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Kaffee aus La Chaux-de-Fonds

Die Rösterei La Semeuse hat seit 125 Jahren den richtigen Riecher

Die Kaffeerösterei La Semeuse in La Chaux-de-Fonds feiert dieses Jahr Geburtstag. Zu Besuch in einem Betrieb, der seine Mitarbeiter schlürfen lässt und immer Staatskaffee für den Notfall bereithält. 

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<p>Eine Kaffeepause mitten im eigenen Lager? Nicolas Bihler, CEO von La Semeuse, machts vor. Der Name bedeutet «die Säerin» und stammt vom alten Firmenlogo.</p>

Eine Kaffeepause mitten im eigenen Lager? Nicolas Bihler, CEO von La Semeuse, machts vor. Der Name bedeutet «die Säerin» und stammt vom alten Firmenlogo.

Kurt Reichenbach

Ja – es riecht gut hier, sehr gut sogar. Aber nicht in jedem Raum gleich. Die Kaffeerösterei von La Semeuse liegt am südlichen Rand von La Chaux-de-Fonds NE. Die Geruchsreise beginnt im Lager, wo sich die Säcke zur Decke stapeln. In jedem liegen 60 Kilogramm grüne Bohnen. Sie behalten ihr Aroma noch für sich, doch die Jutesäcke, die riecht man. Und die Namen auf den angehefteten Zetteln regen die Fantasie an: Indien, Peru, Brasilien, Tansania …

«So beginnt mein Arbeitstag normalerweise nicht», stellt CEO Nicolas Bihler (50) schmunzelnd klar, während er für das Foto posiert. Mag sein, doch eine Tasse Kaffee gehört für ihn natürlich dazu. Im Laufe des Tages folgen bis zu neun weitere. «Am liebsten mit einem Hauch Säure.»

Teil des Schweizer Notvorrats

La Semeuse ist eine der ältesten Röstereien der Schweiz. Mehrere Tonnen verlassen täglich die Produktion: ganze und gemahlene Bohnen, Pads und Kapseln, die mit Nespresso- oder Delizio-Maschinen kompatibel sind. Das Unternehmen gehört zu den grössten familiengeführten Röstereien im Land und beliefert sowohl Migros als auch Coop. Beim Bohnenkaffee hat es einen Marktanteil von sieben bis acht Prozent.

<p>«Mich begeistert, wie vielfältig die Herkunftsländer unseres Kaffees sind», sagt CEO Nicolas Bihler. Die Schutzkleidung in der Produktion ist auch für den Chef Pflicht.</p>

«Mich begeistert, wie vielfältig die Herkunftsländer unseres Kaffees sind», sagt CEO Nicolas Bihler. Die Schutzkleidung in der Produktion ist auch für den Chef Pflicht.

Kurt Reichenbach

Die Bohnen, die hier liegen, sind Teil des eidgenössischen Pflichtlagers. Denn der Bund sichert die Kaffeeversorgung im Krisen- oder Kriegsfall. Nicht schlecht, wenn das eigene Produkt von höchster Stelle so geschätzt wird – obwohl es praktisch keine Kalorien oder Nährstoffe enthält. Warum die Schweizerinnen und Schweizer dennoch Kaffeefans sind, erahnt man im nächsten Raum: der Rösterei.

Was für ein Arbeitsplatz! Hier ist es warm, und es duftet von morgens bis abends nach frisch geröstetem Kaffee. Wenn nur nicht der Lärm wäre, vor dem sich Meisterröster Yves Boillat (56) mit Kopfhörern schützt. Er pendelt zwischen Jutesäcken, die er mit einem Greifer auskippt, und der Rösttrommel. Darin dürfen die Bohnen während 12 bis 15 Minuten Farbe annehmen und ihren Geschmack entwickeln. Yves Boillat überwacht den Prozess mit seiner Nase, seiner Erfahrung (22 Jahre sind es) und einer Maschine, die misst, ob die Bohnen zu hell oder zu dunkel sind.

«Keine Müdigkeit!»

2015 hat Nicolas Bihler das Schweizer KMU mit seiner langen Geschichte übernommen. La Semeuse startete 1900 als Importeur von Erdnussöl. Dieses war aus Sicht des jüdischen Gründers Marc Bloch eine Alternative zum damals gängigen Schweineschmalz. 1916 stirbt Bloch im Kampf für sein französisches Heimatland im Ersten Weltkrieg. Seine Witwe Hortense führt La Semeuse weiter – und baut die Kaffeerösterei auf. «Keine Sorgen, keine Müdigkeit dank den Lastwagen von La Semeuse!», warben die Plakate damals.

