Japan. Das Land der aufgehenden Sonne. «Ditaji» bedeutet ebenfalls Sonne – und sie erreicht in eben jenem Land ihren Zenit. Weltmeisterin. In einer Weltsportart. Die 23-jährige Bernerin Ditaji Kambundji holt in Tokio das erste Leichtathletik-WM-Gold einer Schweizerin überhaupt. In 12,24 Sekunden pulverisiert sie ihren eigenen Schweizer Rekord.
«I bi eifach schnäu gsecklet», beschreibt die frischgebackene Weltmeisterin ihren grössten Coup – sie kann es gar nicht fassen, schwankt zwischen Lachen und Freudentränen. «Und dann hatte ich eine Goldmedaille. Es fägt. Ich kann es nur empfehlen.» Als ob es so einfach wäre. Doch «Didi» selbst hat immer daran geglaubt. «Ich gehöre zu einer Generation, der man nicht mehr sagte, vielleicht schafft ihr es mal in einen Halbfinal, nur weil es vorher noch nie einer in einen Final geschafft hat. Mir wurde nie ein Limit gesetzt. Ich wollte nie nur dabei sein, sondern träumte immer von Medaillen.»
Der unbändige Wille: Kambundji läuft in Tokio das Rennen ihres Lebens. 12,24 Sekunden über 100 Meter Hürden – WM-Gold und neuer Schweizer Rekord.
Sportmedia ContenidosWenn Träume in Erfüllung gehen
Schon als kleines Mädchen träumte Kambundji davon, eines Tages eine erfolgreiche Sportlerin zu sein. Dann könne sie «reisen und spannende Sachen erleben», wie sie damals in einem Interview sagte. Ditaji ist das jüngste Kind einer leichtathletikverrückten Familie. Mama Ruth (63) ist Schweizerin, Papa Safuka (72) stammt aus dem Kongo. Die bis anhin erfolgreichste Kambundji: die zehn Jahre ältere Mujinga (33) Diese erwartet bald ihr erstes Baby und verzichtete aus dem «schönsten Grund» auf die Outdoor-Saison. Mujinga Kambundji holte 2019 WM-Bronze über 200 Meter. «Sie hat mir so viel auf dem Weg hierher gezeigt. Ich vermisse sie hier in Tokio», sagt Ditaji.
Mujinga Kambundji hat den WM-Final ihrer kleinen Schwester daheim beim Grossmami in Seftigen BE mitverfolgt. «Unsere Eltern waren in Tokio, die älteste Schwester Kaluanda (34) musste arbeiten und Muswama (29) war auf dem Weg nach London. Ich dachte, ich kann unser Grossmami doch nicht allein lassen», erzählt sie schmunzelnd. «Ich war schon nervös. Vor allem, als Didi dann vorne lag. Aber so ein Sprint ist ja schnell vorbei.» Sie lacht. Und sagt: «Es ist unglaublich. Unglaublich. Es gibt kein anderes Wort dafür. Wir freuen uns so für sie und gönnen es ihr von Herzen.» Dass sie im wichtigsten Rennen alles habe abrufen können, sei das Schönste, was man ihr wünschen könne. «Didi hat die Tür, die ich ihr vor vielen Jahren scheu geöffnet habe, richtig rausgerissen. Sie hat allen gezeigt, auch den nächsten Generationen, dass wir hier in der Schweiz genauso zu den Besten der Welt gehören, WM-Titel holen können. Es ist megaschön, dass sie das geschafft hat.»
In erlauchtem Kreis: Kambundji (M.) schlägt in Tokio die Weltrekordhalterin Tobi Amusan aus Nigeria (l.) und Grace Stark aus den USA.
Getty ImagesDass ihre bisherige Bestzeit von 12,40 Sekunden ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr genügte, sagte die Jüngste von vier Kambundji-Schwestern schon vor Längerem. In Tokio ging alles auf: «Ich habe mir gesagt, es ist mein Rennen. Und ich konnte es umsetzen.» Jede, die im Final stand, habe gewinnen können, weiss Ditaji Kambundji. «Und ich gehörte dazu.» Überhaupt ist 2025 ihr Jahr. So holte sie bereits EM-Gold und WM-Silber über 60 Meter Hürden in der Halle.
