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Demokratie-Talk mit Martin Candinas

«Irgendwann ist fertig diskutiert»

175 Jahre Bundesverfassung! Der Nationalratspräsident spricht im nicht allzu ernst gemeinten Talk über Demokratie – und ein bisschen drumherum.

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Martin Candinas, Mitte-GR, erster Vizepraesident des Nationalrats, posiert fuer ein Portrait nach der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Freitag, 30. September 2022 im Nationalrat in Bern. Martin Candinas wird voraussichtlich am ersten Tag der Wintersession von den Mitgliedern der Grossen Kammer zu ihrem Praesident fuer ein Jahr gewaehlt. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Martin Candinas (42) ist seit 2011 für Die Mitte im Nationalrat. Der Bündner lebt mit seiner Frau und den drei Kindern in Chur.

Keystone

Martin Candinas, was entscheiden Sie daheim demokratisch?
Wenn es am Wochenende ums Kochen oder auswärts essen geht, stimmen wir regelmässig ab und dies mit wechselnden Mehrheiten.

Bei welchem Thema sind Sie stets in der Minderheit?
Bei Fragen rund ums «Gamen» und Fernsehschauen, bin ich stets in der Minderheit. Man meint ich sei zu restriktiv und konservativ.

Wann haben Sie das letzte Mal etwas diktatorisch entschieden?
Vor kurzem wollte ich „Gritli“ meine Patenziege, die ich zu meiner Wahl als Nationalratspräsident erhalten habe, besuchen. Der «diktatorische» Entscheid erwies sich im Nachhinein als richtig. Alle waren happy!

In welcher Situation macht Demokratie in Ihrem Leben keinen Sinn?
Demokratie macht, ausgenommen von erzieherischen und von gewissen finanziellen Fragen in der Familie, immer Sinn. Es gibt aber Momente, in denen ich mit der Demokratie zufriedener bin und Momente, in denen ich auch gewisse Zweifel habe. Trotzdem wissen wir alle, dass die Demokratie für Frieden, Solidarität und Stabilität im Kleinen sowie im Grossen zentral ist.

Wie würde Ihre eigene Partei heissen?
Der Name der Partei ist nicht entscheidend, sondern der Inhalt. Ich bin überzeugter denn je, dass ich in der Mitte-Partei am richtigen Ort bin.

«Ich bin zufrieden mit der Macht, die ich habe.»

Martin Candinas

Welche Wahl lag Ihnen am Herzen?
Jede Wahl, an der ich beteiligt war, lag mir am Herzen. Die schönste Wahl war jene zum Nationalratspräsidenten im letzten Jahr. Die überraschende Wahl war als ich mit 31 Jahren in den Nationalrat. Diese hat mich stark geprägt. Und langsam, aber sicher, liegt mir die Wiederwahl im Herbst besonders am Herzen.

Was würden Sie per sofort in der Bundesverfassung verankern?
Als Nationalratspräsident halte ich mich politisch stark zurück. Trotzdem ist es wohl kein Geheimnis, dass ich einen griffigen Artikel zum Umgang mit Grossraubtieren verankern und dafür den Artikel zu den Einschränkungen beim Zweitwohnungsbau streichen würde.

Wo sind Sie Durchschnittsschweizer?
Ich versuche zuverlässig, gewissenhaft, arbeitsam, korrekt, genau und nicht auffällig zu sein. Die typischen Schweizer Werte sind mir wichtig. Ich bin gerne ein Durchschnittsschweizer.

Hand aufs Herz: Wo liegen bei Ihnen die Grenzen von Demokratie und Diplomatie?
In der Demokratie gehört die Diplomatie automatisch, sogar in der Familie. Sie soll helfen, mehrheitsfähige Lösungen zu entwickeln und Probleme zu lösen. Sie hat aber Grenzen. Irgendwann ist fertig diskutiert und es braucht einen Entscheid oder man muss sich eingestehen, dass eine Lösung nicht möglich ist. Da ich nicht die geduldigste Person bin, wünsche ich mir manchmal allerdings mehr Demokratie mit Tempo.

Worin hätten Sie gerne mehr Macht?
Macht heisst Verantwortung, Kritik und oft auch Einschränkungen bei der eigenen Freiheit. Das muss man wollen. Ich bin zufrieden mit der Macht, die ich habe.

Was würden Sie per sofort demokratisieren?
Am liebsten möglichst die ganze Welt. Die Demokratie gerät in immer mehr Ländern unter Druck. Das macht mir persönlich Sorgen. Kämpfen wir gemeinsam für mehr Demokratie in der Welt und pflegen wir mit Respekt unsere demokratischen Institutionen, unsere politische Kultur und dabei vor allem die direkte Demokratie in der Schweiz.

Von Lynn Scheurer am 14. April 2023 - 11:59 Uhr