Die grössten Schätze sind oft auf den ersten Blick gar nicht erkennbar. Markus B. Komminoth sitzt auf einem Felsvorsprung hoch über dem Tal und dreht einen unscheinbaren schwarzen Stein in der Hand. «15 Millionen Jahre ohne einen Tropfen Wasser – darum ist er ziemlich dreckig.» Doch für sein geschultes Auge blitzt hier etwas auf – ein Hoffnungsschimmer. «Das könnte ein guter sein», sagt er mit einem Lächeln.
An diesem Tag ist der 55-Jährige zu seiner Kluft 30 Minuten oberhalb des Glaspasses in Graubünden hochgelaufen. Diese Felsspalte bearbeitet er schon seit mehreren Jahren – mit Hammer, Meissel, Spitzeisen, Geduld und Bauchgefühl. «Ich habe zwei Jahre nur freigelegt, bis der Schutt weg war. Dann kam ich an eine Stelle, wo der Quarz ursprünglich ist.» Die Kluft ist markiert: Seine Initialen, das Datum des ersten Fundes. Eine unausgesprochene Regel unter Strahlern gilt: Hier ist alles im Umkreis von zehn Metern für die anderen tabu.
Seit 15 Jahren ist der Kristallrausch Teil seines Lebens. «Es ist wirklich eine Sucht», sagt der Bündner. Von April bis Oktober ist er an vier bis fünf Tagen in der Woche unterwegs, immer im gleichen Revier: rund um den Piz Beverin, ein Berg inmitten des Kantons, fast 3000 Meter über Meer. «Der Beverin ist ein riesiger Schieferhaufen – darum auch gefährlich.» Im Winter reinigt Komminoth seine Schätze akribisch zu Hause im Keller mit der Zahnbürste – erst dann zeigt sich die ganze Schönheit der Steine. «Ich strahle zweimal: einmal, wenn ich etwas finde. Und das zweite Mal, wenn ich es reinige», sagt er. «Im Winter aber habe ich schon manchmal Entzugserscheinungen.»
Er strahlt immer zweimal – in der Kluft und im Keller mit der Zahnbürste.
Kurt ReichenbachEin Kristall im Hosensack
Komminoth sieht aus wie ein Bergler aus dem Bilderbuch: etwas hager, sonnengebräunt und zurückhaltend. Aufgewachsen ist er in Maienfeld GR, schon als Kind hob er fast jeden Stein auf und studierte ihn. Nach einer Ausbildung zum Hochbauzeichner lebte er ein Jahr in England, der Heimat seiner Mutter. Später zog er nach Zürich, arbeitete für das Bundesamt für Energie beim Eidgenössischen Rohrleitungsinspektorat. Doch sein Herz schlägt für die Berge. 2009 zieht es ihn zurück – endgültig. Mit seiner Frau Vera und der gemeinsamen Tochter Noreen baut er ein Haus in Flerden, am Fusse des Piz Beverin. Seither stets in seinem Hosensack: einer der ersten Kristalle, die er hier gefunden hat, eingewickelt in ein Taschentuch.
Manchmal läuft der Strahler drei Stunden, bis er eine geeignete Kluft erreicht.
Kurt ReichenbachHeute lebt Komminoth als einer von rund einem Dutzend Berufsstrahlern in der Schweiz. Seine Funde sind zwischen zehn und ein paar Tausend Franken wert. Zu viel über Geld mag er aber nicht reden. «Ich habe gute Kontakte zu Sammlern, Museen, Stiftungen. Aber dass es reicht, liegt auch daran, dass meine Frau als Apothekerin arbeitet – und ich mit meiner Kunst ein zweites Standbein habe.» Zudem bietet er Tagestouren an.
Oben an seiner Kluft zeigt Komminoth auf die vertikalen Linien an der Wand. «Solche Quarzbänder sind immer ein gutes Zeichen für Kristalle.» Er trägt einen Helm mit Stirnlampe und schnallt sich die Knieschoner um. Dann legt er sich flach hin, robbt kopfvoran in ein schmales Loch. Nach wenigen Sekunden ragen einzig noch seine Beine aus der Felsritze. In der Schweiz darf in der Regel nur von Hand gegraben werden – ohne Maschinen, ohne Sprengstoff. Es ist Knochenarbeit. «Psychisch und physisch muss man topfit sein», sagt er später. «Drei Stunden morgens hingehen, acht Stunden spitzen und abends wieder drei Stunden zurück. Das ist ein guter Tag.»
Je abgelegener eine Kluft, desto grösser die Chance, dass sie noch unentdeckt ist. Doch das birgt auch Gefahren. «Ich bin oft an exponierten Stellen unterwegs, weit abseits der Wanderwege, über steilen Abhängen. Dahin würde ich niemanden mitnehmen.» Fast jährlich verunglückt ein Strahler in den Schweizer Alpen. Bis jetzt ist ihm selber zum Glück nichts passiert. Doch einen Freund hat er in den Bergen verloren. «Man darf nicht zu viel nachdenken. Ich muss mich auf meine Fähigkeiten verlassen.»
Millionen von Jahren
Was ist das eigentlich, diese Faszination für Kristalle? Ein Bergkristall entsteht tief im Innern der Alpen. Dort zirkuliert heisses Wasser mit gelöstem Quarz durch das Gestein. Kühlt diese Lösung langsam ab, beginnen sich Kristalle zu bilden. Rund 2000 Jahre braucht ein Kristall, um einen Millimeter zu wachsen. So entstehen über Jahrtausende diese faszinierenden Schätze – je reiner und formvollendeter, desto wertvoller. «Ich finde: Jeder Kristall hat seine eigene Seele. Auch ein kleiner Splitter kann ein Schatz sein.»
Er giesst Kristallspitzen in Beton ein (vorne) und zeichnet abstrakte Reben (hinten). Die Kunst von Markus B. Komminoth ist vielfältig.
Kurt ReichenbachDer strahlende Künstler
In der Brust von Markus B. Komminoth schlagen zwei Herzen: eines für die Kristalle, das andere für die Kunst. In seinem Atelier zu Hause kennt er keine Grenzen – er malt fotorealistische Porträts ebenso wie abstrakte Bilder von Weinreben. Und er verarbeitet in seinen Werken alles, was ihm im Alltag begegnet: Kristalle, ja – aber auch etwa Eierschalen und Abfall. «Ich nehme, was ich finde – die Natur ist mein Fundus.»
Alles, was er im Alltag findet, wird Kunst. Ein Werk aus angenagten Tannenzapfen.
Kurt ReichenbachDie Spitzen mancher Kristalle giesst er in Beton ein und rahmt sie wie kleine Monumente. Andere Werke erzählen Geschichten aus der Natur: geometrisch angeordnete Tannenzapfen, die von Eichhörnchen abgenagt wurden, oder Hasenkot-Kügelchen, die er vergoldet hat, in perfekter Symmetrie auf Leinwand platziert.
Und genau das ist vielleicht die grösste Kunst von Markus B. Komminoth: «Nicht jeder Schatz funkelt – aber das macht ihn nicht weniger wertvoll.»