Tiana Angelina Moser, Sie haben vier Kinder, das älteste ist zwölf. Würden Sie sie impfen?
Ja. Die Impfung ist ab zwölf Jahren zugelassen. Meine drei anderen Kinder sind zehn, neun und zweieinhalb. Bei meinen drei schulpflichtigen Kindern machen sie das Pooltesting. Das funktioniert recht gut. Die Kleine ist in der Pandemie aufgewachsen und hat noch gar nie gelernt, jemandem die Hand zu geben. Die Maske hat für sie ein spielerisches Element.
Diskutiert wird jetzt eine Impfpflicht, Nachbarländer wollen sie einführen.
Dass das Impfen ein zentraler Weg aus der Krise ist, ist unbestritten. Jedes Spital bestätigt, dass die Intensivstationen vor allem von Ungeimpften belegt sind. Aber: Eine Impfpflicht geht sehr weit. Es geht um den eigenen Körper. Ich bin klar fürs Impfen und betrachte es als solidarischen Akt zur Bewältigung der Pandemie. Es geht um den Eigenschutz und die Solidarität.
Also sind Sie für die Impfpflicht?
Ein Impfzwang würde die Spaltung weiter anheizen. Das wäre verheerend für unser Land. Wir sehen, was die Pandemie und die notwendigen Massnahmen mit unserer Bevölkerung machen, wie aggressiv und unerbittlich die Diskussionen geführt werden – öffentlich, aber auch im Privaten. Ich erlebe das selbst tagtäglich. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Pandemie die Gesellschaft weiter auseinandertreibt. Wir müssen bald wieder zu einer Normalisierung zurückfinden. Dafür braucht es einen respektvollen Umgang. Wir dürfen nicht abschliessend verurteilen, es gibt immer Gründe für Einzelne, die wir akzeptieren, aber nicht verstehen können und müssen. Das ist zentral für unseren demokratischen Zusammenhalt.
In einer Krise ist das Vertrauen in die Regierung und die Institutionen matchentscheidend. Vertrauen Sie dem Bundesrat?
Die Grünliberalen hatten bei Corona stets eine wissenschaftsnahe Haltung und stützen den Bundesrat. Natürlich läuft nicht alles perfekt. Eine gewisse Grundskepsis gegenüber dem Staat ist auch nicht falsch. Aber in der Krise liegt die Hauptverantwortung bei der Regierung. Zurzeit sind die Grünliberalen auf Erfolgs- kurs: Im Kanton Aargau und im Kanton Bern verbuchen sie grosse Sitzgewinne. Die etablierten Parteien fahren einen konservativen Kurs und haben bei grünen und ökologischen Themen wenig Rezepte. Da füllen wir eine politische Lücke. Wir haben in den letzten Jahren aber auch sehr viel Aufbauarbeit geleistet. Bei unserer Gründung hat man ja immer behauptet, wir seien nur ein Label und ein paar Köpfe. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Im bernischen Konolfingen etwa konnten wir soeben 24 Prozent Wähleranteil erreichen, im Aargau haben wir mehr als jede andere Partei dazugewonnen. Wir haben teilweise auch mehr Mandate in den grösseren Gemeinden als die Grünen. Das zeigt: Wir haben Leute, mit denen sich die Menschen identifizieren. Hilfreich ist auch, dass die SP zunehmend nach links driftet und ideologische Positionen einnimmt und die FDP mit ihrem neuen Präsidenten sicher eher nach rechts rutschen wird. Liberale Wählerinnen und Wähler, die ein ökologisches Bewusstsein haben und für eine europapolitische Offenheit sind, haben es schwer bei der FDP.
Tiana Angelina Moser lebt in einer Patchworkfamilie mit dem Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer.
Kurt ReichenbachSie können also gar nicht verlieren, weil Sie so schön in der Mitte sind?
Die politische Konkurrenz macht es uns sicher nicht schwer. Das Wegdriften der Parteien aus der politischen Mitte erleichtert uns das Leben. Aber das reicht natürlich nicht, es braucht eine glaubwürdige Politik und gute Köpfe.
Es ist doch einfach bequem, grünliberal zu sein …
Wenn ich die politische Arbeit anschaue, haben wir eher die schwierigste Rolle. Die Pole links und rechts können einfach dafür oder dagegen sein, wir aber wollen Sachpolitik machen und Lösungen finden. Das erfordert mehr Arbeit, als einfach auf einer Haltung zu beharren. In der Klimapolitik brauchts dringend Antworten, um die Dinge zu Boden zu bringen. Mit dem CO2-Gesetz sind wir leider gescheitert, aber in Zürich ist das Energiegesetz angenommen worden.
In Deutschland regieren die Grünen nun mit. Hat die Spaltung von Grünen und Grünliberalen in der Schweiz nicht geschadet? Zusammen wärt Ihr mit 25 Prozent längst im Bundesrat.
Wir sind nur darum so erfolgreich, weil wir nicht eine einzige Partei sind. Mit zwei Parteien holen wir mehr Stimmen ab: Denn wir Grünliberalen können auch in die bürgerliche Mitte hinein erfolgreich sein, wir machen anders Politik als die Grünen. Für die Umwelt und die Ökologie ist es besser so.
Wie haben Sie als junge Frau gewählt, bevor es die Grünliberalen gab?
Ich komme aus einem bürgerlichen Umfeld, bin auf dem Land in Weisslingen oder «Wislig», wie wir sagen, aufgewachsen, einer totalen SVP-Hochburg im Zürcher Oberland. Meine Eltern wählten CVP oder FDP. Ich habe meine Listen jeweils selber zusammengestellt und nicht einfach eine Parteiliste eingeworfen.
Sie haben also auch SVP gewählt?
Nein, die SVP Zürich ist schwierig.
«Natürlich ist der Bundesrat demokratisch gewählt, aber 30 Prozent sind in der Regierung nicht vertreten.»
Eine Blockade herrscht in der Europapolitik. Sie waren als einzige Partei für das Rahmenabkommen. Wie gehts weiter?
Die europäischen Länder und die EU sind unsere engsten Partner, und die Beziehung ist massiv belastet. Das ist wie beim Klimawandel: Es gibt eine schrittweise Erosion. Der Bundesrat sollte vorangehen, aber er hat keine Strategie. Jeder Tag, den man abwartet, schadet unserem Land. Das Schlimme und Traurige ist: Der Bundesrat hat den Entscheid zum Abbruch der Verhandlungen nicht im Interesse des Landes gefällt. Es war ein rein parteipolitisches Kalkül. Ich erwarte von einer Regierung, dass sie Parteipolitik hinten anstellt. Beim Thema Europa hat der Bundesrat keinen guten Leistungsausweis. Der Entscheid war nicht demokratisch legitimiert. Wir können über Kuhhörner entscheiden, aber in dieser wichtigen Frage wurden weder die Kantone noch das Parlament, noch die Bevölkerung befragt.
Auch die Gegner der Pandemiemassnahmen sagen, der Bundesrat sei undemokratisch.
Das ist wohl kaum vergleichbar. Ich kritisiere den Bundesrat nicht in allen Dossiers. Was wichtig ist: Natürlich ist der Bundesrat demokratisch gewählt, aber rund 30 Prozent der Wählenden sind in der Regierung nicht vertreten. Das ist nicht gut.