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Lea von Bidder über ihren Kometenstart und ihre Bruchlandung

«Es gibt ein Leben nach dem Scheitern»

Sie war der Star der Start-up-Szene: Mit dem Fruchtbarkeitsarmband Ava kam Lea von Bidder gross raus. Doch aus der Erfolgsstory wurde eine Bruchlandung. Trotzdem sagt sie heute: «Es ist gut, sich etwas zu trauen.»

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<p>Eingeschworenes Team: Lea von Bidder und ihr Mann Johannes Peter verliebten sich als Teenager ineinander.</p>

Eingeschworenes Team: Lea von Bidder und ihr Mann Johannes Peter verliebten sich als Teenager ineinander.

Ellin Anderegg

«Wenn Kinder umfallen, schämen sie sich nicht», sagt Lea von Bidder (35). Ihr Gesichtsausdruck zwischen nachdenklich und überrascht. «Warum tun wir Erwachsene es?»

Lea von Bidder ist umgefallen – und sie hat sich dafür geschämt. Zwei Jahre dauerte es, bis sie über das Scheitern sprechen mochte. Ihr einst hochgejubeltes Start-up Ava fand 2023 ein unschönes Ende. Ava, das ist ein Armband, das die fruchtbaren Tage von Frauen erkennt, indem es Daten wie Körpertemperatur, Puls oder Schlafrhythmus auswertet. Eine Schweizer Innovation und eine vermeintliche Erfolgsgeschichte, die auch die Medien gern erzählten. Doch acht Jahre nach der Gründung war das Unternehmen, für das sich von Bidder «komplett aufgegeben» hatte, gescheitert. Warum? Das wusste die Öffentlichkeit lange nicht.

«Nach dem Ende von Ava habe ich mich erst einmal zurückgezogen», erzählt Lea von Bidder, während sie für ihre Mitbewohner den Tisch deckt. Sie lebt in Zürich Wollishofen mit ihrem Mann Johannes,(38) den gemeinsamen Töchtern Charlotte (5) und Sophie (1) und zwei Mitbewohnern. «Für uns passt es, als Familie in einer WG zu leben.» Das Haus und der Garten bieten Platz. Und die Mitbewohner bieten Verständnis – sie alle arbeiten auch im Start-up-Bereich.»

<p>Lea von Bidder teilt sich mit Maurice, Celia und ihrem Mann Johannes (v. l.) das Zuhause und das Leben als Unternehmerin.</p>

Lea von Bidder teilt sich mit Maurice, Celia und ihrem Mann Johannes (v. l.) das Zuhause und das Leben als Unternehmerin.

Ellin Anderegg

Lea von Bidders Mann wirkt wie der ruhende Pol zu ihrer zackigen Art. Johannes Peter ist gelernter Bauingenieur und Experte für die Umnutzung von Häusern als Coworking-Büros. Mitbewohner Maurice Lanz (34) ist Mitgründer der App Plural für mehr Bürgerbeteiligung in Demokratien. Und Celia Geering arbeitet beim Softwareunternehmen Veezoo. «Wir alle kennen die Aufs und Abs im Unternehmerleben», sagt von Bidder.

Bei Ava gings zuerst nur aufwärts: Die Idee eines Algorithmus, der mithilfe biometrischer Daten die fruchtbaren Tage einer Frau voraussagt, begeisterte Paare mit Kinderwunsch. Auch Lea von Bidder trug das Armband, während sie jeweils darauf wartete, schwanger zu werden. Nach ihrem Einstieg 2013 wurde die HSG-Absolventin schnell zum Gesicht von Ava. Ava wurde mehrmals Schweizer Start-up des Jahres, und Lea von Bidder schaffte es bei «Forbes» auf die Liste der besten Unternehmerinnen unter 30. Das neue Buch «Die Kindermacher» von Stefan Mair beschreibt diese «goldenen Jahre». Konkret: 90 Investoren schossen 50 Millionen Franken bei Ava ein, in der Überzeugung, dass aus dem Produkt ein voller Erfolg wird.

«Ich wollte etwas beweisen»

Warum das nicht geschah? Ein zu früher Markteintritt, als der Fruchtbarkeits-Algorithmus zu wenig ausgereift war, zu viele Investoren, die mitreden wollten, und ein Zwist innerhalb des Start-ups: Die einen wollten Geld fürs Marketing, die anderen für die Technologie. Letztlich wurde Ava von einem Unternehmen aufgekauft, das kurz darauf selbst einging.

Und Lea von Bidder fand sich plötzlich auf dem RAV wieder, um Arbeitslosengeld zu beantragen. «Es gab bei Ava immer wieder schwierige Zeiten», sagt ihr Mann Johannes. «Wir haben uns gegenseitig unterstützt, und Lea ist seither widerstandsfähiger geworden.»

<p>Wieder «parat zum Tanze»: Lea von Bidder im Wintergarten ihrer Wohnung in Zürich Wollishofen.</p>

Wieder «parat zum Tanze»: Lea von Bidder im Wintergarten ihrer Wohnung in Zürich Wollishofen.

Ellin Anderegg

Als Mutter schmerzte sie der Misserfolg des Produkts besonders: «Ich wollte meinen Töchtern zeigen, dass man grosse und gute Sachen machen kann. Und ich wollte beweisen, dass man im Bereich der Frauengesundheit Erfolg haben kann.» Das Armband gibt es heute noch zu kaufen, doch Lea von Bidder rät davon ab. «Ich weiss nicht, ob die Kundinnen betreut werden oder was mit ihren Daten passiert.»

Das klare Licht im Wintergarten passt zu ihrer aufgeräumten Stimmung. Denn heute sei die Scham einer Erkenntnis gewichen. «Als ich scheiterte, merkte ich, dass es ein Leben danach gibt – und dass darin vieles intakt ist.» Die Erfahrungen mit Ava trieben von Bidder nicht in einen 08/15-Bürojob. Sie hat wieder ein Start-up gegründet. «Auch wenn ich für manche Leute wohl eine Zwei auf dem Rücken habe.» Ihr neues Projekt ist die Plattform Expeerly, bei der Kundinnen und Kunden Videorezensionen ansehen können, bevor sie ein Produkt kaufen. Dieses Mal ohne Investoren («Ich weiss nicht, ob ich welche fände») und viel langsamer.

Sie sehe es als Chance, über das «Schweizer Tabuthema Scheitern» zu sprechen. Und wünscht sich, alle würden mehr berufliche Risiken wagen. «Die heutige Zeit ist voller Herausforderungen. Es braucht Leute, die sich etwas trauen!» Selbst wenn sie riskieren, dabei umzufallen.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer vor 19 Stunden