2015 ging das Unternehmen von den Blochs an die Bihlers, und damit bleibt es bis heute in den Händen einer Neuenburger Familie. Die Produktion – seit je in La Chaux-de-Fonds – beschäftigt aktuell 35 Mitarbeitende.

Ein «Schoggijob» nebenbei

Vier von ihnen treffen sich kurz vor dem Mittag zu einer speziellen Zeremonie. Nicolas Bihler macht ebenfalls mit bei der «brasilianischen Verkostung». 15 Tassen stehen bereit. In jeder hat es elf Gramm frisch gemahlenen Kaffee. Kaffeeologe Diego Bolaños (35) hat alles vorbereitet.

<p>Einmal eintauchen: Bei der Degustation überprüfen die Mitarbeitenden Geruch und Geschmack des gemahlenen Kaffees.</p>

Einmal eintauchen: Bei der Degustation überprüfen die Mitarbeitenden Geruch und Geschmack des gemahlenen Kaffees.

Kurt Reichenbach

Phase eins: schnuppern. Der Chef und seine geschmackssicheren Mitarbeiter riechen am Kaffeepulver, das aus zwei verschiedenen Ländern stammt. Schweigend – um sich gegenseitig nicht zu beeinflussen. Phase zwei: Die Tassen werden mit heissem Wasser aufgegossen. Es bildet sich eine Kruste, die Diego Bolaños mit einem Löffel aufbricht. Jetzt können die Tester schlürfen. Lautstark ziehen sie die Flüssigkeit von ihren Löffeln in den Gaumen. Dann spucken sie in ein Kübelchen aus – und spüren dem Nachgeschmack nach. Ziel des Rituals ist es, die Qualität zu sichern und mangelhaften Kaffee zu entdecken, bevor er im Regal eines Ladens landet. Es ist selten, doch es ist auch schon vorgekommen, dass eine Lieferung nach der Degustation abgelehnt werden musste.

<p>Am 24. Juli 2023 riss ein Sturm mit bis zu 217 Kilometern pro Stunde das Dach des Logistikzentrums in Le Locle weg, und der Regen durchnässte die Kaffeebohnen.</p>

Am 24. Juli 2023 riss ein Sturm mit bis zu 217 Kilometern pro Stunde das Dach des Logistikzentrums in Le Locle weg, und der Regen durchnässte die Kaffeebohnen.

Blaise Kormann

Dieses Mal entsprechen die Stichproben den Erwartungen, und man fragt sich, welche Sorgen Nicolas Bihler überhaupt hat. Sein Kaffee ist vielerorts erhältlich und hat bei Branchenkennern einen sehr guten Ruf. Und nebenbei hat er auch noch einen echten «Schoggijob», als Chef des KMU Choco Diffusion. Gut, manche seiner Schokoladentafeln leiden nun unter den hohen US-Zöllen. Doch für La Semeuse macht der Export nur einen sehr kleinen Teil des Geschäfts aus. «Wir sind fest hier in der Schweiz verankert», sagt Bihler.

<p>Im Oktober 2024 öffnete der Neubau seine Türen. Chef Nicolas Bihler schoss eigenes Geld ein, um das Gebäude «auf den neusten Stand zu bringen».</p>

Im Oktober 2024 öffnete der Neubau seine Türen. Chef Nicolas Bihler schoss eigenes Geld ein, um das Gebäude «auf den neusten Stand zu bringen».

ZVG

Und stellt fest, dass die Schweizer Kunden in den letzten Jahren immer versierter wurden. «Früher merkte man höchstens, ob ein Kaffee bitter ist oder nicht», so Bihler. «Heute wird viel detaillierter über dieses Produkt geredet.» Und wer weiss, vielleicht sind unsere Nasen irgendwann ja genauso gut wie die eines echten Kaffeeologen.

Fakten

40 Prozent der von La Semeuse verwendeten Kaffeebohnen haben ein Bio- oder ein Fairtrade-Label.

24.95 Franken kostet ein Kilogramm La-Semeuse-Kaffee bei der Migros. Damit liegt er im mittleren Preissegment.

2 Tassen Kaffee trinken Schweizerinnen und Schweizer im Schnitt pro Tag. International verglichen ist das eher viel, aber weniger als beispielsweise in Skandinavien.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 31. August 2025 - 06:00 Uhr