Zeit, sagt man, heile alle Wunden. Erika Hess, 58, ist mitten in diesem Prozess. Auch wenn der Schmerz noch immer gross und präsent ist. Acht Monate ist es her, dass ihr Ehemann Jacques Reymond, die Liebe ihres Lebens, mit 69 Jahren an den Folgen einer Corona-Erkrankung verstarb. Am 7. Mai, ein Tag nach ihrem 32. Hochzeitstag. Nach 35 gemeinsamen Jahren, in denen die zwei selten getrennt waren. Die einstige Weltklasse- Skifahrerin und ihr damaliger Trainer, das Traumpaar des Schweizer Sports. «Wir sind verliebt wie am ersten Tag», hatte Jacques Reymond kurz zuvor der Schweizer Illustrierten verraten. Nun muss die Nidwaldnerin ihren Weg alleine weitergehen. Gerade jetzt, wo sie und Jacques die meisten ihrer Engagements für den Skinachwuchs zugunsten ihres Privatlebens und der Familie beendet hatten. Die drei Söhne Fabian, 32, Nicolas, 30, und Marco, 26, sind längst flügge. Dank Fabians Töchterchen Chloé – ihrer «Petite Fleur», wie Erika sie nennt – sind sie vor einem Jahr erstmals glückliche Grosseltern geworden. Vor wenigen Tagen nun hat Chloé ein Schwesterchen namens Eva bekommen. So viele Pläne, so viele neue Aufgaben, die Erika und Jacques gemeinsam noch vor sich hatten.
Erika Hess, Sie haben die ersten Weihnachten ohne Jacques hinter sich. Wie ging es Ihnen?
Zum Glück durfte ich mit meinen Buben und deren Partnerinnen zusammen feiern. Die kleine Chloé hat mit ihren leuchtenden Augen die Abwesenheit von Jacques etwas erträglicher gemacht. Für ihn war Weihnachten mit der ganzen Familie immer sehr wichtig. Aber trotz des Schmerzes geht es mir gut. Wir sind alle gesund, das ist das Wichtigste.
Die plötzliche und schwere Erkrankung Ihres Mannes muss ein Schock gewesen sein.
Jacques wurde im März mit Corona angesteckt, ganz zu Beginn der Epidemie in der Schweiz. Kurz nach den ersten Symptomen wurde er getestet und sehr schnell ins Spital eingeliefert. Anfangs hatten wir täglich telefonischen Kontakt, und ich war noch voller Hoffnung. Obwohl er von seiner gesundheitlichen Vorbelastung wusste, war Jacques bereit, gegen das Virus zu kämpfen. Doch nach einer Woche kam er auf die Intensivstation, wurde intubiert und lag dann im Koma. Es wurde eine extrem schwierige Zeit. Ich durfte ihn in den sechs Wochen im Spital bis zu seinem Tod gerade dreimal besuchen.
Von welchen Vorbelastungen sprechen Sie?
Jacques hatte schon länger Probleme mit seinem Herz. Vor mehr als zehn Jahren wurde ihm ein Defibrillator implantiert. Dennoch hatte er sich in den letzten Jahren ein Fitnessprogramm auferlegt mit Schwimmen, Krafttraining, Velofahren und Stretching. Er tat viel, um gesund zu bleiben.
Trotzdem war das Virus am Ende stärker.
Ich denke, die Ärzte haben das Maximum unternommen, um Jacques’ Leben zu retten. Aber seine Organe haben den Schock dieser unberechenbaren Krankheit nicht ertragen. Das medizinische Personal war sehr aufmerksam und liebenswürdig und hat alles versucht, um die Kommunikation zwischen Jacques und mir aufrechtzuerhalten. Dafür sind wir sehr dankbar.
Wie haben Sie und Ihre Söhne letztlich von seinem Tod erfahren?
Man gab mir telefonisch Bescheid, nur zwei Stunden nachdem ich noch mit Jacques telefoniert hatte. Und am Tag zuvor, an unserem Hochzeitstag, hatte ich ihn noch besucht. Von den Söhnen hat es Marco zu Hause gleich mitbekommen. Fabian und Nicolas teilte ich die schlimme Nachricht per Telefon mit. Wir waren alle fassungslos, denn obwohl wir wussten, dass die Situation kritisch war, hatten wir die Hoffnung nie aufgegeben. Jeder hat dann auf seine eigene Art den Gefühlen freien Lauf gelassen. Wir haben versucht, uns gegenseitig zu trösten.
