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  4. Einblick ins Sammlungszentrum in Affolter am Albis – der Schatzkammer der Schweiz

Was für ein grandioser Fundus!

Hüter der Schatzkammer

870'000 Objekte lagern im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis ZH. Ein Ort voller Geschichten, der die Geschichte der Schweiz von der Vergangenheit bis in die Neuzeit dokumentiert. Geschäftsführer Markus Leuthard ist ein wandelndes Lexikon und seit 36 Jahren zuständig für das historische Erbe unseres Landes.

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Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Hoher Besuch: Denise Tonella, Chefin des Schweizerischen Nationalmuseums, taucht mit Markus Leuthard in die fantastische Bildersammlung ein (links Varlin, hinten Erni, rechts Historienbilder.

Kurt Reichenbach

Leidend hängen die Jesus-Figuren am Kreuz. Die Dornenkronen drücken schwer auf ihren Häuptern. Statt der erhofften Auferstehung haben sie im Sammlungszentrum in Affoltern in Albis ihre letzte Ruhestätte gefunden. 870 000 Objekte aus allen Epochen und Kantonen sind in den Hallen untergebracht. Während die rund 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die langen Wege gern das Trottinett nehmen, bleibt Markus Leuthard (61) eisern: Er macht alles zu Fuss. Seit 2007 leitet der Zürcher eine der aufregendsten Sammlungen des Landes. Eigentlich gehört er nach 36 Jahren selber ein wenig zum Inventar: Keiner kennt den Museumsschatz der Eidgenossenschaft besser als er! «Ich arbeite seit 1987 in dieser Institution. Meine Arbeit ist ungemein spannend. Wir bewahren hier die Vergangenheit auf und schauen gleichzeitig in die Zukunft. Es geht bei allen Objekten, die hier lagern, um die Schweizer Identität und die Vielfalt von Geschichte und Kultur. Die Frage, was sammlungswürdig ist und die Menschen in zehn oder hundert Jahren interessieren wird, ist eine knifflige Angelegenheit.»

Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Kutschen, Schlitten, Wagen: In einer riesigen Halle lagern alte Fahrzeuge aus vielen Epochen und Kantonen.

Kurt Reichenbach

Leuthard startet zum Rundgang. Schon nach wenigen Metern kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. In einem Raum stehen Kutschen, Schlitten und andere Fahrzeuge. Ineinem anderen stapeln sich Hellebarden, Gewehre und Kanonen. Ob Schuhe, Sennenkäppli, Betten, Bauernschränke: Jedes Objekt hat seine Berechtigung, in der Sammlung zu sein, ist ein bedeutsames Unikat. Ein Hingucker sind die Leuchtreklamen. Credit Suisse, EPA, Swissair: Die Firmen sind faktisch von der Bildfläche verschwunden, haben sich aber ins Gedächtnis der Nation gebrannt. In der Kunstabteilung zieht Markus Leuthard ein riesiges Gemälde von Varlin aus dem Regal. Es ist bei Weitem nicht das grösste! Hans Ernis Wandgemälde «Ferienland der Völker» besteht aus 136 Einzeltafeln und ist 90 Meter lang. Er schuf es für die Landesausstellung 1939. «Der Bilderzyklus war in einem miserablen Zustand. Die Tafeln lagerten in einem SBB-Güterschuppen, es hatte Wasserflecken und Fussspuren drauf. In unserem Labor entwickelten wir eine Konservierungsmethode mit japanischem Algenklebstoff, um die Farbe wieder zu festigen.»

Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Auf Augenhöhe mit Jesus: Denise Tonella ist von der sakralen Kirchenkunst begeistert. Alles ist aussergewöhnlich gut erhalten.

Kurt Reichenbach

Aufstieg und Fall einer Ikone

Auch ein bekanntes Kleid aus Schurwolle mit Ledergürtel sticht ins Auge. Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin der Schweiz, trug es bei ihrem Amtsantritt. Leuthard: «Hinter dem Kostüm des St. Galler Modelabels Akris ver-birgt sich ein Krimi. Kopps emotionaler Rücktritt 1989 infolge einer vermeintlichen Amtsgeheimnisverletzung bewegte damals die Schweiz. Wir haben die Aufgabe, Fragen zu stellen, um Antworten zu erhalten. Manchmal fühlt sich meine Arbeit an wie die eines neugierigen Detektivs.» Unter der Dachmarke Schweizerisches Nationalmuseum (rund 340 Personen teilen sich über 190 Stellen) sind das Landesmuseum Zürich, das Barockschloss Prangins im Kanton Waadt, das Forum der Schweizer Geschichte in Schwyz und das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis vereint. Die Exponate waren zuvor überall verstreut. Dank dem topmodernen Bau, der 2007 eröffnet wurde, ist nun alles an einem Ort vertreten. Inklusive Restauration, Konservierung, Logistik, Fotolabor und Forschung.

