Die Brücke ist das Markenzeichen von La Punt Chamues-ch. Sie gab dem Dorf am Fuss des Albulapasses seinen Namen und ziert das gold-schwarze Wappen der Bündner Gemeinde. Und sie verbindet die zwei Ortsteile des einzigen Dorfes im Engadin, das sich über beide Uferseiten des Inn erstreckt.
Der heimliche König
Was aber die Menschen verbindet, die hier leben, sind die Vereine. «Sie machen unser intaktes und interessantes Dorfleben aus», sagt Urs Niederegger, 61. Auch der Gemeindeschreiber ist einer, der verbindet. Er gehört zu den dienstältesten Gemeindeschreibern des Kantons, schaltet und waltet seit über 40 Jahren und kennt sein Dorf wie kein anderer. Die Zeitung «Südostschweiz» betitelte ihn als CEO vom Dorf, und für die «Engadiner Post» ist er gar der heimliche König. Wohl nicht ohne Grund: Fünf Gemeindepräsidenten hat er bereits überdauert.
Urs Niederegger macht sich für das Vereinsleben seiner Heimat stark! Er ist nicht nur Mitglied in sechs der elf Dorfvereine, er ist auch Präsident von dreien. In den 90er-Jahren gründete er den Club 92 Engiadina, der Veranstaltungen organisiert oder La Punt schon mal als Etappenort für die Tour de Suisse vorbereitet. Letztes Jahr gründete er den Verein Club der Zigarren- und Whiskyfreunde Oberengadin. «Ich bin halt ein Lebemann», sagt Niederegger und lacht.
Im Kellerraum
Er setzte sich dafür ein, dass der Jassclub auch während der Corona-Zeit Turniere veranstalten durfte und dass der Jugendverein einen Raum im Gemeindehaus bekommen hat. «Die Jungen brauchen doch etwas, wo sie hinkönnen.» Im Kellerraum mit sieben Sofas und einem mit Calanda-Bier gefüllten Kühlschrank organisiert die Giuventüna La Punt Chamues-ch LPY unter anderem den 1.-August-Brunch für das ganze Dorf oder den traditionellen Ball am Chalandamarz.
Etwas älter sind die Mitglieder des Vereins Muos-cheders. Von den sieben Freunden des Fliegenbindens und Fliegenfischens sind zwei noch nicht pensioniert. «Und dabei wird Fliegenbinden schwieriger, je älter man ist», sagt Präsident Rico Niederegger. Er ist der ältere Bruder des umtriebigen Gemeindeschreibers.
Auf dem Skilift des Dorfes lernte Olympiasieger Sandro Viletta, 35, Ski fahren – und hier gründete er den Skiclub. Und zwar aus praktischen Gründen: damit er unter dem Namen seiner Gemeinde antreten durfte. Heute präsidiert sein Vater Claudio Viletta den Club. «Als Sandro 2014 Gold in Sotschi holte, gabs einen Boom an neuen Mitgliedern.» Heute sind es 73 – darunter natürlich auch der Gemeindeschreiber.
Niederegger ist auch sportlich unterwegs mit dem Curling Club. «Im Winter haben wir hier zwei Monate Natureis, wunderbar», sagt Vladimir Prochaska. Der gebürtige Tscheche kam vor 14 Jahren ins Engadin, ist heute Materialchef beim Club. Von Dezember bis Februar findet fast täglich irgendwo in der Region ein Turnier statt. «Und das Beste», sagt Prochaska, «man gewinnt immer. Wenn nicht das Turnier, dann wenigstens den Apéro.»
Etwas untypisch ist das Jodelchörli – Co-Präsidentin Lydia Mehli hat weder einen Bündner Dialekt, noch trägt sie eine Bündner Tracht. «Ich bin eine Dazugeheiratete», sagt sie und lacht. Aber sie ist nicht die einzige. Die Frauen des Chörli tragen jeweils die Trachten aus ihrer Heimat – Mehli eine aus dem Wallis. So kommts, dass neben der Bündner Tracht auch solche aus Freiburg, Bern und Aargau ihren Auftritt haben, wenn das Chörli aus dem Engadin auf der Bühne steht.
Einen lautstarken Auftritt bieten auch die Alfisti, der heimische Alfa Romeo Club. Die 18 Mitglieder sind allesamt grosse Fans und Besitzer eines Autos der italienischen Automarke.
In La Punt-Chamues-ch findet sich für jeden Geschmack der richtige Verein – oder gleich mehrere. Damit das Vereinsleben weiterhin so aktiv und vielfältig bleibt, schenkt die Gemeinde jedem neuen Verein 500 Franken zur Gründung, und jedes weitere Jahr gibts 300 Franken obendrauf.
Schweizer Dorf des Jahres
La Punt Chamues-ch ist aus gutem Grund von den Leserinnen und Lesern der SI, der «L’illustré» und des «Corriere del Ticino» zum «Schweizer Dorf des Jahres 2021» gewählt worden. «Ich bin stolz auf den Zusammenhalt hier im Dorf», sagt Gemeindeschreiber Urs Niederegger – er trägt selber viel dazu bei.