoll einen Manga-Shop – das Viertel Akihabara ist das Mekka für Fans japanischer Comics und Zeichentrickfilme.

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Am Anfang war Heidi

Zum dritten Mal ist die bekannteste Schweizer Alphornspielerin auf Konzerttournee im Land der aufgehenden Sonne. Zwei Wochen ist Lisa Stoll unterwegs, an acht Konzerten spielt sie vor japanischem Publikum Schweizer Volksmusik. Als Conferencier durch die Auftritte führt der in Cham ZG lebende Guschti Sidler, 83. Der gelernte Maschineningenieur war 1972 beruflich erstmals in Japan und lernte schon damals viele Einheimische kennen, die sich für Schweizer Volksmusik und vor allem fürs Jodeln interessieren.

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Auch zum Znacht einheimische Kost: In einem Izakaya, einem typischen Restaurant, hat Stoll Sushi bestellt.

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Mit der Schweizer TV-Legende Wysel Gyr, dem grossen Ländler-Experten, organisierte er bis 1998 zwölf grosse Volksmusikkonzerte in Japan. Ab 1970 stand die Schweiz und ihre Volksmusik in Japan ganz hoch im Kurs: vor allem wegen dem Zeichentrickfilm «Heidi, das Alpenmädchen», der im japanischen TV gezeigt wurde und in dem eine Schweizerin jodelte. Bis heute bringt Guschti Sidler seiner zweiten Heimat unser Kulturgut nahe.

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

In der Metro sind alle mit ihrem Handy beschäftigt, es ist mucksmäuschenstill. Lisa Stoll: «Zum Glück sind die Schweizer Züge nicht so proppenvoll.»

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1,5 Stunden dauern die 25 Kilometer Autofahrt zur Yotsuya Civic Hall, wo Stoll nach einer Probe mit ihren japanischen Musikerkollegen die ersten Auftritte hat. Keiko erzählt, wie sie zum Jodeln gekommen ist: 1992 hörte sie die Berner Jodlerin Marie-Theres von Gunten beim Auftritt in Tokio. Sie fing Feuer fürs Jodeln, reiste schon ein paar Wochen später für Jodelunterricht zu von Gunten ins Berner Oberland – für sie bis heute jährliche Tradition.

2005 bekam Keiko beim Eidgenössischen Jodlerfest in Aarau mit dem Lied «Es Jützi vo inne» die Note «Sehr gut» – noch nie ist eine nicht in der Schweiz lebende Ausländerin an einem Eidgenössischen aufgetreten. Guschti besorgte Keiko beim Jodlerverband die Bewilligung. Seither jodelt sie bei jedem Eidgenössischen, in Zug mit ihrem Jodelchor Tokio Jodel Gasshodan, 2020 von Keiko gegründet. Er besteht ausschliesslich aus Einheimischen, die die Jodellieder im Originaltext auswendig lernen. Als Bundespräsident Ignazio Cassis 2022 die Schweizer Botschaft in Tokio besucht, überrascht Ito ihn mit dem Tessiner Lied «Amici miei». Keiko: «Er sang begeistert mit.»

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13

In Tokios Viertel Harajuku zeigen Jugendliche gern ihre crazy Outfits: hier Artha (l.), und Kollegin Yedd.

Nicolas Righetti

In ihrer Karriere ist Lisa Stoll schon unzählige Male vor Publikum gestanden. Doch nun «pöpperlet» ihr Herz. Hinter der Bühne wartet sie auf ihren Auftritt. 400 Besucher, ausverkauft. «Du bist in Japan! Einem Land, in dem so vieles anders ist. Im Publikum sitzen alles Einheimische», geht es ihr durch den Kopf. Erst ist Keikos Jodelchor in Schweizer Tracht an der Reihe. In astreinem Bärndütsch sin-gen die Japaner «E Jutz vom Bärg», der Text ist im Programmheft übersetzt.

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Lisa Stoll vor einem der unzähligen Getränkeautomaten. Sie staunt, wie sauber es überall ist, auch ohne Abfallkübel: Japaner entsorgen allen Abfall daheim.

