Wer sich schon einmal einer Operation unterziehen lassen musste oder bei Bekannten auf Spitalbesuch war, kennt dieses beklemmende Gefühl: Operierte sind (gerade kurz nach Eingriffen) oft geschwächt, verwirrt und unselbstständig. Dann werden alle Bewegungen zur Herausforderung, selbst die natürlichsten Abläufe sind Herkulesaufgaben und stellen so neue Gefahrenmomente dar. Vor allem das Sturzrisiko steigt in diesen Situationen markant. Bisher konnte nur eine dauernde Bettwache dies ausschliessen.
Das Start-up Qumea hat nun einen neuen Ansatz zur Lösung des Problems gefunden – in Form eines Sensors und einer intelligenten und dennoch leicht zu bedienenden Software, mit der sich Aktivität und Mobilität der Patienten diskret und zuverlässig überwachen lassen und sofortige Hilfe gerufen werden kann. Dank dem frühzeitigen Erkennen von potenziellen Gefahren kann das Pflegepersonal schon dann eingreifen, wenn noch nichts passiert ist. «Wir bieten effektive Prävention und leisten einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Pflegepersonals», sagt Cyrill Gyger, CEO von Qumea.
Das BBZ Olten als «Promoter»
Zusätzliche Relevanz erhält das System auch dank der Zusammenarbeit mit dem Berufsbildungszentrum Olten. Dieses treibt sowohl die digitale Transformation als auch das unternehmerische Denken und Handeln in der Ausbildung aktiv voran. Direktor Georg Berger erklärt: «Als wir im Rahmen einer Veranstaltung der Wirtschaftsförderung von Qumea erfuhren, sahen wir eine Möglichkeit, die Kompetenz der Studierenden im Bereich der Digitalisierung zu erhöhen.» Dabei gelte die Zielsetzung, dass sich die Studierenden im Unterricht mit der digitalen Transformation in der Pflege sowie mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen und sich dazu eine Meinung bilden.
In der Mitgestaltung dieser Transformation achten die Studierenden darauf, dass die professionelle Pflege adäquat abgebildet wird. Dabei lernen sie, Entscheidungen zu treffen, diese zu begründen und in Kooperation im interdisziplinären Umfeld umzusetzen. Berger: «Sie machen sich zu den möglichen Einsatzgebieten Gedanken und evaluieren diese unter Berücksichtigung einer vollständigen Aufgabenlösung. Sie sammeln im Rahmen des praxisorientierten Unterrichts Erfahrungen mit den digitalen Assistenten.»
Alle Beteiligten sind überzeugt davon, dass sich die Digitalisierung auch in der Medizin nicht mehr aufhalten lasse. Aitana Tauss, Lehrerin an der Höheren Fachschule Pflege am BBZ Olten, erklärt: «Das Bedürfnis nach Sicherheit wird immer grösser, und die Digitalisierung unterstützt und entlastet Pflegende im Alltag – mit Mobilitätsmonitoring und raschen Meldungen über die App.» Oder mit anderen Worten: Durch die schnelle Datenanalyse und -erhebung ermöglicht Qumea den Pflegenden ein effizientes Arbeiten.
Die Anwendung sei in mehreren Beziehungen äusserst wertvoll und effizienzsteigernd. Tauss: «Sie spart Zeit, da weniger Gehwege nötig sind und weniger logistische Arbeiten. Sie synchronisiert die Daten automatisch, was wiederum eine Minimierung der Fehlerzahl bedeutet.»
Entscheidend seien aber vor allem die Vorteile für die Patienten. Georg Berger führt aus: «In über 30 Institutionen wird das Qumea-System bereits eingesetzt. Auch Angehörige sind stark daran interessiert, dass eine hohe Sicherheit gewährleistet wird.»
Datenschutz und Anonymität sind zentral
Für Patienten gilt der Vorteil der höchsten Anonymität. Es lassen sich keine Rückschlüsse auf Personen ziehen. Das mache das System für sensible Umgebungen besonders attraktiv. Als anderer Kritikpunkt wird teils der freiheitseinschränkende Aspekt angesprochen. Auch hier hält Berger dagegen: «Es gelten dieselben Richtlinien wie bei der Nutzung einer Klingelmatte. Qumea ist somit eher noch dezenter und weniger schambehaftet – weil das System unauffälliger ist.» Dazu sagt Aitana Tauss: «Ich habe auch schon erlebt, dass ein Patient über die Klingelmatte steigen wollte, um den Alarm nicht auszulösen.» Dieses Verhalten sei bekannt, und es führe immer wieder zu Stürzen. Mit dem Sensor von Qumea dagegen ist diese Gefahr gebannt.
Georg Berger legt grossen Wert auf die Feststellung, dass kein digitales System die menschliche Betreuung je ersetzen kann. Aber durch die Effizienzsteigerung würden der Handlungsspielraum des Pflegepersonals grösser und der Fachkräftemangel abgefedert.
«Technologie zum Wohl der Kranken»
Roland Siegwart ist Professor für Autonome Systeme an der ETH Zürich. Innovation und Unternehmertum stehen ihm nahe.
Roland Siegwart, was macht das Projekt des BBZ mit Qumea so speziell?
Das Projekt verbindet neue Technologien mit den Bedürfnissen aus dem Pflegebereich und ermöglicht somit eine optimale und effiziente Betreuung. Es ist ein wunderbares Beispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit, das zeigt, wie digitale Technologien zum Wohl der Pflegebedürftigen und Pflegenden beitragen können. Für alle wird das Leben einfacher.
Wo können digitale Anwendungen Pflegende am besten unterstützen?
Digitale Systeme wie die Radartechnologie von Qumea ermöglichen, effizient und kontinuierlich relevante Daten zu erfassen, auszuwerten und dem Pflegepersonal zur Verfügung zu stellen. So wird eine optimale Betreuung der Pflegebedürftigen möglich, mit Fokus auf die persönliche Interaktion.
Wird damit auch der Fachkräftemangel entschärft?
Neue digitale Technologien können das Pflegepersonal bei Nebenaufgaben entlasten und so die direkte Arbeit mit den Pflegebedürftigen ins Zentrum stellen. Damit wird die Arbeit für Pflegende attraktiver und effektiver und entschärft hoffentlich auch den Fachkräftemangel.
Welches könnten die nächsten Entwicklungsschritte im Bereich der digitalen Anwendungen in Spitälern und Pflege- oder Altersheimen sein?
In der Schweiz ist der wichtigste nächste Schritt, dass wir flächendeckend ein elektronisches Patientendossier einführen. Nur das ermöglicht, die Gesundheitsversorgung zum Wohl der Kranken und der Pflegebedürftigen zu optimieren. Es schafft die Grundlage für präzise Diagnosen, massgeschneiderte Therapien, schnellere Genesung und eine höhere Lebensqualität während und nach Krankheiten und im hohen Alter. Digitale Systeme können Krankheitsverläufe analysieren und das Gesundheitspersonal unterstützen.
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