Wie sehr hat die Trauerfeier dabei geholfen?
Es gab nur eine sehr intime Zeremonie im Kreis der Familie, weil im Mai keine grösseren Feiern erlaubt waren. Seine Asche wurde auf dem See im Vallée de Joux verstreut, seiner Heimat. Bei wunderschönen, tiefgehenden Texten und Gesängen. So, wie es sich Jacques gewünscht hätte. Heute fahre ich sehr oft an den Lac de Joux, wo ich ihm sehr nahe bin. Aber Jacques ist für mich überall da, wo wir etwas zusammen erlebt haben.
Als die Weltklasse-Athletin Erika Hess und der Trainer Jacques Reymond vor 35 Jahren zusammenkommen, gibt es in der Skisport-Szene auch leichte Misstöne und Eifersüchteleien. Der Verband reagiert, indem er Reymond zu den Männern versetzt. Ihre einstige Teamkollegin und bis heute enge Vertraute Brigitte Oertli aber nennt die Liebesgeschichte der beiden «von Anfang an eine perfekte Symbiose». Die Verbindung mit dem elf Jahre älteren Romand gibt der scheuen jungen Sportlerin aus Wolfenschiessen NW die Nestwärme, die sie sechs WM-Titel, zwei Weltcup-Gesamtsiege, 31 Rennsiege und auch Olympia- Bronze gewinnen lässt. Ein Jahr nach ihrem frühen Rücktritt 1987 heiraten Erika und Jacques. Seither ist das Waadtländer Dorf St-Légier oberhalb des Genfersees ihre Heimat. Hier freuen sie sich gemeinsam auf den neuen Lebensabschnitt mit ihrer wachsenden Familie.
Was vermissen Sie heute am meisten, wenn Sie an Jacques denken?
Seine Präsenz, seine Liebe, sein Wissen, seine grosse Ausstrahlung. Er war mein Halt, meine Rückendeckung. Ich bin ihm so unendlich dankbar für all das, was er mir auf den Weg mitgegeben hat. Nebst unserer Familie verbinde ich mit ihm auch wunderbare Erinnerungen an die Zeit in unserem Sommerhaus in der Ardèche in Frankreich oder auf dem Segelschiff, wo Jacques in seinem Element war. Ebenso wie in der Küche, wenn er mich immer mal wieder mit einem tollen Essen verwöhnte. Er liebte das Leben, die Geselligkeit.
Nun beginnt für Sie ein neues Leben.Womit füllen Sie Ihre Tage aus?
Mein Alltag hat sich enorm verändert. Jacques und ich waren eins. Wir hatten gemeinsame Pläne, beruflich, privat, waren 24 Stunden zusammen. Heute bin ich alleine und muss meine Zukunft selber planen. Ich brauche die Natur und die Bewegung, das Joggen, Velofahren oder Langlaufen. Ich gehe den Weg weiter, will meinem Leben auch künftig einen Sinn geben. Es bleiben für mich noch etliche Aufgaben. So möchte ich weiterhin eine gute und hilfsbereite Mutter sein, und die Rolle als Grossmami füllt mich gänzlich aus. Und die Traineraufgaben im Skisport?
Ihr Sohn Marco ist ja gerade dabei, an der erweiterten Schweizer Spitze Fuss zu fassen.
Ich unterstütze Marco, wo ich kann, damit er seinen Weg im Skisport findet. Aber trainieren muss ich meine Kinder nicht mehr, sondern geniesse es, mit ihnen Sport zu treiben. Marco ist nun im B-Kader von Swiss-Ski. Ansonsten beschränkt sich meine Verbindung zum Weltcup auf Rennbesuche etwa in Wengen oder Crans-Montana und gelegentliche Begegnungen mit Loïc Meillard, Luca Aerni und Tanguy Nef, die gute Freunde von Marco sind. Weiterhin organisieren will ich das Volksskirennen «Raiffeisen Erika Hess Open».
Ihre Medaillensammlung hilft sicher dabei, die Erinnerung an die eigenen Erfolge lebendig zu halten. Wo bewahren Sie sie auf?
Die wichtigsten Medaillen, WM und Olympia, sind zu Hause in einer Schachtel. Mit Ausnahme der Kombinations-Goldmedaille von 1982 in Schladming. Die befindet sich dort im Museum.