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Simone Meier über ihren neuen Bestseller

Als läge man auf dem Wasser

Ihre Leser sollen sich einfach treiben lassen: Simone Meier hat vor Kurzem einen Bestseller veröffentlicht. In «Reiz» verarbeitet die Wahlzürcherin und «Kulturjournalistin 2020» eine persönliche «Scheiss-Erfahrung».

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Simone Meier 2021

Simone Meiers Geschichten spielen oft in Zürich, in ihren Büchern einfach «die Stadt» genannt.

Thomas Buchwalder

Sie schreibt so ehrlich, dass es manchmal wehtut. Beim Treffen mit Simone Meier, 51, frage ich mich deshalb unwillkürlich, welchen Eindruck sie hat. Ob sie im Kopf gerade süffisante Beobachtungen anstellt? Doch mit jedem Meter entlang dem Ufer des Zürichsees weicht diese Vorahnung. «Es stimmt: Weil ich sehr präzise schreiben will, kann ich durchaus böse wirken», sagt Meier. «Aber mein Blick auf das Leben ist komplett offen!»

Ihre Beobachtungsgabe macht Simone Meier zum Beruf. 16 Jahre lang schrieb sie als Kulturjournalistin für den «Tages-Anzeiger». Seit sieben Jahren ist sie beim Online-Magazin «Watson» das «Betriebs-Grosi».

Die Sehnsucht nach Anonymität, Grossstadt und Abenteuer

Wir haben uns auf kühle Steinstufen am Wasser gesetzt, als Journalistinnen duzen wir uns. Die laute Strasse im Rücken, den stillen See vor uns. Hinter Simone Meier liegt eine Kindheit im Aargauer Fricktal. In Zeiningen kennt jeder jeden. Ihre Eltern, beide Lehrer, sind verwurzelt und Ehrenbürger des Dorfes. Simone sehnt sich nach dem Gegenteil: «Anonymität, Grossstadt, Abenteuer.» An der Uni schreibt sie doppelt so viele Seminararbeiten wie verlangt, «weil ich das einfach so gern machte!». Nach dem Studium (Germanistik, Amerikanistik, Kunstgeschichte) landet sie durch einen Korrektorats-Job bei der Zürcher «Wochenzeitung». Seither gewann sie Stipendien – und ihr Schreiben Preise.

Wir gehen wieder, dem Wasser entlang Richtung Süden. Ihr Gang ist zürcherisch-zügig. Die Hauptfigur in Meiers neuem Roman «Reiz» ist wie sie selbst Journalistin. Valerie, Mitte 50, weiss, was sie will (meist junge Männer) und was nicht (Leute, die ihr auf die Nerven gehen). Es ist ein Porträt einer Frau, die weder mit ihrem Alter hadert noch an ihrem Körper verzweifelt. Wunschdenken der Autorin? Simone Meier lacht. «Ganz so entspannt wie Valerie bin ich noch nicht, aber auf einem guten Weg!»

Simone Meier 2021

Auf der Zürcher Saffa-Insel. «Beim Schwimmen lasse ich den Kopf über Wasser. Tauchen macht mir Angst.»

Thomas Buchwalder

In einem Punkt unterscheiden sich Autorin und Hauptfigur dramatisch: Während Valerie einen jungen Kellner nach dem anderen aufreisst und trotzdem niemanden an sich ranlässt, lebt Simone Meier seit 16 Jahren in einer glücklichen Beziehung mit ihrer Freundin Daniela, 47. «Ich dachte immer, ich sei ein zufriedener Single», sagt Meier, «und ich war auch nicht unglücklich. Aber seit ich Daniela kenne, ist mein Leben so unglaublich viel schöner.»

Vor Daniela war Simone Meier manchmal auch mit Männern zusammen. Mit einem erlebte sie eine Grenzüberschreitung. «Es war mein erstes Mal.» Der Freund habe sie gedrängt, «obwohl ich nicht bereit war». Sie sei erstaunt gewesen, dass ihr so «ein totaler Scheiss» passieren könne, sagt Meier. Die Erfahrung verarbeitet sie im Roman «Reiz». «Ich hatte etwas Angst davor, darüber zu schreiben, aber danach fühlte ich mich erlöst.»

Als Feministin verfolgt Meier die #MeToo-Bewegung. «Grossartig. Diesen Mut hatten wir früher nicht, obwohl fast alle Ähnliches erlebten.» Weder Simone noch ihre Romanfigur Valerie fühlen sich als Opfer. Sie haben verarbeitet und weitergemacht.

Für Valerie deutet sich gegen Ende des Buches ein Lebenswandel an. Für Simone steht auch einer an: Sie hat ihrer Freundin eine kleine Schreibpause versprochen. «Meine Bücher sind leicht zu lesen, aber diese Leichtigkeit verlangt viel Arbeit.» Die Leser sollen sich in ihren Geschichten treiben lassen können, als lägen sie gerade auf dem Wasser. Notizen macht Meier sich übrigens nicht. «Was mir bleibt, ist wichtig.» Selbst wenn der Laptop also eine Weile zugeklappt ist, der Blick bleibt offen.

LS
Lynn ScheurerMehr erfahren
Von Lynn Scheurer am 15. März 2021 - 16:26 Uhr