Pater Martin Werlen will sich gerade die «Auferstehungssinfonie» anhören, als er erfährt, dass im Vatikan weisser Rauch aufsteigt. «Ich war an einem Mahler-Konzert in Budapest», erzählt der Geistliche, der in Ungarn sein neues Buch vorstellte.
Martin Werlen war von 2001 bis 2013 Abt von Einsiedeln. Heute ist er Leiter der Propstei St. Gerold in Österreich. Mit seinem Team hat er das älteste bewohnte Gebäude in Vorarlberg umgebaut. Nun ist es ein Begegnungsort mit modernen Elementen und 1000-jähriger Geschichte. Wann immer möglich mischt sich Pater Martin unter Leute. Weil die Verbindungen des öffentlichen Verkehrs miserabel sind – er macht sich für eine Verbesserung stark –, ist der Benediktiner oft per Autostopp unterwegs: «Vor Kurzem durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Porsche sitzen!» Der Lenker habe ihn dann an einem Sonntagnachmittag zu einem Kaffee eingeladen. «Weil alles andere zu war, landeten wir im McDonald’s.»
Pater Martin, sind Sie überrascht vom neuen Papst Leo XIV.?
Und wie – gleich dreimal!
Weshalb?
Auf die Person von Robert Francis Prevost wäre ich nie gekommen. Ich war erstaunt, wie schnell sich die Kardinäle für ihn entschieden haben. Und überrascht hat mich auch der Name, den er sich gegeben hat.
Einen Papst Leo gab es schon einmal.
Sogar schon 13-mal. Leo XIII. war von 1878 bis 1903 im Amt und begründete mit einer Enzyklika die Grundlage der katholischen Soziallehre. Er war eine prägnante Figur, ging aber ziemlich vergessen. Er war gegen die Sklaverei und machte sich für die Menschen am Rande der Gesellschaft stark, für die Opfer der Industrialisierung.
Der Name soll also ein Zeichen setzen?
Ganz bestimmt. In seiner Zeit in Peru war der neue Papst mit grosser Armut konfrontiert. Und dass er seine erste Ansprache im Vatikan mit dem Wort «Friede» begann, ist kein Zufall. Es gibt noch einen weiteren Grund für den Namen. Bruder Leo war der engste Gefährte von Franz von Assisi, dem heiligen Franziskus. Er hat massgeblich zur Verbreitung der franziskanischen Ideale beigetragen.
Was wünschen Sie sich vom neuen Papst?
Als Kirchenrechtler kann Papst Leo XIV. nun das, was Papst Franziskus anzuregen versuchte, auch im Recht verankern. Zum Beispiel das Prinzip der Synodalität auf allen Ebenen kirchlichen Lebens. Ansonsten hängt vieles einfach von persönlichen Entscheiden einzelner Amtsträger ab. Schon vor der Wahl wurde ich oft gefragt, was der neue Papst machen soll. Doch solche Fragen lassen den Prozess der Synodalität völlig ausser Acht.
Synodalität bedeutet, dass alle Gläubigen die katholische Kirche mitgestalten.
Ja, deshalb erwarte ich jetzt nicht etwas vom neuen Papst, sondern von der Kirche. Von Bischöfen, Priestern, Laien – von uns allen. Papst Franziskus betonte immer wieder, es gehe ums Miteinander. Das machte der neue Papst gleich am ersten Abend klar, als er sich auf der Loggia vorstellte. Viele Fragen fokussieren jetzt leider einzig und allein auf den neuen Papst. Auf einer Baustelle braucht es mehr als das.
Blick ins Grüne: In der Leseecke in seiner Wohnung vertieft sich Pater Martin in seine Lektüre.
Geri BornWas meinen Sie?
Als unsere Propstei in St. Gerold renoviert wurde, hatte ich ein Aha-Erlebnis: Auch die Kirche ist eine Baustelle. Und Papst Franziskus hat eine riesige Baustelle hinterlassen.
So schlimm?
Nein, schön. Auf Baustellen sind alle gefor- dert. Bei uns in der Propstei wäre keinem eingefallen, zu sagen: Nur der Architekt ist verantwortlich. Nein! Jeder muss seine Gaben einbringen. Die Kirche ist für mich eine Baustelle der Hoffnung.
In der Theorie tönt das gut und recht. Aber in der Praxis?
Das muss sehr praktisch sein, beginnend in Pfarreien, ja in Familien. Wir sind stark geprägt von überhöhten Amtspersonen. Hier in St. Gerold haben wir die Kirchenbänke und den bisherigen schweren Altar herausgenommen. Jetzt versammeln wir uns um einen schlichten Altar aus Eschenholz – alle auf Augenhöhe.
Papst Franziskus versuchte immer wieder …
… uns das klarzumachen. Wir – die Menschen in der Nachfolge Christi – sind Kirche. Wie wichtig war das gemeinsame Mittagessen aller, die an unserer Baustelle arbeiteten! Jede und jeder fühlte sich verantwortlich. In der Kirche sind wir auf dem Weg, diese Haltung zu finden und zu leben. Die Frage ist nicht so sehr, was wir von Papst Leo erwarten, sondern zu entdecken, dass Papst Leo gemeinsam mit uns die Baustelle Kirche besprechen und gestalten will. Nicht der Papst muss eine Antwort liefern – wir zusammen mit dem Papst.
Doch die katholische Kirche ist geprägt von starren Regeln, die mutige Reformen verhindern.
Papst Franziskus betonte immer wieder: Ihr müsst Synodalität dort leben, wo ihr zu Hause seid. Doch in vielen Gemeinden wird das weniger umgesetzt als in Rom selbst. Da gibt es beispielsweise die von Papst Franziskus eingerichtete Behörde für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen.
Was wird dort gemacht?
Es geht um die Themen Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit, Menschenrechte und den Umgang mit der Schöpfung. Von den 80 dort arbeitenden Leuten sind sieben Priester – und 40 Frauen. Ich glaube, es gibt in der deutschsprachigen Welt nicht viele katholische Institutionen mit einer solchen Geschlechterverteilung.
Frauen dürfen aber weiterhin nicht Priesterinnen werden.
Ja, dabei hat die Weihe der Frau nichts mit Zeitgeist zu tun. Sondern mit Glaubwürdigkeit und dem Ernstnehmen der Taufe. Wenn wir diese und das Glaubensbekenntnis ernst nehmen, dann gibt es nicht eine Taufe für Männer und eine für Frauen. Es gibt eine Taufe. Deshalb sagt Paulus in seinem Brief an die Galater: Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.
Was heisst das?
Die Taufe ist das erste und wichtigste Sakrament in der Kirche. Sie nimmt einen Menschen in die Gemeinschaft der Gläubigen auf. Ich bin überzeugt: Wenn wir die Taufe ernst nehmen, ist das Geschlecht keine Voraussetzung für die Priesterweihe.