Sammlungszentrum Affoltern am Albis Markus Leuthard

Ein Kleid, das die Geschichte eines Krimis symbolisiert. Es gehörte der ersten Bundesrätin der Schweiz, Elisabeth Kopp. Sie trug das Akris-Ensemble bei ihrer Wahl. 

ZVG
Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Zeigt her eure Schuhe: Von den Anfängen bis heute – jeder Stil ist vertreten und zeigt die Einflüsse der Mode.

Kurt Reichenbach

Die Frage nach dem wertvollsten Objekt lässt Markus Leuthard stoisch über sich ergehen. «Wir geben keine Versicherungswerte bekannt. Aber klar: Das interessiert. Es gibt Schmuckstücke und Pokale, die mehrere 100 000 Franken kosten würden. Bedeutsamer für uns aber ist der kunsthistorische Wert. Wir besitzen viele Dinge, die es nur einmal gibt. Ist so ein Gegenstand nicht mehr da, hinterlässt das eine Lücke in der DNA.» Das älteste Objekte ist ein Faustkeil von 10 000 vor Christi und wurde in Schlieren ZH gefunden. Zu den grössten Exponaten gehört eine Liftkabine aus einem Warenhaus.

Und Leuthards Lieblingsobjekt? «Immer das, an dem wir gerade arbeiten.» Aktuell zwei Theaterkulissen aus dem Château d’Hauteville, die zurzeit konserviert werden. Danach sind sie in einer Ausstellung im Schloss Prangins zu sehen.» Leuthard ist kein Sammlertyp. Lieber geht er ins Museum und schaut ganz genau hin: «Meine Frau und ich können von Kultur nicht genug bekommen. Die Museen der Schweiz sind eine wichtige Institution für die Ausbildung junger Menschen. Das verstaubte Image ist vielerorts Vergangenheit.» Darüber freut sich auch Denise Tonella (43) die seit 2021 das Nationalmuseum leitet.

Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Alles Vergangenheit! Die Logos von Credit Suisse, EPA und Swissair sind Kulturgut für kommende Generationen.

Kurt Reichenbach
Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Was aussieht wie Bretter für die Böögverbrennung am Sächsiläuten in Zürich, sind in Tat und Wahrheit zerlegte historische Zimmer und Räume. Sie können überall wieder aufgebaut werden, wie in den Räumen des Landesmuseum Zürich aktuell zu sehen.

Kurt Reichenbach

Die Historikerin mit Tessiner Wurzeln ist heute anlässlich des 125-Jahre-Jubiläums des Landesmuseums Zürich zu Besuch. Die Temperatur im Depot beträgt überall 18 Grad. Nur in der Grafiksammlung wird auf 16 Grad gekühlt. Die Direktorin hegt eine grosse Leidenschaft für mittelalterliche Handschriften. Und für Stoffe: «Textilien sind etwas Wunderbares. Ich könnte stundenlang darin versinken. Und vor lauter Eintauchen in die Geschichte fast die Gegenwart vergessen.»

Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Markus Leuthard gerät ins Schwärmen: «Die Theaterkulissen sind eine Rarität. Sie stammen aus dem Schloss Hauteville, werden für eine Ausstellung konserviert.»

Kurt Reichenbach

Visionärer Blick, der verpflichtet

Die Frage, was künftige Generationen interessiert, ist nicht einfach. Ein Kuratorenteam schätzt ein, welche Objekte für die Gesellschaft relevant sind und welche nicht. Ein Beispiel? Markus Leuthard nimmt Bezug auf Corona. «Das war ein grosser Einschnitt für unser Land. Wir haben die blaue Maske in die Sammlung aufgenommen, den Covid-Schnelltest und den schwarzen Hut von Bundesrat Alain Berset, den er oft trug. Heute und morgen möchte das niemand in einer Ausstellung sehen. Aber in zwanzig oder fünfzig Jahren vielleicht schon. Dann sind wir gerüstet und können zeigen, was damals von Bedeutung war und uns bewegt hat.»

Sammlungslager Landesmuseum, Markus Leuthard, Direktor

Ein Imperium für die Zukunft: Das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis wurde 2007 eröffnet.

Kurt Reichenbach

125 Jahre Landesmuseum Zürich

Das Landesmuseum blickt auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurück und feiert diese mit zahlreichen Veranstaltungen. Höhepunkt ist das Jubiläums-Wochenende am 10. und 11. Juni. In den Ausstellungen gibt es «kurze Zeitreisen» in die Vergangenheit. In der Installation «1898 – 2023 – 2148» zeigen Schulklassen Objekte aus ihrem Alltag, die man in 125 Jahren im Museum sehen könnte. Am Samstag tritt Musiker Marius Bear im Museumshof auf, der Sonntag ist Familien gewidmet. Neben Führungen gibts das Minitheater Hannibal mit Karussell (www.landesmuseum.ch/125). Mehr zu den Führungen im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis ZH: www.sammlungszentrum.ch

 

 

 

Von Caroline Micaela Hauger am 30. Mai 2023 - 17:17 Uhr