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  4. Regisseur Michael Steiner über den ZFF-Eröffnungsfilm «Und Morgen Seid Ihr Tot»

Michael Steiner eröffnet das ZFF

«Die Arbeit war sehr intensiv»

Eröffnet wird das ZFF mit schwerer Kost: «Und morgen seid ihr tot» ist die Geschichte zweier von den Taliban entführter Schweizer Geiseln. Regisseur Michael Steiner erklärt, warum ihm die Verfilmung so wichtig war.

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Michael Steiner Filmemacher Regiesseur ZFF Neuer Film Und morgen seit ihr tot Zuerich 2021

Der Zürcher Regisseur eröffnet das ZFF bereits zum zweiten Mal. 2018 zeigte er «Wolkenbruch».

Geri Born

Michael Steiner, was hat Sie an der Geschichte der beiden Taliban-Geiseln David Och und Daniela Widmer fasziniert?
In den Schweizer Medien herrschte von Anfang an der Tenor, die beiden seien selbst schuld, wenn sie durch so gefährliches Terrain wie Pakistan reisten. Sie befuhren aber eine ganz normale Touristenroute, auf der Tausende von Reisenden schon unterwegs waren. Sie landeten ja schlussendlich 400 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem sie verschleppt worden waren. Es kann ja kaum sein, dass die Taliban mehr oder weniger täglich Geiseln durchs halbe Land zerren. Die andere Ecke ist, dass die zwei – dadurch, dass sie einen Teil ihrer Gefangenschaft auf einem Hof verbrachten, in dem auch Frauen und Kinder lebten – einen Einblick in ein Leben und eine Kultur bekamen, die Aussenstehenden normalerweise verwehrt bleibt. So habe ich sie kurz nach ihrer Flucht und der Rückkehr in die Schweiz angerufen und gesagt, ich würde gern ihre Geschichte verfilmen.

Wie haben sie reagiert?
Zuerst skeptisch. Mit der Zeit fassten sie dann aber Vertrauen. Sie schrieben ihre Geschichte selbst in einem Buch nieder, dessen Rechte die Produktionsfirma kaufte. Das ist etwa acht Jahre her. Jetzt ist es endlich so weit.

Wie haben Sie das erste Treffen in Erinnerung?
Die beiden waren sehr angespannt, sehr scheu, sehr vorsichtig, nicht zuletzt, weil sie den Umgang der Medien mit ihnen als negativ erlebt hatten. Gegen diesen möchte ich mich mit dem Film auch ein bisschen wehren – bei all denen, die bei 9/11 oder anderen Terroranschlägen ums Leben kamen, sprach man ja auch nie von Selbstverschulden. Noch mal: David und Daniela fuhren nicht durch ein Terroristengebiet. Natürlich kann man argumentieren, Pakistan sei allgemein gefährlich, aber das sind Ferienländer wie Ägypten und Mexiko auch. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Filmstills "Und morgen seid ihr tot"

Sven Schelker und Morgane Ferru mimen die Taliban-Geiseln David Och und Daniela Widmer. 

ZVG

Worüber waren Sie am meisten erstaunt bei den Erzählungen der Geiseln?
Über den Ehrenkodex der Taliban. Den Umständen entsprechend wurden sie relativ gut behandelt. Sie waren eingesperrt, aber wurden nicht gefoltert oder vergewaltigt. Der Konflikt dort ist ein territorialer, kein religiöser. Das ist auch heute noch so in Afghanistan. Das Land des Paschtunen-Stamms, dem diese Taliban angehören, zieht sich im Norden bis nach Pakistan. Für dieses kämpfen sie.

Wie haben diese acht Monate in Gefangenschaft die Geiseln geprägt?
Sehr stark und bis heute. Wer über so lange Zeit in konstanter Todesangst lebt, wird das nie wieder los. Wer mit ihnen zu tun hat, erlebt sie allerdings lediglich als ein bisschen zurückhaltend. Aber man sieht den Menschen ihre Traumen nicht immer an.

Was beeindruckt Sie am meisten?
Dass den beiden tatsächlich die Flucht gelang. Sie waren sehr gut vorbereitet, haben sich in der Geiselhaft nicht brechen lassen. Beide sind ausgebildete Polizisten, das hat sicher geholfen.

Ist es für Sie einfacher oder schwieriger, eine wahre Geschichte zu verfilmen?
Wahre Storys sind insofern schwieriger, als man der Geschichte gerecht werden möchte. Da habe ich aber mittlerweile ein gesundes Selbstvertrauen. Die Herausforderung ist immer, mir selbst und dem Stoff gerecht zu werden. Bei diesem Film ist mir wichtig, den Leuten zu zeigen, dass man nicht pauschal andere verurteilen soll, ohne dass man die Geschichte dahinter kennt.

Michael Steiner Filmemacher Regiesseur ZFF Neuer Film Und morgen seit ihr tot Zuerich 2021

«Plötzlich hing alles in der Luft.» Der Dreh in Indien musste wegen Corona erst unterbrochen und dann nach Spanien verlegt werden.

Geri Born

Waren Daniela und David beim Dreh dabei?
Nein, das haben wir so vereinbart. Das verunsichert die Schauspielerinnen und Schauspieler. Für Morgane Ferru und Sven Schelker war die Herausforderung so oder so schon riesig – man hat ja nicht die geringste Ahnung, wie es sich anfühlt, in Geiselhaft zu sitzen. Sich jeden Tag erneut in diese Todesangst hineinzuversetzen, ging an die Substanz, auch für mich. Die Arbeit mit Sven und Morgane war sehr intensiv.

Sie mussten den Dreh wegen Corona unterbrechen.
Das war ziemlich komisch. Wir hatten angefangen, in Indien zu drehen, und sind in den Lockdown zurückgekommen, hatten keine Ahnung, ob wir den Film überhaupt fertigstellen können. Schliesslich sind wir nach Spanien ausgewichen. Wenn ein Film, der zu 80 Prozent gedreht ist, plötzlich in der Luft hängt, ist das schon blöd. Aber es ging ja allen gleich. Und ganz ehrlich: Ich habe das unerwartete Sabbatical genossen.

Wie haben Daniela Widmer und David Och auf den Film reagiert?
Sehr positiv. Sie sagten, er käme ihrer Geschichte und wie sie sie erlebt haben, sehr nahe. Nun hoffe ich, er bringt dem Publikum die Menschen hinter den damaligen Schlagzeilen näher.

Familienbloggerin Sandra C.
Sandra CasaliniMehr erfahren
Von Sandra Casalini am 23. September 2021 - 16:36 Uhr