Chömed, husch, chömed.» Marcel Dettling (42) schüttelt den Topf mit Futter, um seine Schafe von der stotzigen Wiese in den Stall zu locken.
Vom Umgang mit Tieren könne man lernen, sagt der SVP-Wahlkampfchef: «Wenn ich auf der Alp nicht zielstrebig vorangehe, gibts ein Chaos. Das ist in der Politik ähnlich.» Und was auf Politiker ebenso zutreffe wie auf eine Herde: «Einen, der spinnt, verträgt es.» Über diesen Spruch muss Dettling selber herzhaft lachen.
Stets prima geschlafen
Rund zwei Jahre war der Schwyzer SVP-Nationalrat im Wahlkampfmodus. Das bedeutet: Politiker in allen Kantonen zur Kandidatur motivieren, mit dem Parteiausschuss an Strategien feilen, Auftritte landauf, landab absolvieren. «Ich bin froh, ist nun mal fertig», sagt Priska Dettling (43) und bietet selbst gemachten Lebkuchen an.
Immerhin führen die beiden in Oberiberg einen grossen Hof mit 17 Milchkühen, 24 Schafen, 16 Hühnern und drei Hasen. «Und drei Kindern», ergänzt er.
Am Samstag vor den Wahlen fragt ihn die zehnjährige Eliane: «Däddy, bist du nicht nervös?» Dieser schüttelt den Kopf. «Wir sind gut vorbereitet. Da muss man nicht nervös sein.» Auch geschlafen habe er stets prima. Zu Recht: Mit der Fokussierung auf ihr Lieblingsthema Migration schafft die SVP das drittbeste Resultat ihrer Geschichte.
«Däddy kann gut reden»
Zeit zu feiern! In der Stube der Dettlings, eingerichtet im modernen Landhausstil, kommts zum Familienkonzert. Remo (12) und Eliane packen ihr Schwyzerörgeli, Julia (8) greift zum Kontrabass. Als «Lüpfige Chüetriber» haben die drei regelmässig Auftritte.
Auf die Frage, was ihr Däddy besonders gut kann, antwortet Eliane: «Reden!» Remo fügt hinzu: «Kühe melken.»
«Nicht nur heile Welt»
«Wenn die Angst vor Fremden Folklore ist.» Das schreibt das deutsche Magazin «Focus» nach dem Siegeszug der SVP. Darauf angesprochen, lacht Dettling, wie er es selbst bei kritischen Voten gern tut. Was die im Ausland sagen, interessiere ihn nicht. «Weil die SVP hierzulande die Probleme mit den Migranten schon früh auf den Tisch brachte, haben wir nicht diese Ghettobildungen wie in Deutschland.»
Dann schimpft er über das integrative Schulsystem, wegen dem seine Kinder anderen Kindern Deutsch beibringen müssten. «Hier oben haben wir auch Migranten. Das ist nicht nur heile Welt!»
Wie diese heile Welt aussehen soll, illustrierte die SVP auf den Wahlkampf-Flugblättern zur Zehn-Millionen-Schweiz. Diese zeigen auf der einen Seite eine typische Schweizer Familie im Grünen, auf der andern eine Masse schwarzer Menschen. Für Grünen-Chef Balthasar Glättli «eine rassistische Kampagne». Dettling verteidigt seelenruhig: «Gehen Sie mal nach Chiasso an die Grenze, so siehts dort aus.
Dettling wächst in einer CVP-Familie auf, der Vater politisiert im Gemeinderat. «Was er im Gegensatz zu mir nie vertragen hat, ist Kritik von anderen. Dann rief er am Mittagstisch aus.»
Marcel Dettlings politischer Weckruf sei die EWR-Abstimmung gewesen. Wie Christoph Blocher gegen die grosse EU kämpft, beeindruckt den damals Elfjährigen. «Als unser Pfarrer über Christoph Blocher hergezogen ist, bin ich als Ministrant ausgetreten.» Mit 17 ist er Gründungsmitglied der Jungen SVP Schwyz, mit 27 zieht er in den Kantonsrat ein.
Als Listenfüller Dettling 2015 überraschend in den Nationalrat kommt, hängt in Oberiberg der Haussegen schief. «Julia ist da gerade zur Welt gekommen. Ich dachte, das schaffen wir nicht», sagt Priska Dettling. Doch sie holen sich Hilfe für den Hof – erst von Marcels Vater, später von einer einheimischen Angestellten. «Und wenn ich mal nicht wusste, wie eine Maschine funktioniert, schickte mir Marcel ein Filmli aus der Session», erzählt die ausgebildete Pflegeassistentin.
Heute sei vieles einfacher, sagt er. «Denn die Kinder helfen ebenfalls mit.» Für Julia und Eliane ist auch schon klar, was sie mal werden wollen: «Buure!»
Marcel Dettling war zwölf, als seine Mutter an Brustkrebs erkrankt und stirbt. Sein Vater steht auf einmal mit einem Bauernhof und fünf Kindern – das jüngste davon gerade mal 18 Monate alt – alleine da. «Ich bin sicher: Heute hätte die Kesb unsere Familie getrennt», sagt Dettling für einmal ganz ernst.
Doch sie hätten sich zusammengerauft, die älteren Schwestern viel Arbeit übernommen, die Grossmutter zog zu ihnen. «Sie kochte, und ich machte den Abwasch – das mache ich auch heute noch.»
Mit 21 übernimmt er dann den Hof. «Viel Arbeit, das ist für mich normal.»
In Bern macht Dettling schnell Karriere. Nach drei Jahren holt ihn Albert Rösti in den Parteiausschuss. Im Nationalrat darf er in die gewichtige hinterste Reihe der SVP-Fraktion wechseln und erbt den Platz von Toni Brunner.
«Marcel ist ein Typ wie Toni», sagt FDP-Kommissionskollegin Petra Gössi. Ein von Grund auf fröhlicher Mensch, der zu allen einen guten Zugang findet.
Mitte-Politiker Markus Ritter sagt: «Er erfasst die Zusammenhänge schnell und analysiert präzise.» Obwohl die Linke die Zehn-Millionen-Kampagne scharf kritisierte; an Dettling persönlich will niemand etwas aussetzen.
Kein Wunder, galt er 2020 als Wunschkandidat für die Nachfolge von Parteichef Albert Rösti. Doch da legte Priska ihr Veto ein. «Auch für mich war klar: Für dieses Amt sind die Kinder noch zu klein», sagt er. Und heute? Der amtierende SVP-Chef Marco Chiesa muss im Tessin in den zweiten Wahlgang. «Diese Frage stellt sich momentan nicht», so Dettling. Ein letztes Schmunzeln. Dann muss er zurück in den Stall.