Als die Eiskunstläuferin Denise Biellmann 1981 die Weltmeisterschaft gewann, war ich noch gar nicht auf der Welt. Und trotzdem bin ich noch heute, im Alter von 24 Jahren, ein grosser Fan.
An den Wänden hängen Fotos von Wettkämpfen, gemalte Bilder in bunten Farben zeigen die Biellmann-Pirouette. Vor dem Cheminée sammeln sich die Auszeichnungen, vom «Bravo Otto» bis zur Weltmeistermedaille. Seit fast 40 Jahren lebt Denise Biellmann in dieser Wohnung im Zürcher Oberland. «Ich fühle mich wohl hier, bin nahe bei der Dolder-Eisbahn.» Da, wo für Denise alles begann. «Es ist bis heute von all den Eisfeldern, auf denen ich gelaufen bin, mein liebstes geblieben.»
Die Biellmann-Pirouette hingegen ist nicht die Lieblingsfigur der Eiskunstläuferin. «Ich bin schon immer viel lieber gesprungen!» Aber ihre Mutter, die auch ihre Trainerin war, motivierte sie zu dieser neuartigen Figur.
Das Paradeelement bereits mit elf Jahren
Die Biellmann-Pirouette war und ist mein Lieblingselement auf dem Eis. Es war mein Traum, sie eines Tages zu beherrschen. Als ich mit zehn Jahren mit Eiskunstlaufen angefangen habe, war es wegen der Flexibilität des Körpers bereits zu spät.
Denise Biellmann stand mit drei Jahren auf dem Eis. Mit elf Jahren drehte sie sich erstmals in der Pirouette, die ihren Namen trägt. Diese beginnt man in der aufrechten Pirouette, streckt sich nach hinten über die Schulter, fasst die Kufe des freien Fusses mit beiden Händen und dehnt sich in Richtung Decke aus. «Ich habe sie als Standfigur in der Akrobatik gelernt. Nach drei Wochen habe ich sie beherrscht.» Heute kann Denise Biellmann diese immer noch, einarmig. «Bei den Wettkämpfen und den Shows wurde sie immer von mir erwartet. Sobald mein Arm zu meinem Schuh wanderte, hat das Publikum angefangen zu toben.»
Am 11. Dezember wird Denise Biellmann 60. Eine wichtige Zahl für sie. Als ihre ältere Schwester Silvia mit 56 Jahren an Krebs erkrankte, habe sie immer gesagt, sie wolle unbedingt noch 60 Jahre alt werden. Leider ist sie vorher gestorben. «Ich darf das Alter, das sich Silvia immer gewünscht hat, gesund erreichen. Das berührt mich sehr.» Zum Geburtstag erfüllt sich Biellmann den Wunsch, ihre Geschichte als Autobiografie aufzuschreiben. Sich nochmals so intensiv mit ihrem Leben und ihrer Karriere auseinanderzusetzen, sei sehr emotional.
«Meine Schwester fehlt mir jeden Tag»
Besonders die Zeilen und das Andenken an ihre Schwester, bedeuten Denise viel. Für Silvia, die selbst Eiskunstläuferin war, sei es nicht immer einfach gewesen, im Schatten der jüngeren Schwester zu stehen. Wenn Denise Biellmann davon erzählt, bekommt sie feuchte Augen. «Es fällt mir manchmal noch schwer, über sie zu reden. Bei ihr konnte ich einfach Denise sein. Sie fehlt mir jeden Tag.» Silvia begleitete Denise anfangs zu den Wettkämpfen. Als die Medienleute während den Shows die Schweizer Meisterin Silvia fragten, ob sie denn auch «es bizli schlittschüele» könne, verging ihr die Lust dazu.
Auch mit ihrem Vater, über den sie selten spricht, hatte Denise Biellmann ein inniges Verhältnis. «Er war stolz auf mich. Er kam zu meinen Wettkämpfen, wenn diese in der Schweiz waren. Also wenn sie in Zürich waren», fügt sie lachend hinzu. Ihr Vater war der Ruhepol zu Hause. Wenn sie vom Training oder von Wettkämpfen zurückkam, sei er gelassen am Küchentisch gesessen und habe gefragt: «Na, wie wars?»
Heute gibt Denise Biellmann ihr Wissen weiter. Als Trainerin von Nachwuchs, Kader und Elite nimmt sie sich ein Beispiel an ihren Eltern und ihrem ehemaligen Trainer Otto Hügin. Sie hat eine klare, aber ruhige Linie.
Nie schreien, nie ausflippen
Rund sieben Jahre trainierte ich zwei bis dreimal pro Woche. Relativ rasch war mir klar: Ich werde keine zweite Denise. Die Freude daran habe ich aber nie verloren. Das Training ist anstrengend und anspruchsvoll, aber lässt mich fliegen und träumen.
«Ich bin mit meinen Läuferinnen sehr exakt, was die Technik angeht. Aber schreien oder ausflippen tue ich nicht. Das hat bei mir auch nie jemand gemacht.» Es ist Biellmanns Traum, dass eine ihrer Läuferinnen endlich in ihre Fussstapfen tritt und eines Tages Weltmeisterin wird. «Als Trainerin fühlt man genauso mit, es sind die gleichen Emotionen.»
Nebst dem Eis trainiert sie jeden Tag mindestens eine halbe Stunde mit Gewichten, macht Dehnübungen und viermal pro Woche Konditionstraining. «Ich wiege mit 48 Kilogramm immer noch so viel wie mit 16 Jahren», erwähnt Denise lachend. Dass sie so erfolgreich war, liege besonders am Stil ihres Trainings. «Ich habe nie den gleichen Sprung stundenlang geübt, das schadet den Gelenken und brennt aus.»
Denise Biellmanns eigener Stil brachte ihr den Durchbruch. Die grösste Eislaufshow «Holiday on Ice» wurde auf sie aufmerksam. Dort lernte sie ihren Lebenspartner, den Engländer Colin Dawson, heute 60, kennen. Die beiden heirateten und liessen sich 1991 scheiden. Nach einem Jahr Trennung kamen sie wieder zusammen. Sie leben
getrennt, aber glücklich. «Ich würde sehr gerne nochmals heiraten. Symbolisch finde ich es schön, wenn man als Ehepartner stirbt. Insgeheim wünsche ich mir nochmals einen Antrag.» Die Hochzeit würde im kleinen Kreis stattfinden – «nicht in Weiss, aber fast in Weiss».
Das Schreiben ihrer Biografie hat Denise Biellmann etwas Bedeutsames aufgezeigt: «Als ich fertig war und es durchgelesen habe, dachte ich: ‹Gopf, du hast alles gehabt, was man sich wünschen kann, es hat dir an nichts gefehlt!› Eigentlich könnte ich aus diesem Leben gehen. Es ist das höchste Gut, so etwas von seinem Leben sagen zu können.»
Bis heute ist Denise Biellmann für mich ein Vorbild geblieben. Ich hoffe, dass ich dereinst mit 60 Jahren auch so auf mein Leben zurückschauen kann. Und auch immer noch eislaufe.
Yara Vettiger