Ziemlich besessen und immer «chli schräg»: Das erste Modell, das Walter Pfeiffer vor der Linse hat, ist ein androgyner junger Mann. Die Fotoserie «Carlo Joh.» ist Pfeiffers Einstieg in die Kunstwelt. Er präsentiert sie Anfang der 70er-Jahre in einer Ausstellung in Luzern. Das Modell stirbt noch vor der Vernissage. Die Trauer über die Vergänglichkeit eines jungen Lebens überschattet die Feier. Von diesem Moment an interessiert sich Walter Pfeiffer für knackige Jungs, die vor Energie strotzen. Typisch für seinen Stil: kräftige Farben, kleine Makel, grelles Blitzlicht, nackte Haut. Seine Bilder erzählen von subtilen Sehnsüchten und erotischen Begehren, die reizvoller sind als die Realität. Seine verspielten Fotos triggern ein sofortiges Glücksgefühl.
Vom Untergrund-Voyeur zum Weltstar: Walter Pfeiffers Prachtband «Chez Walti» mit ikonischen Arbeiten aus über zwei Jahrzehnten ist sein neuster kühner Wurf.
Matthieu CroizierDer Tag ist kalt. Doch Walter Pfeiffer (77) strahlt eine Wärme aus, für die man ihn sofort ins Herz schliesst. Zu Beginn wirkt er ein bisschen kauzig, fast schon unsicher. Eine Masche? Kann sein. Tatsache ist: Man hat ihn lange unterschätzt. «Mein erstes wichtiges Modeshooting hatte ich mit 65.» Dior war begeistert, Bottega Veneta auch. Heute jettet er für Jobs nach Mailand und Paris. Der gelernte Schaufensterdekorateur (Globus und EPA) redet sich beim Interview im Zürcher Seefeld mit sympathischer Offenheit in Fahrt. Anlass des Treffens: sein fulminantes Spätwerk «Chez Walti» mit Arbeiten aus den letzten 20 Jahren. Die Produktion des Bildbands hat ihn müde, aber nicht mürbe gemacht. Ganz nach seinem Motto «Mein Leben ist eine Rakete, die verglüht. Bis die nächste Stufe gezündet wird.»
Walter Pfeiffer mit Migros-Tüten im Zürcher Flagship-Store von Verleger Patrick Frey (r.). Die beiden verbindet eine wunderbare langjährige Freundschaft.
Matthieu CroizierWalter Pfeiffer, Ihre Bilder sind oft hart an der Grenze zum Kitsch. Ist das ein Erfolgsgeheimnis?
Ich kann meine Bilder nicht erklären. Die Menschen sollen meine Fotografien anschauen und sich ihre eigenen Gedanken machen. Mich reizt das Triviale, Erotische, Übertriebene. Kitschig finde ich ein Bild, wenn es zu gut ist, wenn es keine Fehler hat. Mir ist einfach wichtig, dass es nie langweilig wird. Gute Bilder sind doch solche, auf denen etwas passiert.
Sie arbeiten mit Superstars wie Cara Delevingne oder Tilda Swinton. Woher die Sehnsucht nach zeitloser Schönheit?
Schönheit ist in der Theorie schwierig, in der Praxis aber ganz einfach. Wenn Leute schön sind, gibt es auch schöne Fotos. Ich liebe bekannte Gesichter! Als ich jung war, habe ich mir in der Schulbibliothek schon die «Vogue» angeschaut. Leider ist es noch immer so, dass ich vor jedem Shooting vor Aufregung kaum schlafen kann. Aber ich will auch nicht zu viel wissen vorher. Denn das beste Resultat entsteht aus dem Moment heraus.
Faszinierend, dass Sie so wenig Bilder machen. Haben Sie nie Angst zu versagen?
Ständig. Aber wozu 100 Bilder vom selben Motiv schiessen? Schon den Gedanken, mich durch all die Fotos durcharbeiten zu müssen, finde ich schrecklich. Lange ging das gut, bis ich gebeten wurde, mehr Bilder zu schiessen. Das hab ich dann pro forma gemacht, obschon ich das perfekte Sujet längst im Kasten hatte. Ich arbeite am liebsten schnell und habe eine spontane, aber bestechend klare Idee im Kopf, wie ich ein Modell mit Schmuck, Stoff, einer Blume darstellen kann ohne einen Riesenaufwand und viel Chichi. Eine fröhliche Stimmung am Set ist auch immer hilfreich.
Sie feiern am 29. März Ihren 78. Geburtstag. Ist Ihre Schaffenskraft ungebrochen?
Eigentlich bin ich müde und ziemlich erschöpft. Je älter ich werde, desto schneller bin ich am Limit. Ich habe fast ein Jahr für das Buch gearbeitet und bin für die Promotion in viele Städte gereist. Trotzdem muss man mich noch lange nicht ins Heim einliefern. Ich mache meine Arbeit ja wirklich ausgesprochen gern und fühle mich auch geschmeichelt, das erleben zu dürfen.
Gelungener Spagat zwischen Modefotografie und Kunst.
Walter Pfeiffer / ©2023 ProLitteris, ZürichIhr Durchbruch kam erst, als die 60 überschritten war. Was lief zuvor schief?