«Ich bin nicht cooler oder besser»
Privat ist Ditaji Kambundji eine Frohnatur, sie weiss, woher sie kommt, und bleibt bescheiden. «Nur weil ich schnell secklen kann, bin ich nicht cooler oder besser.» Vor einem Start achtet sie auf ihr Aussehen. Ein schönes Make-up und passender Schmuck gehören für sie dazu, steigern das Selbstvertrauen. Ihre Ringe an den Fingern haben alle eine Bedeutung. «Diesen hier habe ich mir nach der Hallen-WM geschenkt», sagt sie und deutet auf einen feinen Ring mit kleinen funkelnden Steinchen. Auch ihre Hobbys sind bodenständig: Sie liebt es, zu häkeln, zu nähen oder eine neue Sprache zu lernen. Zudem entspannt sie sich mit dem Lesen von Fantasy-Romanen, träumt heimlich davon, selbst eines Tages ein Buch zu schreiben.
Feierlaune: Die Party muss spontan steigen, Safuka und Ruth Kambundji hatten im Vorfeld nichts geplant.
KeystoneVorerst schreibt sie jedoch Sportgeschichte: Für Familie Kambundji kommt das WM-Gold nicht völlig überraschend. «Ich habe damit gerechnet, dass das eine Möglichkeit ist», erzählt Mujinga Kambundji. Sie habe ihre Zeiten bei den letzten Rennen gesehen und gewusst, wie fit Didi sei. Auch ihr starkes Mindset habe ihr geholfen. «Ich konnte noch mit ihr telefonieren, als sie in Tokio war. Sie hat sich wahnsinnig auf den Wettkampf gefreut. Da dachte ich, da liegt sehr viel drin. Doch man muss es zuerst auch noch machen. Mir war bewusst – wenn Ditaji ein perfektes Rennen zeigen kann, liegt sogar der Sieg drin.» Sie betont: «Dieser Sieg ist sehr speziell und nicht zu unterschätzen. Die Gegnerinnen waren alle auf dem gleichen Niveau, es hätten alle gewinnen können.»
Als die Schwestern ihre Jüngste, die nun irgendwie die Grösste ist, endlich am Telefon hatten, war es in Tokio bereits späte Nacht. Ditaji lag nach einem langen, intensiven Tag im Bett – und konnte nicht schlafen. «Die Zeitverschiebung war dafür super», resümiert sie. «Da kann man auch nachts um zwei noch im Sisters Chat anrufen.» – «Es gab gar nicht viel zu sagen», erzählt Mujinga. «Man freut sich einfach zusammen, sagt, wie unglaublich sie das gemacht hat. Es ist am schönsten, wenn man solche Erfolge mit der Familie teilen kann. Ich glaube, sie realisiert noch nicht genau, was das alles bedeutet. Das braucht noch Zeit.»
Schwestern-Power: Die vier Kambundji-Schwestern Kaluanda, Muswama, Ditaji und Mujinga (v. l.) erleben 2016 zusammen die Olympischen Spiele in Rio.
Adrian BretscherDen Emotionen freien Lauf lassen
Ruth und Safuka Kambundji konnten ihre Tochter direkt im Stadion von Tokio in die Arme schliessen. Dass ihre Eltern den weiten Weg nach Japan auf sich genommen haben und beim bisher grössten Moment ihrer Karriere dabei sein konnten, macht es für die Bernerin noch spezieller. «Ich bin so dankbar. Sie feiern das richtig ab, geniessen es richtig. Es ist schön, ihnen diese Freude zu bringen. Aber sie haben sich auch riesig gefreut, wenn ich mit zehn Jahren irgendwo auf dem Land in einem Sprintfinal ein gutes Resultat gemacht habe.» – «Es ist überwältigend. Im Gegensatz zu meinem Mann war ich nicht die, die schon vorher daran geglaubt hat. Aber das hat jetzt wieder gezeigt, was passieren kann, wenn alles zusammenpasst», sagte Ruth Kambundji nach Didis Traumlauf strahlend. «Ich freue mich auch einfach zu sehen, wie Ditaji jetzt ihren Emotionen freien Lauf lassen kann.»
Noch zwei Wochen will Ditaji in Tokio bleiben, dort Ferien machen, etwas «abefahre». Oder eben: «Reisen und spannende Sachen erleben.» Darauf freut sie sich. Erst danach können auch die Kambundji-Schwestern ihre Weltmeisterin endlich in die Arme nehmen. Und dann wird gefeiert. Im kleinen Kreis, wie Mujinga Kambundji betont: «Es gibt sicher viele Leute, die nun etwas von ihr wollen. Sie wird froh sein, wenn es zu Hause im gemütlichen Rahmen stattfindet. Aber wir werden sicher noch auf Didi anstossen.»