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Dann kündigt Guschti auf Japanisch den Gaststar an: «Lisa Stoll! Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Mit zehn hat sie sich ins Alphorn verliebt. Und sie fährt gern Traktor.» «Uf em Traktor» heisst denn auch das erste Stück, bei dem Stoll das Publikum mit ihrem meisterlichen Alphornspiel in Staunen versetzt. Applaus! Als Nächstes tritt sie mit dem Amsle Quantett auf. Die Formation besteht aus Keiko, einem Akkordeonisten, einem Pianisten und einem Bassisten, alles lokale Musiker, sowie Sidlers japanischer Frau Fusako (61). Sie spielen Carlo Brunners «Börse-Ländler». Als Zugabe gibts «Es Burebüebli», das Publikum schunkelt mit. In der Pause vor dem zweiten Konzert erinnert sich Sidler an ein Konzert 1976 in Osaka. «Alle 2000 Besucher machten mit beim Schunkeln, ausser die zwei Reihen mit in Japan lebenden Schweizern.»

Rüeblitorte, bitte

Lisa Stoll wird umlagert, Selfie hier, Selfie dort, eine Frau umarmt sie: «Eure Musik ist wunderbar, sie geht zu Herzen.» – «Sugoi!» hört Lisa von allen Seiten. «Sehr schön!» Eine Gruppe Gratulanten erkennt sie sofort wieder, die Männer besuchten schon 2017 ein Konzert von ihr. Es sind einheimische Alphornbläser – weit über 200 gibt es im Land, Guschti hat auch diese Brücke geschlagen. «Da isch e gfreuti Sach gsi», sagt die Schaffhauserin, als die Musiker nachher anstossen.

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Gebannt hören Keiko Ito (M.) und ihr einheimischer Jodelchor Lisa Stoll zu.

Nicolas Righetti

Tags darauf nehmen Keiko und ihr Mann die Alphornvirtuosin auf eine Sightseeingtour in der grössten Stadt der Welt. Sie besuchen den Asakusa-Kannon-Tempel, ein Roboter-Café, ein Manga-Geschäft. In der Nähe eines Schreins gibt Lisa ein Alphornständchen. In einem Supermarkt kauft sie Natto, fermentierte Sojabohnen. «Sie stinken grauenhaft, doch sie sind sehr gesund. «Ich bringe sie einer Kollegin. Mal schauen, was sie für Augen macht.»

Lisa Stoll est la star incontestée du cor des Alpes en Suisse en tournée auu Japon en octobre 2023, Tokyo.© Nicolas Righetti / Lundi13 Lisa Stoll in Tokio. ©Nicolas Righetti

Keiko Ito, Lisa Stoll und Guschti Sidler mit Ehefrau Fusako (v. r.) nach ihrem Konzert in Tokio.

Nicolas Righetti

Bye-bye, Tokio! Mit Guschti, Keiko und anderen Musikern reist Stoll zu weiteren Konzerten. Entlang von Reisfeldern gehts nach Kutchan, Schwesterstadt von St. Moritz. Dann stehen Sapporo und Osaka auf dem Programm. In Shiretoko spielt Lisa ein japanisches Volkslied. Auch hier staunende Gesichter, auch hier begeistertes Publikum. «Sugoi», schwärmt Keiko. «Dein Lob bedeutet mir viel. Es waren wunderbare Erlebnisse. Dank dir, Keiko, ist mir Japan nicht mehr so fremd», sagt Lisa und verbeugt sich. Keiko schmunzelt. «Wir sehen uns ja bald wieder.» Im Januar kommt Keiko in die Schweiz, für Konzerte mit Lisa Stoll. «Dann bist du bei mir eingeladen», sagt Lisa. Keiko schmunzelt: «Hoffentlich gibts Aargauer Rüeblitorte!»

Thomas Kutschera
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Von Thomas Kutschera am 27. November 2023 - 17:55 Uhr