Als Doris De Agostini im Frühling 1983 zurücktritt, tut sie dies als beste Abfahrerin der abgelaufenen Saison. Die kleine Kristallkugel in der Hand, nimmt sie die 19-jährige Maria Walliser zur Seite und sagt ihr: «Nächste Saison gewinnst du den Abfahrts-Weltcup!» Walliser musste es ihr sogar versprechen. «Doris war mein ganz grosses Vorbild», sagt die heute 57-Jährige. Ihr Fahrstil habe nicht kopiert werden können, «doch ich habe ihr Kämpferherz sehr bewundert und habe auch neben der Piste so viel von ihr gelernt als Athletin.»
Maria Walliser weiss gerade nicht recht, wohin mit all den Gedanken und der Trauer, nachdem sie vom Tod ihrer ehemaligen Teamkollegin erfahren hat. Nur wenige Wochen nach der Diagnose erlag De Agostini 62-jährig am Wochenende ihrer schweren Krankheit. Und wie Walliser geht es seither der ganzen Skiwelt. In der Öffentlichkeit war Doris De Agostini zwar nicht mehr sehr präsent in den vergangenen Jahren. Doch für Wegbegleiterinnen wie Marie-Theres Nadig, 66, ist die Athletin unvergesslich: «Sie war so nett, freundlich, aufgestellt und zuvorkommend, dass man sie einfach gernhaben musste.»
Zurückhaltung habe De Agostini immer ausgezeichnet, so Sapporo-Legende Nadig, sie habe nie die Aufmerksamkeit gesucht, «auch wenn sie von ihrem Erscheinungsbild her eher dafür gemacht gewesen wäre». Mehrere Jahre fahren die beiden zusammen im Weltcup und damit rund um die Welt. Alleingänge gibt es damals noch keine, das Team reist zusammen, trainiert zusammen, es gibt keine Privilegien für die Besseren. Bei den Videoanalysen sitzen alle dabei, es wird vor allen kritisiert. Der Trainer achtet darauf, dass sich im Team eine gesunde Rivalität entwickelt.
Nadig erinnert sich an die Zeit, als De Agostini neu dazugestossen ist: sehr jung, sehr gross und sehr dünn. Bei einer Videoanalyse lachen Nadig und Bernadette Zurbriggen über eine Szene, als De Agostini in eine Kompression fuhr, was wegen ihrer Grösse komisch aussah. Da dreht sich die junge Tessinerin um und wehrt sich: «Ihr dummi Sieche!» Daraufhin entschuldigen sich die beiden älteren Fahrerinnen. Den Respekt ihrer Mitstreiterinnen erarbeitet sich die Junge durch ihre Leistungen auf der Piste danach aber ohne Abstriche. Dabei ist sie eine Vorreiterin – die erste Tessinerin, die so erfolgreich ist, womit sie auch für Fahrerinnen wie Michela Figini, 54, und Lara Gut, 29, zum Vorbild wird. «Ehrgeizig waren wir alle», sagt Nadig. «Aber Doris ist immer sehr fair geblieben, was ich von mir nicht immer behaupten kann.»
Acht Weltcup-Abfahrten gewinnt De Agostini, dazu holt sie 1978 WM-Bronze. 1983 – erst 25-jährig – tritt sie zurück. Sie heiratet den Eishockeyspieler Luca Rossetti und bekommt zwei Kinder, die heute erwachsen sind. Es ist die Zeit, in der sie auch Maria Walliser immer wieder trifft, als «Familienmanagerinnen» zum Espresso. «Auch als Frau und Mutter habe ich ihre Ausstrahlung und ihr liebenswertes Wesen sehr bewundert», sagt Walliser traurig. «Es sind strube Zeiten. Aber der Himmel wird immer wieder blau.»