Lange wurde ich «nur» als Grafiker und Illustrator wahrgenommen, nicht als Künstler – und schon gar nicht als Fotograf. Ich habe ja jedes Bild geblitzt. Das kam natürlich gar nicht gut an. Als mich plötzlich die weltbeste Künstleragentur aus New York anrief, fühlte ich mich wie neugeboren. Ich selber nahm mich immer als erfolgreich wahr, fand meine Arbeiten gut. Ich bin nie auf dem Zeitgeist rumgeritten. Habe meinen Stil in all den Jahren weder geändert, noch habe ich versucht, mich anzupassen.
Haben Sie darum bei jungen Leuten so ein cooles Image?
Ehrlich gesagt – darüber staune ich selber. Wahrscheinlich weil ich ein Fossil bin (lacht). Es ist schön, dass mein Stil eine Inspirationsquelle für junge Kunstschaffende ist. Ich bin lieber zeitlos unterwegs als zeitgemäss. Ich mag es nicht, wenns ‹hipsterlig› ist. Wer trendy sein will, hinkt dem Trend ja bereits wieder hinterher.
Wie kamen Sie eigentlich zur Fotografie?
Ach, sie war meine Rettung. Bevor ich damit anfing, gabs in meinem Leben als bekennender Schwuler viel Drama. Ich hatte oft Liebeskummer. Die Telefonseelsorge lief heiss. Durch das Zeichnen und das Fotografieren fand ich zu mir selbst. Ich kaufte eine kleine billige Polaroidkamera, mit der ich Freunde fotografierte, die mich faszinierten. Die Farben waren knallig und speckig – einfach toll. Heute wirkt alles so verschleiert, wie durch einen Filter.
Red Power: Walter Pfeiffers Modeshootings (hier für das Londoner Trend-Magazin «Dazed») sind vergnüglich, spielerisch, intensiv.
Walter Pfeiffer / ©2023 ProLitteris, ZürichWer ist Ihr Vorbild?
Ich komme aus der Kunstwelt und lasse mich hauptsächlich von Malern und Bildhauern inspirieren. Andy Warhol war mein absoluter Held. Ich hätte in jeder Quizshow gewonnen, weil ich fast alles über ihn wusste.
Wie sieht ein Tag im Leben von Walter Pfeiffer aus? Bunt, grau – oder ein Mix?
Kunterbunt. Man muss an seinen Vorhaben dranbleiben, ich habe jeden Tag zu tun. Gehe schwimmen, sofern es der Rücken zulässt. Liebe es, in meiner Zürcher Wohnung zu kochen. Nur gesundes Zeugs: Gemüse, Kartoffeln, Hirse, Risotto. Nicht aus biologischen Gründen, sondern weil meine Mutter eine brillante Köchin war. Komplizierte Sachen traue ich mir drum gar nicht erst zu.
Was bringt Sie auf die Palme?
Unehrlichkeit. Unprofessionalität. Menschen, auf die man sich nicht verlassen kann. Ungerechtigkeit macht mich nervös. Dann beginne ich am ganzen Körper zu zittern.
Mögen Sie sich, so wie Sie sind?
Mein Wohlbefinden könnte besser sein. Ich habe Hunderte Berge bestiegen, Wandern war meine Leidenschaft. Alles vorbei. Es ist emotional schmerzhaft, das zu akzeptieren.
«Still life» à la Walti, exklusiv für die Schweizer Illustrierte.
Walter Pfeiffer / ©2023 ProLitteris, ZürichGibt es etwas, was Sie im Leben rückblickend anders gemacht hätten?
Kaum. Man kann nichts erzwingen. Hätte ich mit meinem Lohn ein Hüsli im Tessin gekauft, wäre ich bequem geworden. Gern hätte ich mir mehr zugetraut und Andy Warhol während meiner Zeit in New York zum Beispiel mein erstes Buch gezeigt. Ich bin nicht bis zu ihm durchgedrungen.
Unglaublich, in wie vielen internationalen Museen Sie in den letzten Jahren vertreten waren! Fühlen Sie sich geschätzt?
Früher nicht so. Heute bin ich zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Jemand hat mal geschrieben: Pfeiffer wird immer älter, nur seine Modelle bleiben jung. Yes! Ich habe noch jeden Tag Anfragen. Meine Lebenszeit will ich nicht mit unsinnigem Zeugs verplempern. Nur mit Sachen, die mir Spass machen. Es ist wie beim Heuen, bevor der Regen kommt: Ich muss schauen, dass ich noch so viel wie möglich ins Trockene krieg
Walter trägt Hut Bucket «Hairy Melousine» von RISA, Brille EMMANUELLE KHANH von Optiker Zwicker, Pullover DRIES VAN NOTEN von TASONI, Hose DRIES VAN NOTEN von TASONI, Mantel MASSIMO ALBA von TASONI. Styling & Produktion Susanne Märki; Hair Mustafa / Coiffeur Dilo.
Mailand, Paris, Berlin: Mit seinen 77 Jahren ist der in Zürich lebende Pfeiffer gefragt wie nie. Der Tausendsassa versteht es, sich in Szene zu setzen!
Matthieu Croizier