Europameistertitel. Persönliche Bestleistung. Egalisierung des Schweizer Outdoor-Rekords im Stabhochsprung. Angelica Moser (26) schreibt ihr ganz persönliches Sommermärchen in der Ewigen Stadt. Als sie am Montagabend im Stabhochsprung-Final der Leichtathletik-EM in Rom die Latte auf 4,78 Meter legen lässt, weiss sie, es geht um nichts weniger als den besten Wettkampfsprung ihrer bisherigen Karriere. Sie weiss aber auch: Sie kann es.
«Ich hatte keine andere Wahl», erzählt die Zürcherin aus Andelfingen nach ihrem Coup. 4,68 Meter hat sie schon übersprungen. Damit ist ihr die Bronzemedaille sicher. Auch die nächste Höhe über 4,73 Meter hätte den dritten Platz bedeutet. «Es spielte für mich keine Rolle, mit welcher Höhe ich Bronze hole», erklärt Angelica Moser. Für Silber oder Gold muss sie höher springen. «Also dachten Trainer Adrian Rothenbühler und ich, wir riskieren die 4, 78 Meter.» Es klappt im ersten Versuch. «Als ich drüber war, spürte ich einfach nur Freude», erzählt sie. Ohne Gedanken an die Medaille.
Ihre beiden im Wettkampf verbliebenen Konkurrentinnen, die Griechin Katerina Stefanidi und die Britin Molly Caudery, scheitern an Mosers Höhe. Das bedeutet Gold für die Schweizerin. Auf der Tribüne jubelt nicht nur ihr Trainer, sondern auch ihre Eltern Monika und Severin Moser, beide selbst einst Spitzenleichtathleten. Und auch ihr Freund, der Eishockeyspieler Kevin Bozon, der für den HC Ajoie in der NLA und für die französische Nationalmannschaft stürmt. Dessen Eltern sitzen ebenfalls im Stadio Olimpico in Rom, Vater Philippe, eine französische Eishockeylegende (aktuell französischer Nationaltrainer) und Mama Hélène, eine ehemalige Skirennfahrerin.
«Es ist das erste Mal, dass wir einen wichtigen Wettkampf mit beiden Familien gesehen haben. Das war sehr schön und für Angelica sicherlich eine gute Unterstützung», erzählt Kevin Bozon am Tag nach dem Gold-Wettkampf. «Es war unglaublich, diese Emotionen und diese Spannung mitzuerleben und solche Momente mit Angelica zu teilen. Sie hat hart gearbeitet und sich diese Goldmedaille absolut verdient.»
Nervös nach verpatztem Anfang
«Sehr stolz» ist auch Mami Monika Moser, wie sie der Schweizer Illustrierten erzählt. «Dass sie am Anfang zweimal gepatzt hat, war für mich wohl schlimmer als für sie.» Auch wenn sie versuche, die Wettkämpfe locker zu nehmen, nervös sei sie schon, gibt die ehemalige Siebenkämpferin und Hürdenläuferin zu.
Die Heldin selbst ist etwas müde. Die Nächte seit dem Triumph waren kurz. Ebenso die freie Zeit in Rom. Am Tag nach dem Erfolg kann Angelica Moser gemeinsam mit ihrem Freund kurz die Stadt entdecken, das römische Flair aufsaugen. Nach der Medaillenfeier rund 24 Stunden nach dem Triumph will Angelica Moser unbedingt noch im Stadion bleiben und den Final über 200 Meter mit Kollegin Mujinga Kambundji schauen, die ebenfalls zu EM-Gold läuft.
Nächstes Ziel: Olympia
Am nächsten Morgen früh geht es zurück in die Heimat. Die Athletin freut sich über den kleinen Empfang am Flughafen. Trainingskolleginnen, Sponsoren und ein paar Journalisten holen die Heimkehrerin ab. Noch ein freier Tag bleibt, bevor es mit dem Training weitergeht. «Den brauche ich zum Wäschewaschen und Auspacken», scherzt Moser. «Und ich brauche ein bisschen Ruhe und Erholung.»
Der Höhepunkt der Wettkampfsaison steht ja erst noch bevor: die Olympischen Spiele in Paris. Mit dem EM-Titel und den übersprungenen 4,78 Metern hat sie ein Zeichen gesetzt. Sie weiss aber auch: Diese Höhe wird in Paris wahrscheinlich nicht für eine Medaille reichen. Doch sie ist überzeugt, dass sie noch höher springen kann. «Mein nächstes Ziel sind 4,80 Meter.»
Auch in Paris darf sie auf die Unterstützung ihrer Eltern zählen, wenn sie erneut alles gibt, um ihr persönliches Sommermärchen in die Verlängerung zu bringen. Freund Kevin Bozon kann nicht nach Paris reisen. Aber: «Ich werde ihr grösster Fan vor dem Fernseher sein.»