Ihre Stimme ist so kräftig wie ihr Händedruck. Als Rahel Blocher, 45, das Cafi Holzofen in Wollerau SZ betritt, füllt ihr «Grüezi» den Raum. Früher habe sie gesungen, Panflöte und Klavier gespielt, «doch die Stimme war zu wenig gut fürs Solo, und die Finger waren zu kurz fürs Klavier». Darum studierte das jüngste der vier Kinder von Christoph Blocher Wirtschaftswissenschaften, wobei sie sich lieber als Buchhalterin bezeichnet.
Heute führt sie die Geschäfte der Beratungsfirma Robinvest ihres Vaters und betreut die Stiftung der Musikinsel Rheinau. Als Aktionärin bei der EMS-Chemie gehört sie zu den reichsten Frauen der Welt.
Im «Holzofen» ist Blocher, die im Nachbarsdorf Wilen lebt, Stammgast. «Am Sonntag gehe ich hier gern ausgiebig brunchen – inklusive süssem Dessert», sagt sie schmunzelnd. Das Cafi mit der 80-Jahre-Einrichtung sei für sie ein Nostalgieort. Da wären zum einen die Tischsets aus Papier mit Büsi- Aufdruck, die sie an die Skiferien mit der Familie in Mürren BE erinnern. Zum anderen gibt es hier Pancakes. «Die kochte meine Mutter früher oft zum Zmittag – inspiriert von ihrem Austauschjahr in den USA.»
Im Gegensatz zu ihren prominenten Schwestern – EMS-Chemie-Chefin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo, 52, und Läckerli-Huus-Besitzerin Miriam Baumann, 46, – trat Rahel Blocher bisher nie öffentlich in Erscheinung.
Nun wagt sie diesen Schritt, weil es ihr wegen der Coronapolitik des Bundesrats «den Deckel lüpfte».«Spätestens als eine Angestellte auf der Post mich als unsolidarisch schimpfte, weil ich den Flyer zur Contract-Tracing-App dankend ablehnte, wusste ich: Hier läuft etwas gehörig schief.» Statt zu Hause die App runterzuladen, unterschreibt sie das Referendum zum ersten Covid-Gesetz. Nun kämpft sie als Aushängeschild des Vereins Gesund und frei gegen die revidierte Vorlage.
Die letzten zwei Jahre waren für die kontaktfreudige Junggesellin, die mit ihrem Kater Charlie in einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung in einem unscheinbaren Wohnblock lebt, nicht immer einfach. Vor dem Lockdown geht sie regelmässig an Konzerte («von Blues bis Rock, ich mag alles») und schwingt einmal pro Woche ihre Hüften im Bauchtanz («das macht auch Sportfaulen wie mir Spass»).
Doch plötzlich fiel das alles weg. «Weil ich ausserdem selten Freunde zu mir einlade, war ich manchmal etwas einsam.» Geholfen habe ihr der tägliche Spaziergang mit Nachbarin Felicia Bartsch, 55, und deren jungen Chow-Chow-Hunden Ella und Dunja. Was im Lockdown begann, ist zu einem festen Ritual der beiden geworden. «Rahel ist authentisch und hat viel Humor. Zudem kann ich mit ihr über alles reden», sagt Felicia Bartsch.
Ein enges Verhältnis pflegt Rahel Blocher auch zu ihren Schwestern. Mit der zweitjüngsten Miriam zieht Rahel, die mehrere Jahre bei der Clariant in Basel arbeitete, gern an der Fasnacht um die Häuser. «Magda» wiederum gebe ihr wichtige Ratschläge, «wie etwa bei den Journalisten die Zitate gegenzulesen».
Am Familientisch sei sie jeweils die Ruhigste, erzählt Rahel Blocher – auch wenn es schwerfällt, das zu glauben. «Wir haben alle Temperament, darum fliegen auch mal die Fetzen.» Und was sie von klein auf lernte: «Bei uns durfte man immer alles kritisch hinterfragen.»
Genau diese kritische Auseinandersetzung fehlt der parteilosen Blocher beim Covid-Gesetz. «Jene, die dagegen sind, werden sofort als Verschwörungstheoretiker oder Extremisten abgestempelt!» Dabei habe sie sich früh mit Moderna impfen lassen. «Ich will selber kein Corona.» Sie lasse sich auch jedes Jahr gegen die Grippe impfen. «Beides sind Entscheide, die ich für mich privat treffe.»
Mit dem Zertifikat zwinge der Bundesrat hingegen die Leute auf Biegen und Brechen zum Impfen – und dies obwohl noch vieles unklar sei, wie etwa die Entwicklung bei den Impfdurchbrüchen. «Und warum müssen laut Bundesrat Alain Berset bei den über 80-Jährigen willkürliche 93 Prozent geimpft sein?»
Es mute an, als ob ältere Menschen zwar sterben dürfen, aber ja nicht an Corona. Ihre Lösung, um die Pandemie einzudämmen? «Früher oder später werden sich die meisten angesteckt haben – bei jenen mit der Impfung ist laut heutiger Erkenntnis einfach der Verlauf schwächer.»
Eigentlich wollte Rahel Blocher im Verein Gesund und frei im Hintergrund agieren. «Doch ich merkte schnell: Mit meinem Namen kann ich helfen.» Präsident des Komitees ist Arzt und Medtech-Unternehmer Stephan Rietiker, weitere Mitglieder sind Ökonom Martin Janssen oder Henrique Schneider vom Gewerbeverband. Bei den Unterstützern fällt Daniel Model auf. Der Unternehmer sorgte 2006 für Schlagzeilen, weil er im Thurgau seinen eigenen Staat gründete und die Demokratie verteufelt.
Dies stört Rahel Blocher ebenso wenig, wie dass die Freiheitstrychler mit ihren umstrittenen Demos die Nein-Kampagne prägen. «Ich denke da an Mani Matters Lied ‹Mir hei e Verein›.» Es gibt immer Leute, die nicht die gleichen Ansichten vertreten. Aber es geht hier um die gemeinsame Sache!» Rahel Blocher gibt unumwunden zu, dass sie selbst staatskritisch ist. «Die in Bern sind auch nur Menschen, warum sollte ich denen alles glauben?»
Obwohl das Vermögen der Jüngsten im Blocher-Clan laut Bloomberg-Index geschätzte 8,5 Milliarden Dollar beträgt, sind ihr Statussymbole nicht wichtig. «Ich besitze wahrscheinlich mehr als 50 Paar Schuhe – doch diese kaufe ich bei Gabor und nicht bei Gucci.» Ihre Armbanduhr von Claude Bernard kostet 250 Franken, ins Büro nach Herrliberg fährt sie mit ihrem Toyota Prius. «Mein Luxus ist am Wochenende bis am Mittag ausschlafen.» Oder die Lektüre englischer Kuschelkrimis, die sie stapelweise auf Amazon bestellt. «Da gibts nur einen Toten, dafür viel Geschichte drumrum.»
Was sie sich gönnen möchte: eine Kreuzfahrt von Alaska nach Grönland – und dies, obwohl sie seekrank wird. «Ich machte in dieser Region schon mal eine Schiffsreise und war so beeindruckt von der Natur und den Dörfern in der Einöde.» Dass mit einem Nein zum Covid-Gesetz Ferien im Ausland erheblich erschwert werden, glaube sie nur bedingt. «Zudem ist es in der Schweiz ja auch schön.» So oder so ist für Rahel Blocher klar: Nach dieser Abstimmung zieht sie sich aus dem Scheinwerferlicht zurück.